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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

870–873

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Parpola, Simo

Titel/Untertitel:

Assyrian Royal Rituals and Cultic Texts. Helsinki: Neo-Assyrian Text Corpus Projekt.

Verlag:

Winona Lake: Eisenbrauns (Penn State University Press) 2017. XCIV, 255 S. m. 65 Abb. = State Archives of Assyria, 20; Publications of the Foundation for Finnish Assyriological Research, 13. Geb. US$ 119,00. ISBN 978-952-10-1341-6.

Rezensent:

Eckart Otto

Dieser lange auch von Alttestamentlern erwartete Band der Reihe State Archives of Assyria, der als zweiter Band dieser Reihe 1988 unter der Federführung des Heidelberger Keilschriftkundlers Karlheinz Deller erscheinen sollte, liegt nun fast 30 Jahre später in der Edition von Simo Parpola als Band 20 dieser Reihe vor. Für den altorientalischen Menschen Mesopotamiens, der keine strikte Trennung zwischen heiligem und weltlichem Geschehen kannte, be­durfte der Kontakt zwischen göttlicher und menschlicher Welt einer festgefügten Etikette des Rituals, um mögliche Fehler im Umgang mit den Göttern, die sich verheerend auf das alltägliche Leben auswirken konnten, zu vermeiden. Da in anthropologischer Perspektive der Mensch geschaffen worden sei, um den Göttern zu dienen, sie zu entlasten und zu versorgen, mussten auch die damit verbundenen Akte kultischer Pflichten strikt rituell und damit vor Fehlern gesichert organisiert sein.
Bei den in diesem Band zum Teil erstmals publizierten neuassyrischen Keilschrifttexten handelt es sich um solche Ritualtexte, in denen der assyrische König im Mittelpunkt der Ritualhandlungen steht, die darauf abzielen, die innige Verbindung zwischen dem König und dem Gott Aššur als König des göttlichen Pantheons und Reichsgott Assyriens zu stärken. Der Gott Aššur habe den König als »Fleisch der Gottheit«, d. h. als seinen Repräsentanten erwählt, um das assyrische Volk und den Staat zu leiten und zu schützen. Das war ein Pfeiler der assyrischen Staatspropaganda, die bei besonderen Gelegenheiten wie denen der Thronbesteigung oder der großen Jahresfeste unter Beteiligung politischer und kultischer Eliten zeremoniell ins Werk gesetzt wurde. So ist zu dem in der Reihe der State Archives of Assyria 1989 im dritten Band veröffentlichten assyrischen Krönungshymnus nun der begleitende Ritualtext publiziert. Wird im Hymnus der König als Repräsentant (s.almu) des Königsgottes Aššur ausgerufen, so wird im Ritualtext diese Proklamation durch den Akt des Priesters (šangū) begleitet, der dem König ins Gesicht schlägt, was im babylonischen akītu-Fest zu Beginn des neuen Jahres eine Parallele hat. Der König erniedrigt sich im assyrischen Krönungsritual auch selbst, indem er sich vor der Gottheit auf den Boden wirft und so zum Ausdruck bringt, dass der höchste Herrscher stets der Gott Aššur sei.
Als »body politic« des Gottes Aššur war der König durch das Krönungsritual in die Pflicht genommen, eine heroische Rolle in der Verbindung militärischer und priesterlicher Funktionen zu übernehmen, um die Welt als Herrschaftsbereich dem assyrischen Reichsgott Aššur zu unterwerfen. Der Text des Krönungsrituals ist auch für die Bibelwissenschaft von Bedeutung, da es notwendiges Pendant zum assyrischen Krönungshymnus ist, dessen Motive im Psalter der Hebräischen Bibel kritisch-subversiv rezipiert wurden und also Hymnus und Ritual für das Verständnis der judäischen Königsideologie in Jerusalem in ihrer Nähe und Distanz zu der Assyriens als zeitgenössischem Kontext wichtig sind. Zusammen mit dem Krönungsritual werden Ritualtexte des Schebat-Adar-Festes aus A ššur publiziert, die den Beginn des Festes vom 18. bis 25. des 11. Monats Schebat markieren, das mit dem akītu-Fest im 1. Monat Nisan des neuen Jahres abgeschlossen wurde. Die rituellen Anweisungen zu Reinigungen, Toten-, Trank- und Speiseopfern sowie zu Prozessionen und zur Mundöffnung der Gottheiten bedurften der genauen Ausführung, da jeder Fehler in der Ausführung in diesen ersten Tagen des Festes negative Konsequenzen für den gesamten Festzyklus und das folgende Jahr haben konnte. Neben den Ritualtexten in Gestalt präskriptiv-performativer Anweisungen stehen solche, in denen die Schreiber den Vollzug ebendieser Anweisungen zu Ritualhandlungen narrativ dokumentieren.
Gerade diese Texte sind von großem Interesse für die Interpretation der biblischen Ritualtexte in der Tora der Bücher Levitikus und Numeri. An diese Ritualtexte aus Aššur schließen sich Anweisungen für die Sänger des Aššur-Tempels an, die u. a. die Herzen zorniger Götter durch Klagelieder, in die auch der König einstimmen konnte, sowie durch Fürbitten besänftigen und so die Versöhnung zwischen Göttern und Menschen befördern sollten, um so Übel und Unglück, das die Götter über die Menschen bringen, zu verhindern. Diese Anweisungen an die Sänger sind bei der Auslegung biblischer Psalmen heranzuziehen, wenn es um die Frage nach den Trägerkreisen der Psalmen geht. Es folgen Ritualtexte zum akītu-Fest im Monat Nisan. Ihnen sind die Ritualanweisungen für das tākultu-Fest als ein vom König ausgerichtetes Bankett zur Speisung der Götter an die Seite zu stellen, das mit Segensbitten für den König und seine anwesende Entourage endete. Dieses Ritual hat neben der Stärkung der Herrschaft des Königs auch die Funktion, die Einheit des Reiches durch die am Bankett teilnehmenden Götter des Reiches zu beschwören. Der mit dem Festakt verbundene Ritus des Salzstreuens bringt als die juridische Dimension des tākultu-Festes die Allianz zwischen den Göttern, dem König und der Stadt Aššur als Sitz des Reichsgottes zum Ausdruck. Dabei ist von Bedeutung, dass in einem dieser Ritualtexte des tākultu-Festes der Versuch zu erkennen ist, die Stadt Aššur nicht nur als kultischen, sondern auch politischen Mittelpunkt des Reiches wie des Kosmos zu deklarieren, da hier nicht nur der Reichsgott Aššur seinen Wohnsitz habe, sondern, was auch in der »kultischen Geographie« der Stadt Aššur, die ein »Götteradressbuch« (R. Frankena) mit einer Stadtbeschreibung vereint, betont wird, auch die Göttin Ištar, die mit Ninive als dem politischen Zentrum Assyriens verbunden ist. Soll die Stadt Aššur zum alleinigen Zentrum des Reiches erklärt werden, so ist das von Bedeutung für die Interpretation der Kultzentralisationsforderung des Buches Deuteronomium in seinem Kern aus neuassyrischer Zeit in Dtn 12,13–19. Die Wichtigkeit der tākultu-Ritualtexte für Assyrien wird noch da­durch unterstrichen, dass ihre Kolophone Issar-šumu-ereš, den Chefas-trologen der Könige Asarhaddon und Assurbanipal, als Schreiber der Texte ausweisen.
Dieser Band der Serie der State Archives of Assyria ist auch für die Bibelwissenschaften eine Fundgrube, die genutzt werden sollte. Die Einleitungen durch Stefania Ermidoro und Beate Pongratz-Leisten, die sorgfältigen Transliterationen samt Kollationen der ak­kadischen Keilschrifttexte sowie die umfangreichen Glossare und Indizes steigern den Nutzwert dieses vorzüglichen Bandes.