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Ausgabe:

September/2019

Spalte:

868–870

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Blaschke, Theresa

Titel/Untertitel:

Euphrat und Tigris im Alten Orient.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2018. XXII, 676 S. m. 19 Abb. u. 35 Tab. = Leipziger Altorientalische Studien, 6. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-3-447-10928-4.

Rezensent:

Susanne Rutishauser

Der sechste Band der Reihe Leipziger Altorientalische Studien »Euphrat und Tigris im Alten Orient« oder, wie es – wie man nach der Lektüre dieser hervorragenden Dissertationsschrift weiß – nach altorientalischer Tradition heißen müsste »Tigris und Euphrat im Alten Orient«, schließt eine Forschungslücke. Die Publikation stellt die revidierte und aktualisierte Fassung der im Wintersemester 2016/2017 an der Universität Leipzig verteidigten Dissertation von Theresa Blaschke dar. Betreut wurde die Arbeit von Michael P. Streck und Manfred Krebernik.
Bereits in ihrer Magisterarbeit beschäftigte sich B. mit einer Flussthematik: Vorstellungen und Assoziationen, die in der frühen sumerischen und akkadischen Literatur mit den Flüssen Euphrat und Tigris verbunden sind (publiziert 2013 als Zusammenfassung in ZDMG 163: 43–60). Die Arbeit richtet sich an alle, die im Rahmen ihrer Forschung mit den Flüssen Euphrat und Tigris in Berührung kommen. Vielen Kapiteln ist eine kurze Zusammenfassung des Folgenden vorangestellt. Längere Abschnitte werden mit einem Fazit abgeschlossen. Beides hilft dem Leser sich zurechtzufinden. Ein philologischer Kommentar wird gegeben, wenn die Deutung des Textes dies erfordert. Der in Sumerisch und Akkadisch nicht ganz so sattelfeste Lesende wünschte sich wohl die eine oder andere zusätzliche Erläuterung. Nichtsdestotrotz richtet sich dieses Werk nicht nur an philologisch geschulte Leser.
Die Leitfragen der Arbeit werden in Kapitel 1.3 kurz und bündig aufgelistet und in der Zusammenfassung (593–599) abschließend beantwortet. Ziel ist, das Vorkommen der Flussnamen für Tigris Idigna (sumerisch)/Idiglat (akkadisch) und Euphrat Buranuna (sumerisch)/Purattu (akkadisch) in den Keilschrifttexten zu analysieren.
Dafür untersucht B. Texteditionen sumerischer und akkadischer Texte aus allen drei Jahrtausenden der Keilschriftüberlieferung sowie aus allen Textgattungen (rund 800 Texte). Auf nur in Keilschrift publiziertes oder unpubliziertes Material wird nicht eingegangen. In der Analyse nicht berücksichtigt werden Texte anderer Sprachen (ugaritisch, hethitisch, urartäisch, elamisch). Der Arbeit vorangestellt sind ein vollständiges Abkürzungsverzeichnis, Vorwort und die Leitlinien der Arbeit (Kapitel 1). Darauf folgt ein Überblick zur Physischen Geographie der beiden Flusssysteme (Kapitel 2). Dabei geht B. auf verschiedene hydrologische Aspekte unter Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse ein und beleuchtet diese kritisch. Ergänzt werden diese Informationen mit 13 Abbildungen meist kartographischen Inhalts und neun tabellarischen Auflistungen. Kapitel 3 beschäftigt sich mit den altorientalischen Namen von Euphrat und Tigris. Ausführlich wird auf verschiedenen Schreibungen, Lautung, Etymologie und das Appellativ i7/nāru eingegangen, acht Tabellen ergänzen die Erläuterungen. Kapitel 4 besteht aus tabellarischen Auflistungen (sortiert nach Textgattung und Epoche) zu namentlichen Belegen von Euphrat und Tigris in den Keilschrifttexten mit Kurzangaben zum Inhalt. In jeder Zeile wird vermerkt, ob Euphrat und/oder Tigris genannt werden. Im umfangreichsten fünften Kapitel werden die geographischen Angaben zu den Flüssen von der Quelle bis zur Mündung vorgestellt. Ebenfalls wird die Forschungsgeschichte zur Rekonstruktion von Euphrat und Tigris diskutiert (318–336). Zudem werden Uferbezeichnungen, Flora und Fauna besprochen. Kartographisch verortet werden diese Erläuterungen mit sechs schematischen Karten. Zwei Anhänge mit Auflistungen von Orten, die sich an Euphrat und Tigris befinden (Anhang 1), sowie eine Auflistung von Feldern entlang der Flüsse (Anhang 2) ergänzen die Angaben und dienen dank der Gliederung in Ober-, Mittel- und Unterlauf und der Nennung der Textstellen als Nachschlagewerk. Die folgenden Kapitel besprechen Flussüberquerungen und die Wahrnehmung der Flüsse als Grenze (Kapitel 6 mit fünf Tabellen), die Nutzung der Flüsse als Verkehrsweg (Kapitel 7 mit sechs Tabellen) und die Funktion der Flüsse als Wasserlieferanten (Kapitel 8 mit zwei Tabellen). Religiöse Aspekte werden in Kapitel 9 (Einbindung der Flüsse in Rituale) und Kapitel 10 (Vergöttlichung der Flüsse) angesprochen. Kapitel 11 listet auf zwei Seiten Textpassagen auf, die aufgrund ihres fragmentarischen Erhaltungszustandes nicht einzuordnen sind. In Kapitel 12 wird ein Vergleich mit anderen altorientalischen Flüssen und Flusskonzepten in benachbarten Kulturen angestellt. Das Werk schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse auf knapp zehn Seiten. Textregister, Literaturverzeichnis und kurzer Index (geographische Namen, sumerische und akkadische Begriffe, Sonstiges) runden das Werk ab.
Anhand der gesammelten Textstellen hält B. zusammenfassend fest, dass die Begriffe Buranuna/Purattu für das gesamte Euphratsystem mit verschiedenen Armen stand. Im Alten Orient wurde jedoch das Gesamtsystem des Euphrats anders definiert als heute. Einzelne Euphratarme hatten zum Teil Eigennamen. Teils synonym zum Euphrat wird der Begriff Araḫtu verwendet, teils wird dieser dafür eingesetzt, um den Flussabschnitt des Euphrats in der Region von Babylon zu bezeichnen. Der in den altorientalischen Texten als Tigris bezeichnete Flusslauf floss zentral durch die Schwemmebene; die Regionen um Nippur, Larsa, Umma und La­gaš/Girsu hatten Zugriff auf ihn. Die Wassermassen der Euphratarme, wie auch jene des in den Texten als Tigris bezeichneten Flusslaufs, müssen Arbeiten am Flussbett und die Einrichtung von Bewässerungskanälen ermöglicht haben. B. hält die Identifizierung des Tigrisarmes, der durch die Schwemmebene floss, mit dem östlichen Euphratarm für unwahrscheinlich (Argumente: 377). Die beiden Flüsse werden in literarischen und teils auch mo­numen-talen Texten als Flusspaar wahrgenommen, was auch für die Schwemmebene gilt. Euphrat und Tigris stellen bzgl. ihrer Assoziationen keine Besonderheit dar – auch andere Flüsse werden als Überflussbringer bezeichnet. Die Untersuchung von Begriffen, die gemeinhin als Ufer übersetzt werden, zeigt, dass damit jeweils spezifische Bereiche am und ums Ufer gemeint waren: »Eine Übersetzung ins Deutsche ist durch die Tatsache erschwert, dass in unserem Kulturkreis der Gegensatz zwischen Steppe und durch Flusswasser kultivierbar gemachtes Land nicht bedeutend ist. Wir leben in einer Region, in der Pflanzenwachstum durch Regen er­möglicht wird und nicht durch künstliche Bewässerung« (Blaschke, 2018: 281). Verschiedentlich ist die Aussagekraft zu einer Thematik aufgrund des Textkorpus beschränkt. Dies nennt B. jeweils konkret, erläutert den Grund und diskutiert auf dieser Basis die Ergebnisse. Es wurden nur Textstellen aufgenommen, in denen die Flüsse namentlich genannt werden. Deshalb fehlen indirekte Hinweise, wie sie bei Themen mit einem starken Orts- und Alltagsbezug (bspw. Warentransport zu Wasser, Arbeiten am Fluss) zu erwarten sind.
Die Arbeit wurde sorgfältig erstellt. Mancher Leser wird sich umfangreichere Indizes wünschen. Die Möglichkeit, das Werk als durchsuchbares PDF zu erwerben (zum gleichen Preis wie die Print-Version), schafft diesem Desiderat leicht Abhilfe. Das Werk leistet einen wichtigen Beitrag zur Grundlagenforschung und dient als Ausgangslage zur Analyse weiterer Fragestellungen – aus Philologie und Archäologie.