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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

657–659

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Neumann, Burkhard, u. Jürgen Stolze [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christsein zwischen Identität und Wandel. Freikirchliche und römisch-katholische Perspektiven.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius Verlag; Göttingen: Edition Ruprecht 2018. 239 S. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-89710-732-8 (Bonifatius); 978-3-8469-0283-7 (Edition Ruprecht).

Rezensent:

Dirk Spornhauer

Dieser Tagungsband ist der siebente Band in der Dokumentations-Reihe von Konsultationen römisch-katholischer und freikirchlicher Theologinnen und Theologen, die durch das Johann-Adam-Möhler-Institut in Paderborn initiiert sind. Er gibt die Ergebnisse einer Konsultation zum gleichen Tagungsthema im Februar 2014 wieder. Bereits im Vorwort wird auf das in den Gesprächen stetig gewachsene Verständnis füreinander hingewiesen und auf das Wagnis, mit der Frage nach der je eigenen konfessionellen Identität und einer gemeinsamen christlichen Identität ein Thema zu bearbeiten, das nur »stichprobenartig und fragmentarisch« angegangen werden könne.
Dies geschieht zunächst von einem soziologischen Ansatz aus . der die Wandlungsprozesse der Gesellschaft in den Blick nimmt. Exemplarisch wird für die katholische Kirche ein Umformungsprozess beschrieben, der die offiziellen Lehren (»gelehrte Religion«) mit den Erfahrungen der Welt in Relation bringe (»gelebte Religion«). Dabei entstünde eine »populare« Religion, die von den Vertretern der Kirchen und der Theologie kaum zur Kenntnis genommen würde. Identität werde dabei zunehmend individuell als Selbst-ermächtigung des religiösen Subjektes verstanden. Von freikirchlicher Seite aus kommen die neuen Fraktionierungen über Konfessionsgrenzen hinweg in den Blick. Parallel zum Abbau bestehender konfessioneller Grenzen seit der Mitte des 20. Jh.s wird der Aufbau neuer Identitäten quer zu bestehenden Bekenntnisfami-lien diagnostiziert. Konfessionelle Identität orientiere sich als »Lebensabschnittsidentität« vielfach an der Haltung zu einzelnen dogmatischen, ethischen oder praktischen Fragen, während überkommene konfessionelle Prägungen an Bedeutung verlören. Die Antworten der Kirchen auf die sich wandelnden Bedingungen lassen den Wunsch nach Reform bzw. Erneuerung erkennen. Gleichzeitig wird bei den Grundsatzüberlegungen zum Thema Identität an bekannten theologischen Formulierungen festgehalten.
Identität im freikirchlichen Sinne wird als Rückbezug auf die »wahre Gemeinde Jesu Christi« präsentiert. Sie könne nur in der »Vertrauensbeziehung auf Jesus Christus als Herrn der Gemeinde« (102) bestehen. Über Identität im katholischen Bereich wird unter der Voraussetzung reflektiert, dass in der katholischen Kirche die Heilmittel »Glaube, Sakramente und geistliches Amt« (136) »vollständig und integral« verwirklicht sind. Auch die Überlegungen zum Thema Reform sind von dem jeweiligen Identitätsbegriff geprägt. Ziel der Überlegungen ist die Gewinnung einer Perspek­-tive über die eigene Konfession hinaus. Allerdings ist dabei nicht die unter dem Stichwort »Wandel« beschriebene gesellschaftliche Situation im Blick, sondern die übrigen christlichen Kirchen. So wird ein Grundproblem der binnenkirchlichen Identitätswahrung deutlich: Angesichts des Abbruchs und der Veränderung von traditioneller kirchlicher Bindung gelingt der Sprung zu den Menschen, die erreicht werden sollen, offenbar immer seltener.
Die Reformüberlegungen im katholischen Bereich orientieren sich an kirchlichen Lehraussagen, hier an Aussagen des Vatikanum II. Dabei bilden die im Ökumenismusdekret beschriebenen, außerhalb der katholischen Kirche existierenden Heilsgüter die Grundlage der Argumentation. So erscheint die Subsistit-Formel der Kirchenkonstitution (LG 8) als dynamisch zu verstehende »ge­schichtliche Öffnungsklausel« (139) hin auf diese Heilsgüter. Die Subsistit-Formel könne »daher zuletzt ein Modell von Gemeinschaft von Kirchen im Sinne des Teilhabe-Gedankens begründen.« (138)
Im freikirchlichen Bereich gehe es um eine »Reform des Independentismus« (105), um die einzelne Gemeinde als »Teil der weltweiten Christusgemeinde« zu verstehen. Auch einer Ortsgemeinde, die in einem kongregationalistischen Gemeindemodell »ganz Gemeinde ist, [seien] nicht alle Gaben gegeben« (104). Es gehe außerdem darum, »einer ›Geschichtsblindheit‹ in den eigenen Reihen entgegenzuwirken« (114). Hier könne auch eine Stärkung des Selbstverständnisses der Freikirchen als Kirchen der Reformation helfen.
Um den unterschiedlich gefüllten Begriff »Identität« für den Dialog fruchtbar zu machen, wird von verschiedenen Autoren die Unterscheidung zwischen christlicher (Verhältnis des Christen zu Christus), kirchlicher (Zugehörigkeit des getauften Christen zur Kirche Jesu Christi) und konfessioneller Identität (»Zugehörigkeit zu einer historisch gegebenen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft«) (124) befürwortet. Diese Unterscheidung wurde von der Groupe des Dombes, einem inoffiziellen Gesprächskreis evange-lischer und katholischer Theologen in Frankreich, vorgeschlagen. Eine solche Differenzierung erlaube es, konfessionelle von kirchlich/christlichen Aspekten zu unterscheiden und so gemeinsame Überzeugungen bei bestehenden konfessionellen Differenzen hervorzuheben.
Unter dieser Perspektive wird im Vergleich zweier markanter konfessionell geprägter Einführungen in den christlichen Glauben (G. Ebeling, evangelisch, und J. Ratzinger, katholisch) die Möglichkeit der Herausarbeitung des »Umriss[es] eines gemeinsam be­kannten Wesens des christlichen Glaubens« (207) aufgezeigt. Der Aufruf, noch einmal neu über das Verhältnis von Gemeinsamkeiten und Differenzen nachzudenken, erwächst erkennbar aus der Differenzierung der Identitäten.
So wird der Identitätsbegriff als dynamischer Begriff und Leit-idee vorgestellt. Die Unterscheidung der Identitäten (christlich, kirchlich, konfessionell) könne für das ökumenische Gespräch eine wichtige Rolle spielen. Es wird sogar die Frage aufgeworfen, ob es nicht eine ökumenische Identität geben könne, die die unterschiedlichen konfessionellen Identitäten übergreife bzw. eine.
Die Herausgeber weisen eigens darauf hin, dass es sich bei ihren Symposien nicht um offizielle Dialoge handele und der Dokumentationsband keine offizielle Verlautbarung darstelle. Gerade das macht seinen Wert aus, wie sich besonders an dem hier verhandelten Themenkomplex zeigt. So ist es möglich, neue oder sonst selten zur Kenntnis genommene Thesen und Analysen zu präsentieren. Diese müssen noch nicht den letzten Stand der Diskussion darstellen. Sie sollen und können zu weiterer Beschäftigung Anlass geben. Dies entspricht auch dem dynamischen, eschatologischen Aspekt christlicher bzw. kirchlicher Identität, der, wie zu Recht betont wird, die Vorläufigkeit jeder Identitätsbestimmung bedingt. Dafür ist den Organisatoren und Referierenden des Symposiums wie den Herausgebern des Dokumentationsbandes zu danken.