Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

832–833

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Eberspächer, Cord, Labisch, Alfons, u. Li Xuetao[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Wissensaustausch und Modernisierungsprozesse zwischen Europa, Japan und China.

Verlag:

Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaft, Halle ([Saale]). 2018. 389 S. m. Abb. = Acta Historica Leopoldina, 69. Kart. EUR 28,95. ISBN 978-3-8047-3706-8.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

Der vorliegende Sammelband ist als Nummer 69 der Acta Historica Leopoldina, der Schriftenreihe der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Halle (Saale), erschienen. Er vereinigt ausgewählte Referate von zwei wissenschaftlichen Konferenzen, die im Leopoldina-Studienzentrum in den Jahren 2011 und 2014 stattfanden. Die eine stand unter dem Thema »Medizin als Medium Multipler Modernitäten – Transaktionen und Kontingenzen zwischen China, Deutschland und Japan im 19. und 20. Jahrhundert« und die andere beschäftigte sich mit »Wissenstransfer und Modernisierungsprozesse zwischen Europa und Ostasien. Problemstand, Frage, theoretische Ansätze, Methoden, Arbeitsvorhaben«.
Herausgekommen ist ein Konferenzband, der 23 hochkarätige Beiträge enthält, die inhaltlich zwischen außereuropäischer Ge­schichte, Wissenschaftsgeschichte – insbesondere der Medizin- und Technologiegeschichte, Entdeckungsgeschichte, Philosophie sowie Missions- und Kolonialgeschichte – angesiedelt sind. Diese sind in fünf Komplexe gegliedert.
Nach einer Einleitung durch die Herausgeber werden vier Beiträge unter der etwas kryptischen Überschrift zu »achsenzeitlichen Hintergründen der Weltkulturen« vorgestellt. Erwähnenswert sind vor allem die Beiträge von Fabian Heubel über eine »Hybride Modernisierung in der chinesischen Philosophie« sowie die für die Weltgeschichte äußerst relevante Studie über »China in der Geschichte der frühen Globalisierung« von Reinhard Spree. Der Vf. schildert in jeweils eigenen Kapiteln die Rolle Chinas in den Globalisierungsabläufen des 9. bis 15. Jh.s, die er als expansiv charakterisiert. Ab etwa 1500 trat dann zunehmend ein Rückzug ein. Bevor europäische Einflüsse, nicht zuletzt durch christliche Missionare, sichtbar wurden, vergingen noch etwa drei Jahrhunderte.
In dem folgenden Komplex unter der Überschrift »Wann setzt in China Moderne ein?« skizziert Cord Eberspächer Forschungsstand, Themen und Methoden der Forschungen zur Geschichte Chinas. Für jeden an der Geschichte Chinas und der Beziehungen des Landes mit Deutschland interessierten Leser sind zwei Beiträge besonders hervorzuheben. Li Jie stellt das bislang noch recht wenig be­kannte China-Archiv der Krupp-Stiftung vor und Wen Xin umreißt das Chinabild in deutschen Reiseberichten. Es waren nicht nur Forschungsreisende, die über das Reich der Mitte informierten, sondern zunehmend auch Missionare. Diese in China bislang weitgehend unbekannten Quellen, denn viele davon sind in der Kulturrevolution vernichtet worden, berühren eine Thematik, die gegenwärtig großes Interesse an chinesischen Universitäten hervorruft.
Es folgt ein aus sechs Einzelbeiträgen bestehender Komplex über »Medicine as a Medium of multiple Modernities«. Geographisch und zeitlich sind sie auf Deutschland, Japan und China im 19. und 20. Jh. konzentriert. Hier sei insbesondere die Studie von Walter Bruchhausen über den Transfer medizinischen Wissens zwischen deutschsprachigen Missionaren in Südchina und Vertretern der westlichen Medizin zum Ende des 19. Jh.s hervorgehoben. Völlig zu Recht wird betont, dass der häufige alltägliche Kontakt zwischen Vertretern der europäischen Medizin und chinesischer Bevölkerung vor allem in der christlichen Missionsarbeit stattfand. Denn die nach Übersee ausgesandten deutschsprachigen Missionare verfügten zumindest über Grundkenntnisse der Medizin, ganz abgesehen von den ausgebildeten sogenannten Missionsärzten. Im Mittelpunkt der Ausführungen stehen hier die Rheinische und die Basler Missionsgesellschaft. Indes lassen sich ähnliche Prozesse auch bei anderen Gesellschaften, wie der Berliner Mission, feststellen. Der Vf. geht jedoch über die Beschreibung dieses gegenseitigen Begegnungs- und Lernprozesses hinaus. Aus den Berichten früher Missionsärzte liest er heraus, dass die Medizin als besondere Chance einer nicht leichten Missionstätigkeit begriffen wurde, die Kooperation aber auch Feindschaften zwischen den Ärzten mit verschiedenen indigenen Interessengruppierungen hervorrief. Immerhin setzten sich spezielle Methoden der westlichen Medizin in der lokalen Gesundheitsfürsorge fest, die nicht immer von der chinesischen Elite anerkannt oder übernommen wurden. Das bedeutete für die deutschen Missionare einerseits geradezu einen Balanceakt zu überstehen zwischen der Anpassung an lokale Vorstellungen und Notwendigkeiten und andererseits Zugeständnisse an der Orientierung an europäisch-christlichen Werten zu machen, wie der vermeintlich universalen Wissenschaftlichkeit der Medizin.
Die folgenden fünf Beiträge gehen an mehreren konkreten Beispielen auf die Bedeutung von Übersetzungen als Methode des »eurasischen Wissenstransfers« ein. Auch hier wird deutlich, dass einige europäische Missionare einen nicht unbedeutenden Anteil an der Entwicklung von linguistischen und darüber hinaus von breiter angelegten sinologischen Studien haben.
Zum Abschluss des Sammelbandes werden drei Kommentare bzw. abschließende Übersichten präsentiert.
Eine begrüßenswerte Besonderheit ist, dass an den genannten Tagungen, aus denen das Werk hervorgegangen ist, nicht nur europäische, sondern auch Teilnehmer aus den betreffenden Ländern und Regionen beteiligt waren. Das sollte eigentlich bei wissenschaftlichen Forschungen zum Wissensaustausch oder zu speziellen Themen der Globalgeschichte Normalität werden.