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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

791–793

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Tück, Jan-Heiner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Feuerschlag des Himmels«. Gespräche im Zwischenraum von Literatur und Religion.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2018. 196 S. = Poetikdozentur Literatur und Religion, 3. Geb. EUR 18,00. ISBN 978-3-451-38184-3.

Rezensent:

Johann Hinrich Claussen

Es ist eines der wenigen Hoffnungszeichen für die christliche Theologie, dass der garstige Graben zwischen Literatur und Reli-gion schmaler geworden und leichter zu überwinden ist. Von Seiten der Theologie hatte es eigentlich immer schon ein intensives Interesse an der Literatur der Gegenwart gegeben, wenn auch der Blick häufig auf kirchennahe und milieugetreue Schriftsteller be­schränkt blieb. Doch auf Seiten der Gegenwartsautoren von Rang zeigte sich oft ein erhebliches Distanzbedürfnis. Man wollte aus guten oder schlechten Gründen Abstand halten zu theologischen Annäherungsversuchen. Man fürchtete wohl um die eigene künstlerische Autonomie. Die deutlich geminderte Kulturmacht der Kirchen und ihrer Theologien hat nun ihr Gutes darin, dass sie ein unbefangenes Aufeinanderzugehen ermöglicht. Mit angstfreier Neugier kann man heute die jeweils andere Seite erkunden und befragen. Wie fruchtbar solche theo-literarischen Erkundungen sein können, zeigt sich in vielen neueren Publikationen, ganz be­sonders in den Essays des ehemaligen »Sinn und Form«-Redakteurs Sebastian Kleinschmidt (»Spiegelungen«, Berlin 2018).
Es sind heute also fruchtbare Gespräche zwischen Theologie und Literatur möglich. Man muss sie allerdings zu führen wissen. Hier kann man bei Jan-Heiner Tück, dem Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, vieles lernen. Er beschränkt sich nicht darauf, viel zu lesen und das Gelesene theologisch zu interpretieren, sondern er eröffnet neue Begegnungsräume. So lädt er Schriftsteller dazu ein, in aller Freiheit das weite Feld von »Religion und Literatur« zu vermessen und sich selbst darin zu verorten. Dazu hat er an seinem Lehrstuhl eine eigene Reihe von Poetikdozenturen eingerichtet. Die Theologie ist also zunächst Gastgeberin und Zuhörerin. Dann aber tritt sie in den Dialog ein. Dies dokumentiert ein schmaler Band mit Gesprächen, die T. mit seinen Poetikdozenten geführt hat – viele davon »in schriftlicher Form«, also wahrscheinlich als E-Mail-Korrespondenz. Diese Unterhaltungen bereiten die Vorlesungen in Wien vor und nach, vertiefen und erweitern sie. T.s Gesprächspartner sind Sibylle Lewitscharoff, Thomas Hürlimann, Nora Gomringer, Hartmut Lange, Christian Lehnert, Michael Köhlmeier und Ilija Trojanow. Das ist eine illustre und plausibel zusammengestellte Runde, allerdings hätte man gern etwas über die Kriterien der Auswahl erfahren.
Als Voraussetzungen für ein gutes Gespräch benennt T. »Offenheit und Neugier, wechselseitige Hör- und Auskunftsbereitschaft«. Er besitzt diese Tugenden in großem Maße, dazu eine gute Portion Leselust und literarisches Urteilsvermögen. Auf seine Gesprächspartner hat er sich jeweils intensiv vorbereitet, ihr Werk studiert und jeweils eigene Deutungsperspektiven gewählt. Doch belässt er es nicht dabei, bloß zu fragen und hermeneutische Hebammen-Dienste zu leisten, sondern er trägt viele eigene, ausführliche theo logische Anregungen in das Gespräch ein. Damit vermeidet er den bedauerlichen Fehler einiger Kultur-Theologen, die sich nicht recht zu trauen scheinen, das Ihre hörbar zu machen, und dadurch gerade bei ihren Künstler-Gesprächspartnern für Enttäuschung sorgen. T.s Literatur-Dialoge sind gerade darin beispielhaft und lehrreich, dass sie zeigen, welche Erschließungskraft theologische Gedanken und Traditionsstücke im Gespräch mit zeitgenössischen Autoren besitzen. Man muss sie nur mit einer feinen Balance aus Hörbereitschaft und Auskunftsfreude, Unaufdringlichkeit und Selbstbewusstsein in den Fluss von Zuhören und Sprechen hineingeben.
So gelingen T. sehr unterschiedliche Gespräche. Nora Gomringer führt im Dialog mit T. zu den existentiellen Quellen ihres lyrischen Werks. Dabei scheut sie vor christlich-affirmativen Aussagen nicht zurück, ohne dass dabei ein falscher Zungenschlag laut würde: »Das Beten ist neben der Aussicht auf die Auferstehung das schöns-te Geschenk Gottes an uns.« Und wie nebenbei zeigt Gomringer am Beispiel ihrer literarischen Erkundungen der eigenen Familien-geschichte, wie man mit deutschen Schuldfragen angemessen um-gehen kann. Aber auch mit dezidiert nicht-religiösen Autoren wie Hartmut Lange kann T. theologisch hochanregend diskutieren, weil er nie den Verdacht erregt, vereinnahmen zu wollen. Zudem kann er zwischen sehr verschiedenen Niveaus unverkrampft hin- und herwechseln, wenn er mit Christian Lehnert eine hochstufige Debatte über die Poetik einer negativen Theologie führt oder mit Michael Köhlmeier über eine unverstellte Erzähllust nachdenkt. Eine Enttäuschung, wenn auch eine lehrreiche, ist lediglich das Gespräch mit Thomas Hürlimann. Hier zeigt sich, welche Niveauverluste drohen, wenn ein Künstler das Seine vergisst und sich ins Meinungshafte verliert. Mehr als twitterhafte Ressentiments hat er dann nicht zu bieten. Auch für Theologen bietet Hürlimann da unfreiwillig ein abschreckendes Beispiel.