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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

635–637

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Liedtke, Wenke

Titel/Untertitel:

Biblische Geschichten im Zeichentrickfilm. Zur Qualität religiöser Animationsserien für Kinder.

Verlag:

Erlangen: Christliche Publizistik Verlag 2017. 608 S. = Studien zur christlichen Publizistik, 23. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-933992-27-7.

Rezensent:

Marion Keuchen

Die Gymnasiallehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin Wenke Liedtke entwickelt in ihrem Werk Qualitätskriterien zur Beurteilung von religiösen Kinderformaten im Fernsehen, um mit Hilfe solcher Kriterien zukünftig möglichst theologisch ausgewogene und didaktisch für Kinder angemessene Sendungen herstellen und anbieten zu können. Das lesenswerte Buch basiert auf ihrer 2016 an der Theologischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald bei Roland Rosenstock eingereichten Promotion. Ro­senstock selbst entwickelte die biblische Zeichentrickfilmserie »Chi-Rho« für Kinder mit.
Das Werk beschreibt den Ist-Zustand biblischer Animationsserien im Fernsehen. Das breit gefächerte Genre umfasst Produktionen mit Legeelementen, Puppen, dem Einsatz von Sachgegenständen und dem Zeichentrickfilm (170). L. beschränkt sich auf den biblischen Zeichentrickfilm. Vor allem die Altersgruppe der Grundschulkinder nimmt sie in den Blick, da bei diesen das Fernsehen trotz voranschreitender medialer Entwicklung immer noch den medialen Mittelpunkt bildet (87).
Im Wesentlichen sind es folgende Forschungsfragen, denen L. nachgeht: In welcher Weise werden biblische Geschichten in Animationsformaten umgesetzt und welche Folgerungen können für eine kindgerechte Darstellung daraus gezogen werden? Was ist im aufgezeigten Zusammenhang unter »Qualität« zu verstehen und was bedeutet der jeweilige Befund für die anvisierten Qualitätskriterien? (13) Religionspädagogisch analysiert L. die Animationsserien nach dem Elementarisierungsansatz (Klafki, Nipkow, Schweitzer) und untersucht Tendenzen hinsichtlich einer Bibeldidaktik des religiösen Lernens (Berg, Theißen).
L. gliedert ihr Werk in drei Teile: In Teil A sichert sie auf fast 200 Seiten die theoretischen Grundlagen in den Themenfeldern Kinder und Medien und des Kinderfernsehens und seiner Bedeutung. Neben medienkundlichen, soziologischen, psychologischen und pädagogischen Aspekten referiert L. auch die religiöse Entwicklung von Kindern und Medien als Teil einer religiösen Sozialisation. Auf diesen interdisziplinären Grundlagen baut L. ihren Teil B auf. Sie untersucht auf 300 Seiten zwölf Beispiele zeichentrickanimierter Serien biblischer Geschichten für Sechs- bis Neunjährige aus dem europäischen und vor allem aus dem US-amerikanischen Kulturraum im Zeitraum zwischen den 1980er und 2000er Jahren (Überblick, 244). Ihr Analyseschwerpunkt konzentriert sich vor allem auf die Produktanalyse und lässt Kontext- und Rezeption außen vor (240). Ihre Ergebnisse hinsichtlich des Kinderbezugs sind: Je freier die biblische Geschichte erzählt wird, desto kinderbezogener ist sie (303). Der Kinderbezug erfordert eine Elementarisierung biblischer Geschichten. Und die größte Anpassung an das Kinderpublikum geschieht über kindliche Hauptfiguren. Theologisch sind die Serien in vier Bereiche kategorisierbar: »bibeloffen« mit einem liebenden Gott, »bibelorientiert« mit einem vergebenden Gott, »bibelzentriert« mit einem souveränen Gott und »bibeltreu« mit einem richt enden Gott (328). L. betont, dass anspruchsvolles und bildendes Fernsehen für Kinder gerade nicht unterhaltungslos sein dürfe (353). L. führt folgende Qualitätskriterien für religiöse Animationsformate an: Zielgruppenaspekte, narrative Aspekte, figurenbezogene Aspekte, emotionale Aspekte, professionelle Aspekte und regionale Aspekte auf der Ebene der Verfilmung. Im Bereich des Kindes spielen didaktische, informative, religiöse, ethische und interreligiöse Aspekte eine Rolle. Religiöse Bildung ist allgemein zwischen Unterhaltung und Orientierung zu verorten (Überblick mit Rahmenbedingungen, 440). Diese Kriterien werden auf 80 Seiten im dritten Teil auf vier Beispielserien angewendet (Chi Rho/BRD 2005–10; Der kleine Bibelfuchs/Japan, Italien 1992; The Beginner’s Bible/ USA 1995; The Story Keepers/Irland, USA 1995–97). Dabei be­ginnt L. sofort mit ihrer kenntnisreichen und detaillierten Fernsehserien-Analyse. Sie legt folgerichtig ihren Fokus nicht auf die In­terpretation der einzelnen Animationsformate als Ganze, sondern auf die Analyse der Darstellung von Religion, Kinderbezug und möglicher didaktischer Anwendung (253). Die Analyse ist daher nur mit den im zweiten Teil schon zu findenden Serienbeschreibungen nachvollziehbar.
L. sichtet interessante Einzelergebnisse: Der Aufbau der religions-, gender- und diversitätssensiblen TV-Serie »Chi Rho« gleicht dem Aufbau einer idealtypischen Unterrichtsstruktur von Religionsunterricht in deutschen Grundschulen (512). In der vom Vatikan mitproduzierten Serie »Der Bibelfuchs« sind Merkmale des Genres Animes klar erkennbar (leider ohne Abbildungen). Die katholische Marienverehrung wird inhaltlich und durch Nutzung ästhetisch-technischer Mittel umgesetzt (535). In der für westlich-freikirchlich US-amerikanische jüngere Kinder produzierten Serie »The Beginner’s Bible« ziehen sich Höflichkeitsfloskeln durch alle Episoden, selbst in Dialogen zwischen Daniel und seinem Entführer Nebukadnezar. Jedem Geschöpf Gottes gilt es zunächst höflich zu begegnen (553). In der Serie »The Story Keepers« weisen die meis-ten Figuren der Rahmenhandlung eine dunkler getönte Haut-, Haar- und Augenfarbe auf und repräsentieren so im weitesten Sinne einen Menschen aus dem Nahen Osten (559). Erwachsene und Kinder sind vor allem im Grad ihrer Glaubensgewissheit unterscheidbar: Erwachsene agieren als Lehrer, Kinder als Lernende und Schüler. Desinteressierte und passive Charaktere gibt es nicht.
Das Buch wird seinem Titel voll gerecht. L. setzt sich sehr kompetent mit der Qualitätsbeurteilung religiöser Animationsserien auseinander. Aufgrund seiner Gattung als wissenschaftliche Qualifikationsarbeit ist es nicht als Einführung in dieses Format zu verstehen. An einigen Stellen in den ersten beiden Teilen wären Zu­sammenfassungen von Teilkapiteln hilfreich gewesen und hätten die Orientierung in dem komplexen Werk erleichtert. Leider fehlen in dem Buch Abbildungen von Standbildern aus den Serien völlig. Bildliche Ausschnitte hätten Beschreibungen von Figuren und ästhetischen Aspekten sinnvoll und anschaulich unterstützen können. Der günstige Preis von 28,00 EUR für eine wissenschaftliche Qualifikationsschrift von mehr als 600 Seiten empfiehlt die-ses Buch für eine weite und interdisziplinäre Verbreitung in theologischen, pädagogischen und medienkundlichen Fachbibliotheken.
Verwunderlich ist, dass das von L. analysierte Animationsformat in gängigen Medienarchiven deutlich unterrepräsentiert ist und dies im deutlichen Gegensatz zum breiten Markt der altersentsprechenden Kinderbibeln mit ihren vielfältigen Illustrationen steht. Einer »Kinderbibelschwemme« steht ein »stiefmütterlich« behandelter biblischer Kinderfilmbereich gegenüber. Liedtkes Werk sollte als Anstoß für die Produktion weiterer zukünftiger biblischer Kinderfilme dienen.