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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

833–835

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Stanislaus, Lazar T., and vănThanh Nguyễn [Eds.]

Titel/Untertitel:

Missionary Discipleship in Glocal Contexts.

Verlag:

Siegburg: Franz Schmitt Verlag 2018. 359 S. = Studia Instituti Missiologici SVD, 112. Kart. EUR 27,90. ISBN 978-3-87710-550-4.

Rezensent:

Miriam Leidinger

Wie ist Mission heute zu verstehen und in welchen globalen Herausforderungen der Gegenwart muss sie sich behaupten? Der von den Steyler Patres Lazar T. Stanislaus und vănThanh Nguyễn herausgegebene Sammelband »Missionary Discipleship in Glocal Contexts« sucht Antworten auf diese Fragen und vereint dazu Beiträge von Steyler Missionaren (SVD) und Steyler Missionsschwestern (SSpS).
Das Anliegen der Herausgeber ist es, Mission im Sinne einer missionarischen Jüngerschaft nach Papst Franziskus im Angesicht der Herausforderungen der Gegenwart zu analysieren und zu diskutieren. Bereits zu Beginn seines Pontifikats hat Franziskus mit seinem ersten Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium (2013) einen Schwerpunkt gesetzt, indem er mit dem Begriff »missiona-rische Jüngerschaft« ein erweitertes Missionsverständnis prägte. Demnach gehören sowohl das Jünger- als auch das Missionarsein, also die Nachfolge Jesu und das In-die-Welt-hinausgesandt-Sein, dazu. Als Getauften ist uns allen, so Papst Franziskus, die missionarische Jüngerschaft zugesprochen. Er aktualisiert und radikalisiert damit, was bereits auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Ad gentes (AG) festgehalten wurde, nämlich dass die »Kirche ihrem Wesen nach missionarisch ist« (AG 2).
Die Praxis der Mission wird jedoch angesichts der globalen und alles transformierenden Entwicklungen der Gegenwart auf die Probe gestellt. Sie findet in »glokalen« Kontexten statt und muss sich dort bewähren, so die Herausgeber in ihrer Einführung (vgl. 7–9). Mit dem Ausdruck »glokal« ziehen sie dabei einen Begriff heran, der zunächst in den 1970er Jahren in den Umwelt- und dann den Wirtschaftswissenschaften geprägt wurde und der sich am besten mit dem Merksatz »Think globally, act locally!« zusammenfassen lässt. Dahinter steht die schlichte, doch weitreichende Erkenntnis, dass sich globale und lokale Prozesse wechselseitig bedingen und verstärken (vgl. den Beitrag von Philipp Gibbs zum Phänomen »Globalisierung«, 13–27).
Der erste Teil des Bandes widmet sich entsprechend, jeweils in einzelnen Beiträgen, den Herausforderungen der glokalen Gegenwart: Globalisierung, Digitalisierung, Migration und Frauen, Postmoderne und »Post-Wahrheit«, Ökologie. Ausführlich stellen die Autoren die Phänomene und ihre Problematik dar: Christian Tauchner analysiert die Digitalisierung und das Phänomen »Big Data« und beschreibt das damit verbundene Dilemma unserer Informationsgesellschaft, zwar Kommunikation zu schaffen, aber keine Inhalte zu stiften (vgl. 29–58). G. Lazar und Timothy Lenchak thematisieren den Zusammenhang von Migration und Geschlecht und machen besonders auf die Situation von weiblichen Arbeitsmigrantinnen (z. B. als Haushaltsangestellen) in einer exklusiven und ungerechten globalen Gesellschaft aufmerksam (vgl. 59–71). S. M. Michael wiederum beschwört die Fähigkeit des christlichen Glaubens in einer postmodernen und dem Relativismus zugeneigten Gesellschaft, im besten Sinne »Leitplanken« anzubieten (vgl. 73–90). Schließlich diskutiert Anthony Le Duc die ökologische Krise und stellt Papst Franziskus’ Laudato Si im Sinne eines allgemeinen gesellschaftspolitischen Impulses dar (vgl. 91–117).
Der zweite Teil bringt dann biblische, theologische und missionswissenschaftliche Perspektiven zum Verständnis missionarischer Jüngerschaft im Hinblick auf die benannten glokalen Herausforderungen ein. VănThanh Nguyễn erörtert die biblischen Grundlagen der Jüngerschaft und zieht dazu insbesondere das Lukasevangelium mit seinem Aufruf, das Reich Gottes zu predigen, heran (vgl. 121–135). Stephen Bevans führt die Überlegungen aus missionswissenschaftlicher Sicht fort und unterstreicht dabei das Potenzial und den Auftrag missionarischer Jüngerschaft, sowohl sich selbst verändern zu lassen als auch Veränderungen herbeizuführen. Ähnlich argumentiert Roger Schroeder, der das Hauptaugenmerk einer interkulturellen Theologie darauf sieht, (ge)rechte Beziehungen herzustellen. Dabei erinnert er nicht zuletzt an den bereits in Redemptoris missio (1990) von Papst Johannes Paul II. geäußerten Auftrag, das Evangelium an den »modernen Areopagen« (RM 37) zu verkünden, d. h. in den »Foren« der Gegenwart wie insbesondere der Welt der sozialen Kommunikation (vgl. 151–164). Im Angesicht der weltweiten ökologischen Krise präsentiert John Mansford Prior Einblicke aus der Ökotheologie als Antwort auf Anthropozentrismus und einen globalen Konsumkapitalismus (vgl. 165–180) und P. Budi Kleden beschreibt das Ziel einer glokalen Spiritualität im Sinne eines Unterstützens und Verteidigens lokaler Kulturen (vgl. 191–194). Raymundus Sudhiarsa geht schließlich auf die Ausbildung der Steyler Missionare selbst ein und hebt die Unterweisung im »prophetischen Dialog« als zentrales Anliegen hervor: Dialog sei nicht genug; dieser müsse vom Anprangern un­gerechter Situationen und Strukturen begleitet werden (vgl. 195–209). Ein persönlicher Erfahrungsbericht von Matthias Christian aus seiner Zeit als Steyler Missionar in Taiwan rundet den zweiten Teil des Bandes ab (vgl. 211–223).
Im dritten Teil werden schließlich konkrete Beispiele aus der Praxis der Steyler Missionare (SVD) und Steyler Missionsschwestern (SSpS) als »Paradigmen« bzw. konkrete Orte gelebter missionarischer Jüngerschaft vorgestellt. Das Spektrum reicht u. a. vom Einsatz für einen sozialen Frieden im Sinne von »restorative justice« in der Arbeit mit Opfern in Brasilien, über das Thema »Migrantenpas-toral« in Österreich, bis hin zur Entstehung und Bedeutung sogenannter Kleiner Christlicher Gemeinschaften oder christlicher Basisgemeinschaften in Lateinamerika, Afrika und Asien.
Der Sammelband bietet einen umfassenden Einblick in die Bedeutung missionarischer Jüngerschaft in der glokalen Gegenwart. Durch die Aufteilung in drei Teile, die dem ethischen Dreischritt »sehen«, »urteilen«, »handeln« folgen, ist es möglich, sich sowohl gezielt über die Phänomene zu informieren als auch diese theologisch einzuordnen und zu beurteilen sowie im Licht der persönlichen Narrativa im Sinne von Best-Practice-Beispielen zu konkretisieren. Die verschiedenen Teile bzw. Sichtweisen auf das Thema komplementieren sich gegenseitig; dabei beeindrucken der reiche Erfahrungsschatz sowie die wissenschaftliche Exper-tise der Steyler Missionare und Missionsschwestern. Bedauernswert ist jedoch, dass dadurch die radikale Idee des Missionsverständnisses von Papst Franziskus, missionarische Jüngerschaft sei nicht nur etwas für »Profis«, sondern Aufgabe aller Getauften, in der Anlage des Buches nicht auf den ersten Blick zum Tragen kommt – wenngleich in vielen Beiträgen die Rolle von Laien gewürdigt wird.
Der Sammelband ist aufgrund seiner zahlreichen Perspektiven auf das Thema zu empfehlen. Er ist geeignet als Grundlage für die Fortführung des Dialogs, wie missionarisches Arbeiten in Zukunft aussehen könne – gerade da Papst Franziskus für Oktober 2019 den außerordentlichen Monat der Weltmission ausgerufen hat. Zur Vorbereitung darauf sei es auch den deutschsprachigen Leserinnen und Lesern empfohlen, die die englische Sprache nicht scheuen.