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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

644–646

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Steinhilber, Clemens

Titel/Untertitel:

Theologie an staatlichen Universitäten – Relikt oder Modell? Förderung des freiheitlichen Staatsethos durch integrative Feindpolitik.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2018. 436 S. = Schriften zum Öffentlichen Recht, 1368. Kart. EUR 109,90. ISBN 978-3-428-15304-6.

Rezensent:

Boas Kümper

Die Daseinsberechtigung des Faches Theologie an staatlichen Universitäten ist unter dem Grundgesetz eine klassische verfassungsrechtliche Streitfrage, die in jüngerer Zeit durch die Diskussion um die Etablierung einer Islamischen Theologie erneut an Aktualität gewonnen hat. Anders als noch die Weimarer Reichsverfassung, die in Art. 149 Abs. 3 WRV bestimmte, dass »(d)ie theologischen Fakultäten an den Hochschulen […] erhalten« bleiben, trifft das Grundgesetz keine ausdrückliche Regelung zur Theologie als universitärem Fach. Im juristischen Schrifttum werden gegensätzliche Positionen eingenommen, die – insbesondere unter Hinweis auf ein bestimmtes im Grundgesetz identifiziertes religionsverfassungs rechtliches Modell – vom verfassungsrechtlichen Verbot bis zur verfassungsrechtlichen Gebotenheit eines solches Faches reichen, teilweise aber auch betonen, dass das Grundgesetz zu dieser Frage überhaupt keine Aussage treffe. An dieser Kontroverse haben sich bereits zahlreiche Autoren abgearbeitet. Clemens Steinhilber möchte sich in seiner hier vorzustellenden Arbeit, einer von Ute Mager betreuten Heidelberger juristischen Dissertation, bewusst nicht nochmals an ihr beteiligen: Dem »reichen Schrifttum« könne »kaum etwas Neues hinzugefügt werden« (113). Seine »unkonventionelle, religionspolitisch, staats- und rechts(norm)theoretisch reflektierte Untersuchung« will stattdessen über die rechtsdog-matische Analyse der Verfassungsnormen hinausgehen und eine »Metabetrachtung« der Fragestellung bieten. Ausgangspunkt ist dabei für S. das Problem des islamischen Fundamentalismus und die Funktion staatsuniversitärer Theologie, Religion im Sinne einer »Fundamentalismusprophylaxe« in die Moderne zu übersetzen (29 f.). In seiner religions- und integrationspolitischen Metabetrachtung weist S. der staatsuniversitären Theologie einen freiheitswahrenden Modellcharakter zu, den er schließlich auf die juristische »Binnenebene« zurückführt und dort als verfassungsrechtliches Gebot formuliert.
Nach einführenden Darlegungen insbesondere zu Motivation und Entwicklung seines Ansatzes im Prozess der Auseinandersetzung mit dem Thema (»Anstatt einer Einleitung«) entfaltet S. seine Überlegungen in drei Schritten. Ein erster Teil zeichnet den »Versuch einer juristischen Binnenbetrachtung« nach und soll die Grenzen der Rechtserkenntnis aufzeigen. Hier werden zunächst die verschiedenen im verfassungsrechtlichen Schrifttum vertretenen Positionen gesichtet und wird festgehalten, dass universitäre Theologie trotz ihrer Bekenntnisbindung dem Wissenschaftsbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zugeordnet werden kann. Dem folgen sehr grundsätzliche Überlegungen zur »Mehrperspektivität« juristischen Denkens und Handelns, welche die der juristischen Diskussion vielfach zugrundeliegende Vorstellung von der » einen präskriptiven Rechtsnormativität« widerlegen: Von der rhetorischen Darstellung auf der juristischen Binnenebene sei eine Metaebene der Wirklichkeit zu unterscheiden, auf welcher eine »Individualnormativität« hergestellt werde. Weil die juristische Binnenbetrachtung sich S. zufolge in der rhetorischen Darstellung jener Individualnormativität erschöpft, erscheint ihm eine eigenstän-dige rechtsdogmatische Ausarbeitung der bereits intensiv disku-tierten Streitfrage entbehrlich. Er wendet sich deshalb der Meta-betrachtung zu, in deren Rahmen er danach fragt, welche der denk baren Lösungen – verfassungsrechtliches Gebot, Verbot oder Enthaltung – aus staatstheoretischer, religions- und integrationspolitischer Sicht »opportun« ist bzw. warum im freiheitlich-säkularen Staat gute Gründe für eine Ausbildung von Theologen an staat-lichen Universitäten sprechen (113.115). Diese Metabetrachtungen zur Motivation staatsuniversitärer Theologie sind Gegenstand des zweiten Teils. Hier entfaltet S. auf hohem Abstraktionsniveau und unter ausführlicher Einbeziehung sinnfälliger Zitate, die von großer Belesenheit zeugen, grundsätzliche Überlegungen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zum schillernden Begriff d es religiösen Fundamentalismus sowie zur (Un-)Möglichkeit re-ligiös-weltanschaulicher Neutralität des freiheitlich-säkularen Staates, die sich hier nicht im Einzelnen nachzeichnen lassen (115–339). Die Ausführungen kommen zu dem Ergebnis, dass Theologie an staatlichen Universitäten eine erprobte »Er­dungsstrategie« darstellt, um durch akademische Bildung der Theologen ein freiheitlich-demokratisches Staatsethos zu fördern, religiös-weltanschauliche Konfliktlagen in eine säkulare Ordnungskonzeption zu integrieren und religiösem Fundamentalismus entgegenzuwirken. Diese Erkenntnisse werden im dritten Teil der Untersuchung auf die juristische Binnensicht zurückgeführt. Konsequent fällt dies vergleichsweise knapp aus (340–380), denn auf der Grundlage der Unterscheidung von Meta- und Binnenebene bleibt hier »lediglich festzustellen«, dass staatsuniversitäre Theologie »den religionspolitischen und staatstheoretischen Bedürfnissen einer mo­dernen Gesellschaftsordnung am besten dient und daher […] auf der juristischen Binnenebene als Rechtsnormativität dargestellt werden sollte« (341). Ausführlich geht hier S. jedoch nochmals auf den verfassungsrechtlichen Wissenschaftsbegriff ein und weist auf Parallelen zwischen Theologie und Rechtswissenschaften als »bekenntnisgebundene«, jedoch gleichermaßen wissenschaftliche Disziplinen hin.
S.s Untersuchung bringt neue Aspekte in die Diskussion ein und wird somit dem selbst gesteckten Anspruch voll gerecht; seine religions- und integrationspolitischen Überlegungen können gute Gründe für sich in Anspruch nehmen. Bedenklich erscheint jedoch die Dominanz der staatstheoretischen und politischen Metaperspektive, denn sie reduziert die juristische Binnenebene auf ein bloßes Instrument zur Umsetzung einer solchen »Verfassung hinter der Verfassung« und nimmt dem positiven Verfassungsrecht die eigenständige Normativität (zum Problem grundlegend K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, 1959). Aus Sicht des Grundgesetzes, welches in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG die Wissenschaft um ihrer selbst willen schützt, fragt sich zudem, inwieweit allgemeine gesellschaftspolitische Interessen die Errichtung theologischer Studiengänge an staatlichen Hochschulen gebieten können, und ob nicht vielmehr allein das wissenschaftliche Interesse an theologischen Fragestellungen hierfür ausschlaggebend sein darf. Gerade derartige Anstöße zu Kritik und Widerspruch machen jedoch S.s gedankenreiche Untersuchung besonders lesenswert, denn sie gibt hierdurch wertvolle Anregungen sowohl für die religions- und integrationspolitische als auch für die verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Diskussion.