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Ausgabe:

Juli/August/2019

Spalte:

723–725

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nordhofen, Eckhard

Titel/Untertitel:

Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2018 (2. Aufl 2019). 331 S. Geb. EUR 34,00. ISBN 978-3-451-38146-1.

Rezensent:

Bernhard Lang

»Die anarchische Kraft des Monotheismus«: Wer den Untertitel des Buches von Eckhard Nordhofen liest, denkt wahrscheinlich zuerst an den Widerstand von jüdischen und christlichen Gläubigen gegen staatlich verordneten heidnischen Götterkult (1Makk 2,22; Apg 17,7). Juden und frühe Christen mussten den Behörden des heidnischen Staates als Anarchisten erscheinen. Das Thema kommt in dem hier anzuzeigenden Buch nicht vor. N. sieht von dem Konflikt der Gläubigen mit dem Staat ganz ab. Stattdessen thematisiert er den »Anarchismus« innerhalb der Religion selbst. Denn Anarchismus, so die These N.s, kennzeichne die innere Entwicklung der Religion, wie sie sich in den Schriften des Alten und Neuen Testaments spiegelt. Der religiöse Anarchist verlässt, manchmal unter lautem Protest, eine bestehende religiöse Ordnung, um sich eine neue Ordnung zu schaffen. Dabei geht es stets um die Vergegenwärtigung Gottes in einem greifbaren irdischen Mittel, einem »Medium«. N. hebt drei Leitmedien hervor, die er nach folgendem Schema drei Religionen zuordnet:
Kultbild – Idolatrie – Heidentum; Heilige Schrift – Grapholatrie – Judentum; Christus – Inkarnation – Christentum. Der Wechsel vom Heidentum zum Judentum ist ebenso mit einem anarchischen Paradigmenwechsel verbunden wie der Wechsel vom Judentum zum Christentum, wenngleich, wie N. einräumt, der Bruch zwischen Heidentum und Judentum schroffer ausfällt als der zwischen Judentum und Christentum, haben die Christen doch die heiligen Schriften behalten und diesen sogar noch weitere, im Neuen Testament zusammengestellte, hinzugefügt.
Das Interesse N.s konzentriert sich auf den Wechsel vom »grapholatrischen« zum »inkarnatorischen« Paradigma. Entscheidend ist der Protest gegen die Grapholatrie (ein neues Wort für Lessings »Bibliolatrie«), den Buchstabenglauben der Schriftgelehrten. Akteur ist Jesus, von den Evangelien in mehrfachem und schließlich tödlichem Konflikt mit der Religionspraxis seiner Zeit dargestellt. Nicht in der Heiligen Schrift, sondern im menschlichen Leib verkörpere sich Gott, lautet die neue Botschaft. Auf eine Formel bringt sie der Johannesprolog mit der Aussage, das »Wort« sei »Fleisch« – d. h. Mensch – geworden. Damit haben wir nach dem Bildcorpus und dem Textcorpus ein drittes Corpus: den menschlichen Leib Jesu. In seinem Leib manifestiert sich Gott; er ist das neue Medium für Gottes Präsenz in der Welt. An diese christologische Pointe seiner Darlegung schließt N. eine weitere Pointe an. Er stellt sie unter das Motto »Inkarnation für alle«. Dabei knüpft er an eine von Karl Rahner inspirierte Überlegung an: Auf die »vertikale Inkarnation« Gottes in Christus müsse eine »horizontale Inkarnation« der Wesensart Christi in den Christusgläubigen folgen. Ihr Symbol ist das Brot, um welches im Vaterunser gebetet wird – kein gewöhnliches, den physischen Hunger stillendes Brot, sondern eine geistige Speise. Sie ist identisch mit dem Brot des Abendmahls. Die Stiftung des heiligen Mahles soll die »Verbindung des Gottesgeistes mit dem Menschenfleisch, das Modell der Inkarnation, die in Jesus manifest geworden war, über seinen Tod hinaus retten« (289). Als weiteren Beleg für die »Inkarnation für alle« verweist N. auf ein Pauluswort: Ihr seid »ein Brief Christi … geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern – wie auf Tafeln – in Herzen von Fleisch« (2Kor 3,3). Damit ist der Wechsel vom Medium der Schrift zum Medium des menschlichen Körpers klar benannt. Auf die Dauer kann auch die Reformation mit ihrem Slogan »sola scriptura« den die Schrift relativierenden Vorgang nicht rückgängig machen. – So weit N. Seine Gedanken über mehrfachen Medienwechsel regen zu kritischen Hinweisen und Einwänden an. Sie betreffen neben dem menschlichen auch den tierischen Körper als Medium für den Kontakt zwischen Gott und geschaffener Welt.
In der Gestalt Jesu zeigt sich ein Trend antiker Religion, der in der Spätantike mit zunehmender Deutlichkeit hervortritt: Der heilige Mensch – nicht das Götterbild und nicht das heilige Buch – gilt als primärer »Vermittler des Heiligen« (vgl. Peter Brown, Autorität und Heiligkeit. Aspekte der Christianisierung des Römischen Reiches, Stuttgart 1998, 80–109). Der Heilige wird »von oben« von Gottes Geist gefüllt und dient als von Gott zur Welt geschaffene Brücke. Ein Ausdruck der Brückenfunktion ist die Inkarnationstheologie. Der Leser bekommt den Eindruck vermittelt, als sei der menschliche Körper erst bei Jesus und im frühen Christentum als Medium für das Göttliche betrachtet worden. Das aber ist nicht der Fall. Es gibt, in die Bibel hineinragend, den göttlichen oder vergöttlichten König. Dieser wird zwar durch das, was N. die »biblische Aufklärung« nennt, seiner Göttlichkeit beraubt; doch später, im frühen Christentum, wird die Ideologie des Gottkönigs zur Christologie umgearbeitet, was als Rückkehr zu einer archaischen Konzeption oder aber als Beerbung dieser betrachtet werden kann (vgl. J. Kügler, Pharao und Christus? Religionsgeschichtliche Untersuchungen zur Frage einer Verbindung zwischen altägyptischer Königstheologie und neutestamentlicher Christologie im Lukasevangelium, Bodenheim 1997). Ein weiteres Körpermedium ist das Opfertier, in der Antike das häufigste Medium des Kontakts zwischen Mensch und Gottheit, »von unten«, vom Menschen her konzipiert. Die eucharis-tischen Worte Jesu – »das ist mein Leib – das ist mein Blut« = »das ist der Leib meines Opfertieres – das ist das Blut meines Tieres« – setzen die im Opfer geschehende Trennung von »Leib« und »Blut« voraus und mögen ihr Vorbild im Wort des Priesters haben, der sie stellvertretend für den opfernden Laien am Altar spricht. Jesus opfert jedoch nicht ein Tier, sondern, weil außerhalb des Tempels feiernd, ein Ersatzopfer mit Brot und Wein, vgl. H. Gese, Zur biblischen Theologie, München 1977, 107–127; B. Lang, Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, München 1998, 241–261; ders., Buch der Kriege – Buch des Himmels, Leuven 2011, 143–158. Mag auch diese Deutung nicht alle überzeugen, so ist jedem Religionshistoriker die Relevanz des Opfers für den Medien- und Körperdiskurs bekannt – nicht zuletzt durch die Deutung des Todes Jesu als Gott dargebrachtes »Opfer«.
Insgesamt verdanken wir N. ein anregendes Buch. Es verbindet zwei aktuelle Themen der Kulturwissenschaft: den Körperdiskurs und den Mediendiskurs. Dabei entstehen elegante, doch zur Vereinfachung neigende Formulierungen. Wer nichts Endgültiges sucht, sondern Freude an essayistischen, experimentellen Überlegungen hat, liest N.s »Corpora« mit Lust und Gewinn.