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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

640–641

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schoberth, Ingrid

Titel/Untertitel:

Diskursräume religiösen Lernens. Zu den Konturen einer Religionsdidaktik.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2018. 191 S. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-525-70260-4.

Rezensent:

Bernhard Dressler

Ingrid Schoberth legt – so der Klappentext – »nach Jahrzehnten des Lernens und Lehrens die Summe ihrer didaktischen Überlegungen vor«. Mit ihrem Konzept einer »katechetischen Theologie«, das in diesem Buch noch einmal konturiert wird, vertritt sie eine ganz eigene Stimme abseits des mainstreams des religionspädagogischen Diskurses. Im Zentrum steht die »hermeneutische Grundidee, die von Eberhard Jüngel für das Aufgabenfeld der Praktischen Theologie formuliert wurde, dass sich die praktisch-theologische Arbeit heute und immer neu auf die gegenwärtige Auslegung und Freilegung des Wortes Gottes bezieht und beziehen müsse« (180 u. ö.). So soll sich der »Vorgang Evangelischen Lernens […] von einem allgemeinen Modus des Lernens notwendig unterscheiden«.
Entwickelt werden (Kapitel 1 und 11) »Konturen einer Religionsdidaktik«, die dann in acht unterschiedlichen »Diskursräumen« (»Bibel/Heilige Schrift«, »Bildung«, »Reformation«, »Trinitätslehre«, »Lernen«, »Ethik«, »Seelsorge/Schulseelsorge«) entfaltet werden, er­gänzt durch zwei »Exkurse« (»Einübung in die Friedfertigkeit« und »Die Rede vom Himmel als Beispiel einfacher Gottesrede in der Seelsorge«). Mir hat sich diese Systematik, mit der vielleicht auch so etwas wie die Vorstellung eines Kerncurriculums religiösen Lernens verbunden ist, nicht recht erschlossen. Zuzustimmen ist freilich, dass dabei gefragt werden soll »nach dem Zusammenhang von fachdidaktischer Reflexion und fachwissenschaftlichen Bezügen […] weil religiöse Bildung nur unzureichend als Anwendung von Theologie beschrieben werden kann« (10 f.). Andererseits müsse »religiöse Bildung deutlich machen, dass sie nicht allein auf der allgemeinen Didaktik aufruht, sondern ein spezifisches didaktisches Profil entwickeln muss«, wodurch »sie der Aufgabe religiösen Lernens genaue Konturen (verleiht)« (14).
S. wendet sich gegen »eine in einem bloß negativen Sinn missionarische Form von Unterricht […], die an den Schülern vorbei Re-ligion oktroyiert«, will aber »positiv gewendet« unter »missionarisch« verstehen: »Zeigen, was die eigene Religion, den eigenen Glauben ausmacht«. »In dieser bestimmten, aber doch notwendig offenen Hinsicht wäre und kann darum auch von Vermittlung in missionarischem Sinne gesprochen werden« (22). Die Unterscheidung zwischen gutem und schlechtem missionarischen Sinn tritt an die Stelle einer zeitdiagnostischen und religionstheoretischen Erörterung der Möglichkeit, das freie Urteilsvermögen von Lernenden im Blick auf die Deutung von und die Teilhabe an der christlichen Religion zu fördern. Insbesondere die Ausführungen zum »Diskursraum Reformation« lassen erkennen, dass eher traditionsvermittelnde Lernprozesse intendiert werden.
Deutlich wird, dass S. sich »der Position verpflichtet (fühlt), eine enge und unmittelbare Anbindung religiöser Bildung an den praktisch-theologischen Zusammenhang zu zeigen und die Verortung im theologischen Zusammenhang insgesamt festzuhalten« (30). Sie sieht sich zugleich sowohl mit einer »konstruktivistischen Perspektive« als auch mit »ästhetisch ausgerichteten Lernwegen« verbunden (25). Das hätte etwas genauere Ausführungen verdient. »Religiöse Bildungsprozesse sind genuine Prozesse, die auf das Lesen der Heiligen Schrift ausgerichtet sind« (35); die Frage ist dann – wenn man das denn so sieht –, wie das Verständnis der Bibel als (!) »Heiliger Schrift« didaktisch erschlossen wird.
Der dem Begriff der Katechese (ob zu Recht oder zu Unrecht) anhaftende autoritäre Ruf wird mit dem Plädoyer für eine »Erziehung zur Mündigkeit« abgewiesen: »Mündigkeit tut sich dort auf, wo der Lernende nicht nur von der Vielfalt (auch) der religiösen Optionen überfordert wird, sondern wo er beginnt, den humanen Dimensionen christlicher Religion vertrauen zu lernen.« Religiöse Bildung biete »so einen Raum an, in dem die Lernenden nicht sich selbst und den Forderungen der Individualisierung überlassen bleiben« (62). Oft werden in diesem Buch indes Unterricht, theologische Tradition und religiöse Praxis so eng zusammengeschlossen, dass damit eine Überforderung – jedenfalls schulischer – religiöser Bildung und eine Überlastung von Bildungsprozessen überhaupt verbunden zu sein scheinen. So etwa, wenn es heißt, es stelle sich »die religionspädagogische Aufgabe […], ein Lernen unter Gottes Geist zu ermöglichen und im Lichte seiner Gegenwart Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen Zugang zum Glauben zu eröffnen, der nicht nur die eigene subjektiv religiöse Befindlichkeit für den Einzelnen zu erreichen sucht, sondern evangelische Religion als gemeinsam geteilte bzw. gelebte Lebensform des Glaubens in der Gemeinschaft der Heiligen im Diskurs deutlich und reflektierbar macht« (84).
Wenn zustimmungsfähig ist, dass der »Diskursraum Lernen« einen »engen und letztlich unauflöslichen Zusammenhang von Unterricht und Theologie, von Lernen und Sache, von Reflexion und Vermittlung (erschließt)« (114), so wäre zugleich zu fragen, ob nicht stärkere Anschlüsse an die Grundlagen allgemeiner Bildung zu suchen sind, wenn religiöse Bildung an öffentlichen Schulen den Bezug zu deren Bildungsauftrag nicht verlieren soll und sich zugleich zu den Weltzugängen der anderen Fächer positionieren muss. Das würde auch eine etwas differenziertere Zeitdiagnose er­fordern, als die »aktuelle Situation […] von Desorientierung be­stimmt« zu sehen, »die auch vor den Lebensgeschichten der Lernenden nicht Halt macht und sie lediglich mit Gefühlslagen konfrontiert, die wenig oder gar nicht dazu geeignet sind, sich im eigenen Leben zurechtzufinden« (18) – wofür »Fehlentwicklungen in der Struktur der pluralistisch geprägten Gesellschaft« für die »Desorientierungen« verantwortlich gemacht werden.
Dass es auch im Widerspruch anregend zu lesen ist, ist nicht das Schlechteste, was von einem Buch zu sagen ist.