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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

647–649

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bulgakov, Sergij

Titel/Untertitel:

Bibliographie. Werke, Briefwechsel und Übersetzungen. M. ausgewählter Sekundärliteratur u. e. tab. Lebenslauf, erstellt v. R. M. Zwahlen u. K. Babkova. Hrsg. v. R. M. Zwahlen u. B. Hallensleben.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2017. 150 S. = Sergij Bulgakov Werke, 3; Epiphania, 11. Geb. EUR 32,00. ISBN 978-3-402-12038-5.

Rezensent:

Martin Illert

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Bulgakov, Sergij: Aus meinem Leben. Autobiographische Zeugnisse. Aus d. Russ. übers. v. K. Kirsten. Redaktionell überarb. v. R. M. Zwahlen unter Mitwirkung v. K. Babkova u. B. Hallensleben. Münster: Aschendorff Verlag 2017. VI, 281 S. = Sergij Bulgakov Werke, 2; Epiphania, 10. Geb. EUR 42,00. ISBN 978-3-402-12036-1.


Zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die das theologische Denken Russlands im 20. Jh. in den Dialog mit der westlichen Theologie brachten, zählte der Ökonom, Philosoph und orthodoxe Erzpries-ter Sergij Bulgakov (1871–1944). In den knapp zwei Jahrzehnten seines Wirkens als Professor für dogmatische Theologie am 1925 gegründeten orthodoxen Institut St. Serge in Paris war B. nicht allein einer der bedeutendsten Akteure der jungen ökumenischen Bewegung, sondern lieferte auch gewichtige Beiträge zur orthodoxen Theologie seiner Gegenwart. Insbesondere bemühte sich B. um eine Synthese der Weisheitsspekulationen V. Solovjevs mit der orthodoxen Dogmatik, wobei er sowohl Motive des deutschen Idealismus wie auch Gedanken des Mathematikers und Theologen P. Florenskij aufnahm. Allerdings vermochte sich B.s Entwurf gegenüber den stärker an der altkirchlichen bzw. byzantinischen Tradition ausgerichteten Ansätzen G. Florovskys und V. Losskys nicht durchzusetzen und wurde 1935 vom Moskauer Patriarchat und von der russischen Auslandskirche verurteilt.
Heute findet B.s Werk international neue Aufmerksamkeit. Nach der Einschätzung der Herausgeberinnen der deutschen Werkausgabe kann das theologische Denken B.s sogar »zur Brücke zwischen Ost- und Westkirchen, ja zwischen östlicher und westlicher Zivilisation werden« (Bd. 2, IV). Die von der B.-Forschungsstelle am Institut für ökumenische Studien der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Fribourg herausgegebene Ausgabe richtet ihren Fokus auf den »theologisch erneuerten Naturbegriff«, den der Ökonom und Erzpriester »der dominierenden mechanis-tischen Weltanschauung« (Bd. 2, V) entgegensetzte. Dem theologischen Denken einer ökonomisierten Welt bietet diese Perspektive überraschende Anknüpfungsmöglichkeiten an das Werk des russischen Sofiologen. Zugleich macht der innovative Ansatz der Herausgeberinnen neugierig auf die weiteren Bände der Reihe, die den 2014 mit B.s »Philosophie der Wirtschaft« eröffneten ökonomisch-theologischen Zugang vertiefen sollen.
B.s im zweiten Band der Gesamtausgabe enthaltene autobiographische Zeugnisse wurden zum größten Teil erstmals 1946 von dessen Schüler L. Zander in russischer Sprache publiziert. Die Herausgeberinnen haben die Materialien der »Autobiographischen Aufzeichnungen« durch weitere autobiographische Dokumente und zusätzliche für die Biographie B.s wichtige Texte wie die Begräbnisansprache des Metropoliten Evlogij von Paris, einen Aufsatz zu M. Nesterovs bekanntem Porträt B.s und Florenskijs, sowie A. Rez nicenkos B.-Artikel aus der »Orthodoxen Enzyklopädie« ergänzt. Die Selbstzeugnisse B.s sind nicht nur Hilfsmittel zur begleitenden Lektüre der theologischen Hauptschriften des russischen Denkers, sondern besitzen durchweg einen eigenen theologischen Rang. So nehmen beispielsweise die Texte »Aus der Hagia Sophia« und »Zwei Begegnungen« eine kritische Aneignung und Umgestaltung der Sofiologie Solovjevs, dem Autor des sofiologischen Gedichtes »Drei Begegnungen«, vor. Zugleich können diese Texte aber auch als eine Abrechnung des kurz zuvor aus der Sowjetunion exilierten Theologen mit den Theologien des romantischen Panslawismus und den imperialen Traditionen Moskaus als eines »dritten Roms« gelesen werden. Mit Blick auf B.s Kunst- und Raumverständnis in diesen Texten legt sich ferner der Vergleich mit Florenskijs Schriften zur »umgekehrten Perspektive« und zur »Ikonostase« nahe.
Ein weiteres autobiographisches Stück, der Vortrag »Vom Marxismus zur Sofiologie«, berührt den von den Herausgeberinnen fokussierten spezifischen Naturbegriff B.s. Die Leitfrage »Welchen Platz hat der Mensch in der Natur, und die Natur im Menschen?« führt in Aufnahme von Gedanken Schellings zu einer Sicht auf die Natur nicht als eines Objektes menschlicher Einwirkung, sondern als des Ortes der göttlichen Epiphanie. Eine solche Epiphanie hat B. mehrfach persönlich erlebt. Die erste dieser Erfahrungen be­schreibt der Text »Rufe und Begegnungen« als naturmystisches Erlebnis anlässlich eines Besuches im Kaukasus. Dass sich die poetische Passage in ihrer deutschen Übertragung ansprechend liest, sei als eines der zahlreichen Beispiele für die Übersetzungskunst Elke Kirstens genannt.
Hilfreich ist der detaillierte und kenntnisreiche Kommentar, der den Texten zusammen mit einem tabellarischen Lebenslauf B.s, Biogrammen der erwähnten Personen und dem Personen- und Ortsregister beigegeben ist. Mit großer Detail- und Sachkenntnis ordnen die Anmerkungen Begriffe und Personen nicht allein in den Kontext des Gesamtwerkes B.s, sondern auch in die russische Geistesgeschichte und die politischen und religiösen Zusammenhänge des russischen Imperiums, der frühen Sowjetzeit und der Emigration ein.
Als ebenso nützlich für die Arbeit zum Werk B.s erweist sich die als dritter Band der Gesamtausgabe erschienene Bibliographie. Einschließlich der postum veröffentlichten Werke füllen die etwa fünfhundert Arbeiten B.s und der Übersetzungen eindrucksvolle 92 Seiten. Ein Schwerpunkt der im Anschluss an diese Bibliographie noch einmal separat aufgeführten Übersetzungen der Werke B.s aus dem Russischen in dreizehn andere Sprachen liegt unverkennbar im englischen Sprachraum. Allerdings bedarf die Liste der bulgarischen Übersetzungen (Bd. 3, 108) orthographischer Korrekturen und der Ergänzung um die seit 2012 vor allem von dem Theologen Boris Marinov angefertigten Übersetzungen, deren Auszüge mitsamt den entsprechenden bibliographischen Angaben auf dem Portal www.dveri.bg zugänglich sind.
Insgesamt sind beide Bände mit beeindruckender Sorgfalt und profunder Sachkenntnis erstellt. Für die Rezeption der Gedanken B.s im deutschen Sprachraum schaffen diese Publikationen eine neue Grundlage.