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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

630–631

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Werkner, Ines-Jacqueline, u. Klaus Ebeling [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Handbuch Friedensethik.

Verlag:

Wiesbaden: Springer VS Verlag für Sozialwissenschaften 2017. XII, 979 S. m. 3 Abb. Geb. EUR 139,99. ISBN 978-3-658-14685-6.

Rezensent:

Thomas Bohrmann

Obwohl Frieden eine existentielle Grundsehnsucht der Menschheit ausdrückt, gibt es nach wie vor Gewalt und Konflikte. Eine Ethik des Friedens ist eine interdisziplinäre Aufgabe mit einer erklärenden sowie normativen Perspektive. Friedensethik als Themenfeld der Angewandten Ethik möchte letztlich ein kritisch-normatives Orientierungswissen anbieten und dabei Impulse geben, wie Friedensstrukturen etwa durch Politik und Recht aufgebaut und Gewalt, Konflikte, Kriege verhindert werden können. Im wissenschaftlichen Diskurs sind umfassende, multiperspektivische friedensethische Publikationen noch rar. Das hier zu rezensierende Handbuch ist eine Ausnahme und versucht, eine breite, systematische Übersicht zu zentralen Aspekten der Friedensethik aus einer interdisziplinären Perspektive zu liefern.
In diesem Sinne haben sich die Herausgeberin, Ines-Jacqueline Werkner (Friedens- und Konfliktforscherin an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg und Privatdozentin für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt a. M.), und der Herausgeber, Klaus Ebeling (Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg und Lehrbeauftragter am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Potsdam), die Aufgabe gestellt, einen instruktiven Beitrag zum friedensethischen Fachdiskurs zu geben, wie er gegenwärtig in unterschiedlichen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen geführt wird.
Aufgrund der Interdisziplinarität des Themas enthält das Nachschlagewerk Beiträge von über 70 Autorinnen und Autoren vor allem aus Theologie, Philosophie, Pädagogik, Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung, Soziologie und Recht. Besonders diese breit angelegte thematische Vielfalt der Zugänge zum Thema Frieden ist für die wissenschaftliche Debatte ungemein fruchtbar. Die Leserinnen und Leser erhalten nicht nur fundierte Informationen zu einer Fülle von Themen, sondern entdecken vor dem Hintergrund der Anlage des Sammelbandes neue Zugänge mit mannigfaltigen Querverbindungen.
Das Handbuch folgt einem systematischen Aufbau. Mit zwei Einleitungsbeiträgen erläutern die Herausgeberin (zur Einführung in das Handbuch) und der Herausgeber (zur perspektivischen Vororientierung friedensethischer Reflexion) zunächst Grundthema und Grundanliegen ihrer Publikation. Dann folgen fünf große Kapitel, in denen thematisch verschiedene Unterpunkte abgehandelt werden.
Im ersten Teil wird die dem Handbuch zugrundeliegende zentrale Begrifflichkeit in einem Dreischritt geklärt (Frieden, Ethik und Friedensethik mit ihren wesentlichen Kategorien, nämlich Herrschaft, Recht, Gerechtigkeit, Gewalt). Der zweite Teil bringt die friedensethischen Diskurse zur Sprache, wie sie durch das Christentum und säkulare Vertreter in der abendländischen Tradition geführt worden sind. Die Themen reichen von der Lehre vom gerechten Krieg (z. B. Cicero, Augustinus, Thomas von Aquin, de Vitoria und de Las Casas, Luther, Calvin, Walzer) und dem neuen sozialethischen Leitbild vom gerechten Frieden über den Pazifismus zu den friedensethischen Reflexionen in der politischen Theorie internationaler Beziehungen (z. B. Kant, Rawls). Der dritte Teil weitet die friedensethische Perspektive auf die nichtchristlichen Religionen (Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus) aus und stellt damit eine dialogorientierte Erweiterung der Betrachtung vor. Friedensethische Analysen zu aktuellen Kontroversen und Entwicklungen werden im vierten Teil dargestellt, indem die bereits grundgelegten Kategorien Herrschaft, Recht, Gerechtigkeit und Gewalt als Oberbegriffe für sehr unterschiedliche Themenfelder dienen. In diesem Sinne bezieht sich Herrschaft etwa auf Friedensstrategien der Weltinnenpolitik und Fragen nach der Friedensfähigkeit von Diktaturen und autoritären Regimen. Das Recht konkretisiert sich beispielsweise in den Menschenrechten und im humanitären Völkerrecht sowie in dem Schutzprinzip Respon-sibility to Protect. Das Gerechtigkeitskonzept artikuliert sich etwa im Begriff der Human Security und im friedensethischen Imperativ der Geschlechtergerechtigkeit.
Der Gewaltbegriff schließlich, zu dem die meisten Beiträge verfasst worden sind, fokussiert sich auf die Themenfelder Rüstung (z. B. Rüstungskontrolle, automatisierte und autonome Waffensysteme, Krieg im Cyberspace), asymmetrische Konstellationen (z. B. Terrorismus, ziviler Ungehorsam und Widerstand) und Konflikttransformationen (z. B. Konfliktbearbeitung und Krisenpräven-tion, Just Policing, Projekt Weltethos). Der letzte und fünfte Teil bietet eine friedensethische Schlussreflexion der Friedens- und Konfliktforschung, bei der ethische Herausforderungen von Po­litikberatung, die Verantwortung von zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren und die Verantwortung der Friedensforschung herausgestellt werden.
Der Sammelband richtet sich an Wissenschaftler, Dozenten und Studenten der Philosophie, Theologie, Politikwissenschaft, Soziologie und Rechtswissenschaft. Darüber hinaus werden auch politische Akteure sowie Vertreter von Kirchen und Religionsgemeinschaften eine Menge wertvoller Informationen finden, die zum Nachdenken anregen. Der Herausgeberin und dem Herausgeber ist es gelungen, ganz auf der Höhe der wissenschaftlichen Fachdiskurse ein systematisches Nachschlagewerk zu erarbeiten, das als Handbuch bislang so noch nicht zu finden ist. Vor allem der interdisziplinäre Zuschnitt ist zu würdigen. Auch die Fülle der angesprochenen Problembereiche, die sowohl theoretisch als auch praktisch ausgerichtet sind – ganz im Sinne einer Angewandten Ethik – überzeugen. Neben vielen bekannten Themen der Friedensethik werden zahlreiche neue Themenfelder angesprochen und systemat isch erschlossen. Das verdeutlicht, dass es keinen festen Kanon friedensethischer Themen gibt, sondern vor dem Hintergrund weltpolitischer Veränderungsprozesse stets neue Probleme auftauchen, die der ethischen Reflexion bedürfen. Einen Beitrag zur Kriegsberichterstattung bzw. zur Rolle der Medien bei Konflikten sucht man allerdings vergeblich.
Den einzelnen Beiträgen werden eine Zusammenfassung und eine Stichwortliste vorangestellt, neben dem Literaturverzeichnis enthalten sie zudem kommentierte Literaturempfehlungen. Zum wissenschaftlichen Apparat zählen zudem ein Abkürzungs- sowie Autorenverzeichnis, aber leider fehlt ein Personen- und Sachre-gister. Für eine so umfangreiche Publikation mit knapp 1000 Seiten wäre ein entsprechendes Register vor allem für die praktische Nutzung mehr als wünschenswert gewesen. Trotz dieser marginalen formalen Kritik liegt ein exzellentes Handbuch vor, das in den nächsten Jahren den interdisziplinären Fachdiskurs innerhalb der Friedensethik maßgeblich bestimmen wird.