Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2019

Spalte:

899–901

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bond, Helen K., and Larry W. Hurtado [Eds.]

Titel/Untertitel:

Peter in Early Christianity.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2015. XXII, 358 S. Kart. US$ 40,00. ISBN 978-0-8028-7171-8.

Rezensent:

Wolfgang Grünstäudl

Der vorliegende Band geht auf ein Symposium zurück, das im Juli 2013 an der Universität Edinburgh abgehalten wurde und dessen Anlass und Intention die Herausgeberin und der Herausgeber folgendermaßen beschreiben (XVI): »After years of playing second fiddle to Paul, Peter has been the focus of a number of scholarly works over the last decade, and so it seemed like an opportune time to gather together an international team of experts to reconsider the apostle and his legacy within the early church.« In der Tat erlebte Petrus zuletzt eine Art Renaissance, die zu wohl nicht geringen Teilen als Frucht eines insgesamt verstärkten Interesses an rezeptionsgeschichtlichen Fragen wie an der Erforschung später nicht kanonisch gewordener Literatur zu verstehen ist.
Gruppiert sind die insgesamt 19 Beiträge des Bandes in drei Abschnitte zur historischen Rückfrage (»The ›Historical Peter‹«), den neutestamentlich gewordenen Schriften (»Peter in the New Testament«) und rezeptionsgeschichtlichen Linien (»Peter in Later Christian Traditions«), wobei eine forschungsgeschichtliche Einführung (Larry W. Hurtado, 1–15) voran- und eine epilogartige Schlussbetrachtung zu Hans Urs von Balthasars Petrusbild (Markus Bockmuehl, 321–340) nachgestellt sind. Beigegeben ist ein Autorenindex (341–348) sowie ein Stellenverzeichnis (biblische und antike Schriften, 349–358). Ein thematischer Index fehlt leider, was insbesondere im Hinblick auf zahlreiche inhaltliche Verknüpfungen zwischen den einzelnen Beiträgen zu bedauern ist.
Im genannten forschungsgeschichtlichen Abriss (»The Apostle Peter in Protestant Scholarship: Cullmann, Hengel, and Bock-muehl«) spannt Larry W. Hurtado einen instruktiven Bogen von Oscar Cullmanns klassischem und einflussreichen Petrusbuch (Petrus. Jünger, Apostel, Märtyrer. Das historische und das theologische Petrusproblem, 1952) über Martin Hengels Plädoyer für den »un­terschätzten« Apostel (Der unterschätzte Petrus. Zwei Studien, 2006) bis zu Markus Bockmuehls viel beachteter Studie (The Re­membered Peter in Ancient Reception and Modern Debate, 2010). Spannend ist dabei insbesondere Hurtados (moderat vorgetragene) Kritik am methodischen Ansatz Bockmuehls (dem »undisputed guest of honor« [XVI] der Tagung), welcher bekanntlich darauf zielt, auch in vermeintlich späten Zeugnissen Spuren authentischer Erinnerung zu identifizieren und diese dann für die historische Rekonstruktion von Person und Wirken Petri fruchtbar zu machen. Hurtado notiert: »These sources may also, to some degree, reflect something of an earlier impact of the historical figure, but one needs cogent criteria by which to determine this« (13). Da rezeptionsgeschichtliche Perspektiven und damit verbunden die Analyse von Texten (und anderen Quellen), die in relativ großem zeitlichen Abstand zur Lebenszeit des Apostels entstanden, im restlichen Band großen Raum einnehmen, hätte man sich hier noch eine weitere Vertiefung – etwa im Sinne eines eigenen Beitrags zu metho dologischen Herausforderungen einer Rückfrage nach Petrus – gewünscht. Zudem rufen Hurtados sorgfältige Darstellung der interkonfessionellen Wirksamkeit von Cullmanns Petrus-Buch wie auch Bockmuehls gewinnbringende Balthasar-Lektüre geradezu nach einer Ergänzung aus katholischer Sicht. Es sei zudem daran erinnert, dass für die Emanzipationsgeschichte der katholischen neutestamentlichen Exegese im 20. Jh. nicht zuletzt der kritische Umgang mit »Petrus-Texten« wie 2Petr oder Mt 16 eine katalysatorische Bedeutung besaß.
Innerhalb der drei Hauptabschnitte des Bandes begegnet – wie in Sammelbänden üblich – ganz Unterschiedliches: So finden sich im ersten Abschnitt (»The ›Historical Peter‹«) gleich zwei Aufsätze zu möglichen Einflüssen des Petrus auf später neutestamentlich gewordene Texte. Helen K. Bond kann dabei zwar – wenig überraschend – die Frage »Was Peter behind Mark’s Gospel?« (46–61) nicht mit einem entschiedenen »Yes!« beantworten, doch immerhin zeigen, dass manch wohlbekanntes Argument für ein entschiedenes »No!« im Licht jün-gerer Forschung durchaus anzufragen ist (60: »If it has demonstrated that a Petrine link to Mark’s Gospel is not as self-evidently impossible as many critical scholars suppose, this essay will have served its purpose.«). Der mit Abstand auffälligste Beitrag in dieser Gruppe ist aber sicherlich derjenige von Timothy D. Barnes (76–95), was nicht nur der These (95: »there exists relatively abundant early evidence that the apostle Peter was burned alive in Rome 64«), sondern vor allem dem Ton – ebenso witzig (vgl. 78 f.) wie grimmig (95: »it is perverse and ignorant to assert that he [sc. Peter] never set foot in the city [sc. Rome]«, vgl. auch 76 f., Anm. 4, und 86 f.) – geschuldet ist. Zur These: Wenngleich einerseits »abundant early evidence« eine etwas optimistische Formulierung ist, die jedenfalls nur Ort und Zeit (Rom unter Nero), nicht aber Art (lebendig verbrannt) des Todes Petri betreffen kann, und andererseits Barnes die literarische Aussage des Johannesevangeliums mit dem historischen Schicksal Petri recht zügig in eins setzt, so bleibt der Vorschlag, Joh 21,18 f. sei nicht als Verweis auf den unbekleideten Kreuzestod, sondern auf den bekleideten Feuertod zu verstehen (vgl. 83–87), sicherlich beachtenswert.
Im zweiten Abschnitt (»Peter in the New Testament« – leider fehlt dabei ausgerechnet ein Blick auf Paulus und seine Briefe) stechen zwei Texte hervor, die sich Themen annehmen, welche für die Entstehung eines recht umfangreichen frühchristlichen Schrifttums zur Person des Petrus potentiell eine entscheidende Rolle spielen. Sean A. Adams (»The Tradition of Peter’s Literacy: Acts, 1 Peter, and Petrine Literature«, 130–145) geht der Entwicklung Petri vom ἀγράμματος (Apg 4,13) zum schriftkundigen »text-broker« (131 u. ö.) nach, während Matthew V. Novenson die – im strengen Sinne unbeantwortbare – Frage stellt »Why Are There Some Petrine Epistles Rather Than None?« (146–157). Adams wie Novenson weisen dabei 1Petr eine wichtige Funktion zu (vgl. 144.157), die aber jeweils nicht anhand von Rezeptionsspuren des 1Petr (jenseits des 2Petr) nachgewiesen wird und bei Novenson zudem Teil eines widersprüchlichen Fazits ist: Einerseits soll gelten, dass ohne die Entscheidung des Verfassers von 1Petr, einen Petrusbrief zu schreiben »there might be no Petrine epistles« (157), andererseits wird konzediert, dass die pseudoklementinische Epistula Petri wie auch EpPetr (NHC VIII,2) »might have been written even if 1 Peter and 2 Peter never had been« (ebd.). Wie auch immer, von einem »corpus of four ancient Petrine letters« (151) sollte man nicht sprechen, wenn man damit die vier genannten Texte meint.
Der dritte und, zumal mit Blick auf den schieren Umfang der zu behandelnden Quellen, gehaltvollste Abschnitt (»Peter in Later Christian Traditions«) eröffnet mit einer sehr knappen Skizze zu »Images of Peter in the Apostolic Fathers« (Todd D. Still, 161–167) und einer thematisch enger gefassten, dafür detaillierteren Analyse der unterschiedlichen Petrus-Rezeptionen in 1Clem und Polyk (Paul A. Hartog, 168–180). Hartog verwendet das Bild einer Matrjoschka, um die Einbettung petrinischer Traditionen in einen paulinischen Kontext zu beschreiben, und notiert eine wichtige Beobachtung zur Bedeutung des 1Petr für Polyk: »One might remark, however, that if one compares individual works rather than corpora, then the use of 1 Peter stands head and shoulders above evidence of any other single New Testament work in Philippians (including any individual Pauline epistle), even though the Pauline corpus carries the day« (177). Zu einem immer noch zu wenig untersuchten apokryphen Petrustext, dem nur fragmentarisch erhaltenen Kerygma Petri, bietet William Rutherford (181–195) den anregenden Versuch, die von diesem Text vollzogene Abgrenzung gegen οἱ Ἰουδαίοι als Reflex einer noch innerjüdischen Kontroverse zu lesen. Damit ist ein interessanter Weg gewiesen, auch wenn man nicht allen spekulativen Überlegungen, die Rutherford zur historischen Verortung des KerPetr anstellt, folgen möchte. Mit den sich ergänzenden Beiträgen von Tobias Nicklas (»›Gnostic‹ Perspectives on Peter«, 196–221) und Paul Foster (»Peter in Noncanonical Traditions«, 222–262) enthält der Band eine umfassende und sehr hilfreiche Einführung in die komplexe Welt frühchristlicher Petrustraditionen und -texte außerhalb der kanonisch gewordenen Schriften.
Die Anregungen des vorliegenden Bandes sind vielfältig und reichen u. a. von exegese- und theologiegeschichtlichen Reflexionen, über interessante Einsprüche gegen die neutestamentliche communis opinio bis hin zu im besten Sinne handbuchartigen Einführungen in stadtrömische Archäologie (Lampe) bzw. die apokryphe Petrusliteratur (Foster, Nicklas). Vor allem aber zeigen sie, dass die frühchristlichen Erinnerungsspuren des galiläischen Fischers noch stets ein ertragreicher Forschungsgegenstand sind.