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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

895–896

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schlegel, Michael

Titel/Untertitel:

Jerusalem »an jenem Tag«. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung von Sach 12–14 zur Rolle Jerusalems im Endgeschehen im Kontext spätprophetischer Literatur.

Verlag:

Sankt Ottilien: EOS Verlag 2018. 352 S. = Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament, 103. Kart. EUR 34,95. ISBN 978-3-8306-7906-6.

Rezensent:

Martin Leuenberger

Im Zuge des Aufschwungs redaktions- und kompositionsgeschichtlicher Perspektiven auf die Prophetenbücher, der sich auch international seit gut zwanzig Jahren beobachten lässt, kommt den ›Randtexten‹ der Prophetenbücher eine herausragende Bedeutung zu, wie namentlich für das Jesajabuch und das Zwölfprophetenbuch inzwischen weithin anerkannt ist. Für Letzteres spielt dabei – abgesehen vom Sonderfall des Maleachibuches als dem jetzt vorliegenden Ende – Sach 12–14 eine entscheidende Rolle.
Diesem Textbereich widmet sich die hier zu besprechende Ar­beit von Michael Schlegel, die mithilfe einer hauptsächlich traditionsgeschichtlichen Zugangsweise eine Erschließung des komplexen Sachprofils von Sach 12–14 anstrebt. Gegenüber einer isolierten Wahrnehmung des klassisch als »tritosacharjanisch« bezeichneten Textbereichs einerseits und einer rein redaktions- und komposi-tionsgeschichtlichen Einbettung in das Zwölfprophetenbuch an­dererseits wird also – beide Forschungshorizonte wahrnehmend – eine theologiegeschichtliche Perspektive in Anschlag gebracht; sie erlaubt es, jedenfalls im Prinzip, methodisch angemessen die neueren redaktionsgeschichtlichen Einsichten traditions- und theologiegeschichtlich anzubinden und von hier aus zusätzlich zu er­schließen.
Bei der Arbeit handelt es sich um die Dissertation des Vf.s, die von H. Irsigler betreut und 2017 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Freiburg angenommen wurde. Sie stellt in den Worten des Vf.s eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zur »spätprophetischen […] Zionstheologie« (4) ausgehend von Sach 12–14 dar. Diesen dreifachen Zuschnitt verdichtet der etwas umfängliche Untertitel: Er gibt erstens den bearbeiteten Textbereich an: Der Vf. spricht ohne literargeschichtliche Implikationen von Tritosacharja (2). Zweitens benennt er die verfolgte Methodik: eine »traditionskritische« Zugangsweise (2), die auch literargeschichtliche Implikationen besitzt, aber keinen genuin redaktionsgeschichtlichen Beitrag leisten will (3). Und drittens tritt der thematische Schwerpunkt hervor, der sich der »Rolle Jerusalems im Endgeschehen« (1; s. auch den Untertitel) widmet.
Nach einer kurzen forschungsgeschichtlichen Verortung (4–7) erläutert eine methodische Reflexion (8–11), die im Anschluss an H. Irsigler besonders die Strukturanalyse als Grundlage der motiv- und traditionsgeschichtlichen Untersuchung hervorhebt, das Vorgehen. – Entsprechend wird Sach 12–14 in einer weitgehend nach W. Richter erfolgenden Satzeinteilung übersetzt (12–27) und an den schwierigen Stellen ausführlich textkritisch traktiert (28–46), wobei m. E. mit Recht mehrfach auch Änderungen gegenüber dem MT be­gründet werden. Die anschließenden Überlegungen zur Textentstehung stellen die Eigenart der Texte als junge (hellenistische), »schriftgelehrte Prophetie« mit hoher intertextueller Vernetzung (47; s. auch Kapitel 11: 319–323) in Rechnung und bezieht daher auch Aspekte der Überlieferungs- und Kompositionskritik ein. Auf diese Weise ergibt sich – bei aller Vorsicht – ein »mögliches Entstehungsmodell« (69), das in Aufnahme der neueren redaktionsgeschichtlichen Forschungen einen Mittelweg mit im Wesentlichen drei Ebenen vertritt: Auf einen kunstvoll angelegten und bereits schriftgelehrten »Primärtext« (69) 12,1–8*.9–14; 13,1–6 folgt in 13,7–9 eine erste markante Fortschreibung, die noch »stärker an das Deuterosacharjabuch anschließt« (69), und abschließend kommt noch Kapitel 14* »als Schlussstein für das Zwölfprophetenbuch insgesamt« hinzu (69). Diverse kleinräumigere Ergänzungen ortet der Vf. in 12,8c, 14,5b.14a.20a–21e.
Demgegenüber setzt er – in einer eigenen Forschungsleistung – mit seiner ausführlichen Strukturanalyse (71–140) auf Wort-, Satz- und Textebene noch einmal neu ein und macht Sach 12–14 »als ein Mosaik von verschiedenen Traditionsstücken« verständlich, das aber gleichwohl einen auf »ein Mitteilungs- und Wirkungsziel hin ausgerichteten Gestaltungswillen« erkennen lässt (138).
Letzterer wird in den folgenden Kapiteln der Arbeit – unterschieden nach Semantik (141–156), geprägter Sprache (157–181, in tabellarischer Darstellung) sowie Motiven und Traditionen (182–318) – ausführlich herausgearbeitet. Ohne näher auf die materialreiche Er­schließung der traditionsgeschichtlichen Hintergründe, die im Einzelfall in ihrer Bestimmung durchaus kontrovers zu diskutieren wären, eingehen zu können, lässt sich bilanzieren: Es gelingt dem Vf. eindrücklich, Sach 12–14 verständlich zu machen als »ein einzigartiges und anthologisch konzipiertes Endzeitgemälde, das gegen Ende der Prophetie eine ›Summe‹ jenen ›Tages‹ formuliert, vom Gericht zum Heil, wobei Jerusalem […] im Zentrum […] steht« (326). Dabei ist es ebenso bemerkenswert wie »eigenartig, dass reiche Zionstheologie zwar bewusst aufgenommen und bis ins Extrem gesteigert auf die zu erwartende Heilszeit projiziert wird, aber immerzu unter Vermeidung der Erwähnung des Tempels selbst« (325). Knapp und auch nicht innovativ, aber dennoch überzeugend verortet der Vf. diesen Prozess in der »Zeit der Ptolemäerherrschaft« im 3. Jh. (323, s. auch 319 ff.). Hier könnte eine differenziertere sozial- und theologiegeschichtliche Rekonstruktion des spätprophetischen Diskurses weiterführen.
Aufs Ganze gelingt es der Arbeit somit, mit erheblichem methodischen und exegetischen Aufwand die traditions- und theologiegeschichtlichen Hintergründe von Sach 12–14 substanziell und weiterführend zu erschließen, worin ihr wichtigster Beitrag be­steht. Dabei sind die redaktionsgeschichtlichen Horizonte des werdenden Zwölfprophetenbuches zwar durchgängig präsent, sie bekommen jedoch bei der Darstellung und Profilierung der transformierenden und innovativen Verwendungsweise der Traditionselemente im neuen literarischen Horizont von Sach 12–14 nur eine untergeordnete Rolle. Der künftigen Forschung ist so der Weg zu einer Integration dieser traditionsgeschichtlichen Befunde in die Literatur- und Theologiegeschichte der Abschlussphase des Zwölfprophetenbuches gewiesen.