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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

744–746

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Ziolkowski, Eric [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

The Bible in Folklore Worldwide. Vol. I: A Handbook of Biblical Reception in Jewish, European Christian, and Islamic Folklores.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2017. XVI, 378 S. = Handbooks of the Bible and Its Reception, 1/1. Geb. EUR 159,95. ISBN 978-3-11-028671-7.

Rezensent:

Beate Ego

Das vorliegende Handbuch beginnt mit einem einführenden Artikel, der die einschlägigen Begriffe des Titels genauer umschreibt. Dabei wird deutlich, dass sowohl der Terminus »Bibel« als auch der der »Folkore« hier in einem sehr weiten Sinne verstanden wird. So meint »Bibel« hier nicht die Schriften des jüdischen, protestan-tischen oder katholischen Kanons im engeren Sinne, sondern vielmehr auch die Apokryphen sowie »the ever-expanding and ulti-mately limitless array of oral tales, characters, themes, motifs, images, expressions, idioms, and other narrative and lyric elements that have emanated from all those scriptures into the oral traditions and popular cultures of peoples literally around the globe« (7). Als Modus der Weitergabe der Stoffe spielt dabei die Mündlichkeit der Weitergabe bzw. visuelle Medien ein herausragende Rolle. Da der Koran viele Traditionen mit der biblischen Überlieferung teilt, sollen auch muslimische Traditionen in den Blick genommen werden (8 f.).
Der Herausgeber bemüht sich im Folgenden auch um eine Definition des Begriffes »Folklore«, wobei er sowohl auf die Geschichte der sogenannten »Völkerkunde« als auch auf unterschiedliche Be­griffsverständnisse in Europa und den Vereinigten Staaten rekurriert. Letztlich findet sich zwar keine durchgehende Definition dessen, was die einzelnen Autoren unter »Folklore« verstehen, gemeinsam ist aber allen der Fokus auf »verbal folklore«. Es geht um »artistic communication in small groups«, die aber nicht auf die mündliche Weitergabe beschränkt ist, auch Literatur- und Bildwerke können unter den Begriff »Folklore« subsumiert werden (so die rumänischen Glasmalereien von Maria, die S. Stephen-Bilder und -Statuen in mittelalterlichen Kirchen in Schweden und Finnland, die Gog- und Magog-Statuen in der Gildenhalle in London, ein Theater mit Holzpuppen in der Ukraine oder traditionelle Ostereier aus Russland …) (1–31).
Auf diesen Einstieg folgen dann die eigentlichen Essays: 1. Yosef Tobi zu den mizrachischen Traditionen (e. g. Bibelübersetzungen ins Arabische und Judenpersische, Bibeltraditionen in persischen, neuaramäischen und judäo-arabischen Dichtungen und weitere Geschichtensammlungen), 43–60; 2. Tamar Alexander zu den Sephardim (Balladen, sogenannte Coplas [ein bestimmter Liedertyp], Geschichten über Salomo, Elia etc., volkstümliche Theaterstücke, Sprichwörter und Rätsel), 61–86; und Vered Tohar zu den Aschkenasen (vor allem die Sammlung aus dem 16. Jh. »Hibbur ha-ma’asiyot me-ha-midrashot ve-ha-haggadot«), 87–110. Weitere sieben Artikel beziehen sich auf die Rezeption biblischer Motive in unterschiedlichen christlichen Kulturen: 4. Nicolae Babuts, »French and Romanian« (französische Traditionen wie das Ro­landslied aus dem Mittelalter sowie rumänische Bibelgeschichten aus dem 16.–19. Jh., mit Glasmalereien), 111–132; Christa Agnes Tuczay, »German« (Sprichwörter, Brauchtum, biblische Figuren in unterschiedlichen Märchen), 133–156; Tracey R. Sands, »Nordic / Scandinavian« (Erzählungen zum König Salomo; vor allem Traditionen zu St. Stephen), 157–183; Anthony Swindell, »British and Irish« (Adam und Eva-Erzählungen: Judit sowie biblische Zaubersprüche in den schottischen Highlands), 183–210; Roberta Reeder, »East Slavic« (Zaubersprüche, apokryphe Erzählungen, wobei vorchristliches Material sich mit den biblischen Traditionen verbindet), 211–228; Margaret Ziolkowski, »West Slavic« (ma. Legenda Aurea; Motiv des Teufels, aber auch Marientraditionen und bemalte Ostereier), 229–253; Florentina Badalanova Geller, »South Slavic« (Traditionen aus dem 19. Jh; vor allem eine Nacherzählung der Urgeschichte mit dem entsprechenden Bildmaterial), 253–306, und schließlich R. S. Burge »Islamic« (allgemein zur Relation von Bibel und Koran sowie zu Salomo-Traditionen mit dem entsprechenden Bildmaterial).
Dass die Beiträge des Bandes von unterschiedlicher Qualität sind, liegt in der Natur der Sache. Während sich die meisten Bei-träge um eine historische, kulturgeschichtliche und soziologische Kontextualisierung ihrer Quellen bemühen und die Relevanz des Materials auch zu werten versuchen, stellt der Beitrag zu den Traditionen in Deutschland ein höchst eigenartiges Sammelsurium verschiedener biblischer Sprichwörter, Traditionen und Gebräuche dar, deren »Sitz im Leben« und historische Einbindung nicht näher spezifiziert wird. Wann und wo legte man in Württemberg eine Seite des Neuen Testaments in die Windeln des Täuflings, um das Kind bei der Taufe vor Dämonen zu schützen? Wo mauerte man die B ibel als eine Art Bauopfer ein, damit das Haus nicht kollabiert? Und die Bibel als Beigabe im Sarg für die Reise in die jenseitige Welt?
Insgesamt ist festzustellen, dass die einzelnen Beiträge interessant und anregend zu lesen sind und einen guten Einblick in die unterschiedlichen folkloristischen Traditionen, die aus der biblischen Überlieferung schöpfen, geben, zumal jeder Beitrag mit einer ausführlichen Bibliographie schließt. Da die einzelnen Autoren den Terminus »Folklore« aber ganz unterschiedlich interpretieren, sind die einzelnen Artikel jedoch nur begrenzt kompatibel, und es wäre zu überlegen, inwieweit es nicht sinnvoll gewesen wäre, hier eine stärkere Fokussierung des Begriffes »Folklore« durchzuführen bzw. die Autoren darum zu bitten, ein bestimmtes Raster auf ihre Quellen anzulegen (unterschiedliche literarische Formen, Brauchtum, bildliche Darstellungen etc.).
Der Band schließt mit einem Register zu den Belegen aus Bibel, Apokryphen, Pseudepigraphen und Koran, einem Folklore-Index (nach Aarne-Thompson [1961], Aarne-Thompson-Uther [2004] und Thompson’s Motif-Index of Folk-Literature [1932–36]) sowie einem allgemeinen Stichwortverzeichnis. Teil 2 des Handbuchs mit dem Titel »A Handbook of Biblical Reception in Folklores of Africa, Asia, Oceania, and the Americas« ist für November 2019 angekündigt.