Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

740–742

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Dafni, Evangelia G. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottesschau – Gotteserkenntnis. Studien zur Theologie der Septuaginta, Bd. I.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XVI, 274 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 387. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-155553-4.

Rezensent:

Martin Meiser

Innerhalb der weltweit erfreulich aufgeblühten Septuagintaforschung hat sich nun auch Thessaloniki als Forschungsstandort mit Schwerpunkt auf der Theologie der Septuaginta etabliert, was auch durch die Begründung einer neuen Subreihe »Studien zur Theologie der Septuaginta – Studies on the Theology of the Septuagint (STLXX)« zum Ausdruck kommt. Der hier zu besprechende Band enthält die Vorträge der 3. Internationalen Jahreskonferenz zur Theologie der Septuaginta (09.–11.03.2016).
Emanuel Tov (»Textual Problems in the Descriptions of Moses’s Ascent to Mt. Sinai in Exodus 19, 24, 32, and 34«; 3–18) zeigt, dass in allen relevanten Texttraditionen sich harmonisierende Züge finden. Die Kopisten arbeiteten auf Mikro-Ebene und ließen die literarisch komplexe Struktur unangetastet. Nur in Ex 24LXX wird eine zu große Unmittelbarkeit in der Gottesschau vermieden. Jan Joos-ten (»Seeing God in the Hebrew Bible and the Septuagint«, 19–27) hält fest, dass die Gottesschau als ebenso gefährlich wie ersehnt befunden wird, vergleichbar der Begegnung mit einem König; nur sehr eingeschränkt sind substantielle Unterschiede zwischen Septuaginta und Masoretischem Text erkennbar. Hans Ausloos zufolge (»Beyond Maximalism and Minimalism: The Theophany in 1Kings 19:11–12 and the Theology of the Septuagint«, 29–39) ist die Wiedergabe des in der Bedeutung unklaren הממד mit λεπτῆς durch die Ableitung von der Wurzel םוד (»still sein«) bedingt. Es lasse sich nicht erweisen, ob der Übersetzer den vor ihm liegenden Ausdruck nicht anders gekannt hat oder ob er einen bewussten Kontrapunkt zur Sinaitheophanie herstellen wollte – insofern ist bei jeder Konstruktion einer »Theologie der Septuaginta« Vorsicht geboten. Mario Cimosa (»The Revelation and Knowledge of God in the Septuagint: Exodus, the Wisdom Books and Psalms«, 43–61), behandelt Texte wie Ex 24; Sap 12,1 f.; Ps 18[19] u. a. Vor allem neutestamentliche (vgl. 56 den Verweis auf eine strukturelle Analogie von Ps 18[19] zu Röm 1,19–23; 2,12–23) und patristische (vgl. 53 den Verweis auf Augustins Confessiones, leider ohne Stellenangaben) Rezeptionshorizonte sind leitend, doch bleibt die hermeneutische Reflexion dazu unbefriedigend.
In ihrem materialreichen Beitrag beschreibt Ekaterina Matusova (»›Seeing‹ God in Alexandrinian Exegesis of the Bible«, 63–86) die anti-anthropomorphe Deutung von Ex 19 bei dem als Peripatetiker geltenden Aristobul und Philo von Alexandria, dessen Theologie auf mittelplatonischem Hintergrund erklärt wird. Die Nähe z. B. zu Alkinoos lässt auch die Ähnlichkeit zwischen Plotin und Philo in vielen Einzelmotiven erkennbar werden. Dabei ist Philo von Ideen parabiblischer Literatur beeinflusst, wie sie u. a. in 1QH und 4Q400 zu finden sind. Gert J. Steyn (»›Show me yourself …‹: The Reception of Exodus 33:13 [LXX] by Philo of Alexandria«, 87–102) zufolge deutet Philo (Mut. 1–12; Leg III 95–103; Post. 12–18; Spec I 41) die Bitte Moses mit Hilfe griechisch-philosophischer Versatzstücke als Bitte um die Wesenserkenntnis. Gillian Mary Clare Bonney (»Revelation and Knowledge of God in a Patristic Interpretation of the Septuagint Text of Exodus 33:18–23«, 103–117) thematisiert die Frage der Erkennbarkeit Gottes bei Gregor von Nazianz im Rahmen einer geistesgeschichtlichen Gesamtschau. Dmitry Afinogenev (»A Lost Hellenistic-Jewish Source of Middle Byzantine Chroniclers: New Fragments«, 119–126) erschließt für zwei byzantinische Chroniken (Georg der Mönch; Symeon) aus der altkirchenslavischen Übersetzung des zuerst genannten Werkes eine Quelle, die Stoffe aus der biblischen Genesis mit Darstellungen aus anderen frühjüdischen Werken (z. B. Jubiläenbuch) anreichert. Peter Nagel (»›God‹ Constructs at Kirbet Qumran: The Sectarian Manuscripts and the New Testament«, 127–142) verweist auf den unsystematischen Gebrauch der Gottesbezeichnungen in den griechischen Manuskripten von Qumran, in denen κύριος keineswegs als das selbstverständliche Äquivalent für הוהי fungiert. Antike jüdische wie neutestamentliche Texte kennen durchaus unterschiedliche Gotteskonzeptionen. Dimitrios Z. Nikitas (»Ut Phoenix. Symbolik und Ambivalenz in der Dichtung des Laktanz«, 143–159) arbeitet Elemente paganer Mythologie, aber auch biblisch fundierter Theologie bei Laktanz heraus. Für die Gleichsetzung des paganen mit dem alttestamentlichen Phoenix auf der Grundlage von Ps 91,13 verweist er auf Tertullian, res. 13.
Martin Rösel (»Wie Gott sich erkennen lässt: Gottesschau und Gotteserkenntnis in der Septuaginta«, 163–176) versteht die Differenzen zwischen Ex 19,3; 24,8–11 etc. als bewusste Änderungen, die als Baustein einer diachron zu erstellenden »Theologie der Septuaginta« zu gelten haben. Einer Kritik an Jan Joostens These der Pointierung der Gottesschau aufgrund ägyptischer Vorbilder folgt eine Analyse von Septuagintatexten, bei denen die Vorstellung einer unmittelbaren Gottesbegegnung ersetzt wird durch das Konzept des intellektuellen Erkennens. Raik Heckl (»Die Gotteserkenntnis und das Bekenntnis des Darius in Daniel 6,27 f. [LXX] als inhaltliches Zentrum von 1Esdras«, 177–206) zufolge hat Dan 6,27 f.LXX mit ihrer Zuspitzung (»alle Völker sollen dem Gott Daniels dienen«) in 1Esdr 4,43–46 eingewirkt und auch zu dem in 1Esdr 6 erwähnten königlichen Erlass den Hintergrund abgegeben. Im Zuge dessen ist in 1Esdr die Nehemiageschichte ausgefallen, da der Wiederaufbau des Tempels durch ein direktes Einwirken Gottes auf den fremden König veranlasst sein sollte (197). Das zweite Jahr des Darius stellt nach 1Esdr die Heilswende dar; die kurze Regentschaft des Kyros nur deren Vorbereitung. Christoph Elsas (»Prozesse kulturgeschichtlicher Prägung bei der Vermittlung heiligen Wissens«, 207–219) gibt, von den in Syrien im 2. Jh. n. Chr. zuerst verbreiteten »Chaldäischen Orakeln« ausgehend, einen Überblick über Kontinuitäten und Wandlungen antiker Konzeptualisierungen diverser Divinationsmethoden. Evangelia G. Dafni (»Gotteserkenntnis in Platons Theaitetus und in der Septuaginta«, 221–255) fragt nach Analogien und Differenzen zwischen alttestamentlichem und griechischem Verständnis der Gotteserkenntnis; Letztere sind im biblischen Monotheismus gegeben. Unbeschadet dessen liegt eine Analogie darin, dass nicht sinnliche Wahrnehmung, sondern intellektuelles Erkennen das Wesen der Gotteserkenntnis ausmacht. Texte aus der Urgeschichte dienen weiteren biblischen und frühjüdischen Autoren als wesentliche Quelle; die Septuaginta-Fassungen in Gen 1–3 nehmen ihrerseits teilweise auf Platon gewichtigen Bezug. Dass Platon »mehrfach ein Wissen von alttestamentlichen Zusammenhängen bezeugt« (255), scheint mir mindestens der Reformulierung bedürftig.
Die Etablierung des Forschungsstandortes Thessaloniki trifft zeitlich zusammen mit der Etablierung der Septuaginta-Forschung in mehreren Ländern und Sprachregionen im östlichen Mitteleuropa und in Osteuropa. Vorhandene und noch anzustrebende Synergie-Effekte können zu dem wünschenswerten Erfolg aller dieser Projekte beitragen.