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Ausgabe:

Juni/2019

Spalte:

621–623

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Stengel, Friedemann, u. Jörg Ulrich [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Kirche und Krieg. Ambivalenzen in der Theologie.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 304 S. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-04047-6.

Rezensent:

Friedrich Lohmann

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Bock, Veronika, Frühbauer, Johannes J., Küppers, Arnd, u. Cornelius Sturm [Hrsg.]: Christliche Friedensethik vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Baden-Baden: Nomos Verlag; Münster: Aschendorff Verlag 2015. 265 S. = Studien zur Friedensethik, 51. Geb. EUR 46,00. ISBN 978-3-8487-1968-6 (Nomos); 978-3-402-11695-1 (Aschendorff).


Die gegenwärtige sicherheitspolitische Situation der »Weltunordnung« (Carlo Masala), die Diskussion um neue, technologisch »autonome« Waffensysteme sowie das 100-Jahr-Gedenken an den Ersten Weltkrieg haben in der zweiten Dekade des 21. Jh.s zu einer spürbaren Zunahme des ethischen Nachdenkens über Krieg und Frieden geführt, nicht zuletzt in der christlichen Theologie. Dass dabei die entsprechende theologische Reflexion unter dem Titel der »Friedensethik« firmiert, zeigt den leitenden Horizont, aus dem in christlicher Sicht gewalthaltige politische Konflikte und deren Lösung in den Blick zu nehmen sind: die versöhnte Gemeinschaft aller Menschen im Frieden Gottes.
Die beiden hier anzuzeigenden Bücher wurden im gleichen Jahr veröffentlicht. Da jeweils überwiegend katholische bzw. evange-lische Theologinnen und Theologen zu Wort kommen, lädt diese Koinzidenz zu einem Vergleich, aber auch zu einer Synthese aus ökumenischer Sicht ein. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings der unterschiedliche Kontext, in dem die Beiträge ursprünglich vorgetragen wurden. Wie immer bei Tagungsbänden sind die einzelnen Beiträge nicht alle gleichermaßen aufschlussreich und erhellend. Im Folgenden gebe ich einen Überblick über die behandelten Themen.
Der von Veronika Bock et al. herausgegebene Band zeigt bereits in seinem Titel die gegenwartsorientierte und programmatische Absicht der Veröffentlichung: »Christliche Friedensethik vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts«. Er geht auf ein »Werkstattgespräch« katholischer Sozialethikerinnen und Sozialethiker zurück, das 2013 in Berlin stattgefunden hat (12), enthält aber auch einzelne Beiträge anderer Provenienz. Die Rede von der »Werkstatt« deutet auf eine relativ freie Themenwahl der Autorinnen und Autoren hin. Verbunden sind sie in dem Anliegen, die Relevanz christlicher Friedensethik gerade zu Beginn des 21. Jh.s zu verdeutlichen. Dieses Anliegen wird in zwei Stoßrichtungen vertreten.
(a) Einigen Beiträgen geht es um die konzeptionelle Einbettung der friedensethischen Reflexion. Sie sind insofern eher auf die innertheologische Debattenlage gerichtet. Markus Vogt beklagt die Unterrepräsentation der Friedensethik innerhalb der (katholischen) Sozialethik, »in eigenartiger Spannung zum zentralen Stellenwert der Friedensethik in der biblischen Botschaft sowie in der politischen Philosophie« (18), und fordert eine »stärkere[] Einbindung in die akademische Disziplin der Christlichen Sozialethik« (29). Gerhard Beestermöller fragt nach der Kontinuität neuerer friedensethischer Stellungnahmen der deutschen Bischöfe mit der päpstlichen Friedenslehre der 1960er Jahre. Eberhard Schockenhoff kritisiert, dass in einigen Entwürfen zum Leitbild des gerechten Friedens die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg für obsolet erklärt wurde. Mit guten Argumenten verweist er auf deren ge­waltbegrenzende Absicht und friedenstheologische Ausrichtung, um mit einer klaren These zu schließen: »Die Lehre vom gerechten Krieg soll nicht mehr als Gegensatz, sondern als komplementäre Ergänzung eines erweiterten friedensethischen Paradigmas verstanden werden.« (69) Mariano Delgado referiert kritisch gängige nicht-theologische Konflikt- und Gewalttheorien und wünscht der christlichen Reflexion der Gewalt angesichts dessen »Mut zum eigenen Narrativ« (84).
(b) Die überwiegende Zahl der Beiträge thematisiert explizit aktuelle friedens- und sicherheitspolitische Herausforderungen (die auch bei Vogt und Schockenhoff präsent sind) und verlässt damit den innertheologischen Diskursraum. Dabei kommen so unterschiedliche Themen zur Sprache wie die vermeintliche Ge­waltbereitschaft der Religionen (Andreas Hasenclever), die befriedende Wirkung »einer umfassenden und obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit« (Heinz-Gerhard Justenhoven, 128), die europäische Migrationspolitik (Hildegard Hagemann), die Schutzverantwortung (Cornelius Sturm), der Afghanistaneinsatz (Anja Seiffert), gezielte Tötungen im Rahmen der Terrorismusbekämpfung (Bernhard Koch, Wolfgang S. Heinz), Ressourcenkonflikte als Ursache kriegerischer Gewalt (Andreas Lienkamp) und die Wandlungen der deutschen Erinnerungskultur (Ulrike Jureit).
Auch in dem von Friedemann Stengel und Jörg Ulrich herausgegebenen Band »Kirche und Krieg«, der die Theologischen Tage der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg aus dem Jahr 2014 dokumentiert, sind eine inner- und eine außertheologische Stoßrichtung erkennbar. Das Schwergewicht stellen hier allerdings die auf Selbstreflexion von Kirche und Theologie gerichteten Beiträge dar. Das gilt explizit für die bibelwissenschaftlichen (Ernst-Joachim Waschke, Manfred Lang) und theologie- bzw. kirchengeschichtlichen Beiträge (Friedemann Stengel zu »Reformation und Krieg«, Jörg Ulrich zu Tillichs Grabpredigten im Ersten Weltkrieg, Heinrich Assel zur Kontinuität zwischen der Verarbeitung des Ersten Weltkriegs und der politischen Theologie Emanuel Hirschs in den 1930er Jahren, Justus Vesting zur ethischen Einschätzung und seelsorgerlichen Begleitung des Dienstes von Bausoldaten durch die Kirchen der DDR, Angelika Dörfler-Dierken zur »deutsch-deutschen Friedensbewegung im Konflikt der Systeme«, Axel Noack zur »Debatte um die Seelsorge an den Soldaten bei der Wiedervereinigung der Evange-lischen Kirche in Deutschland«). Auch die stärker gegenwartsbe-zogenen (»Ambivalenzen der Gegenwart«) Beiträge wenden sich Akzenten in der Friedensarbeit zu, die sich dezidiert christlichen bzw. kirchlichen Impulsen verdanken (Joachim Garstecki zur Pluralität friedensethischer Ansätze in der globalen Ökumene, Dirk Evers zur Feindesliebe und Claudia Rammelt zur interreligiösen Friedensbildung in den Schneller-Schulen in Jordanien und im Libanon). Einzig der Beitrag des Völkerrechtlers Christian Walter zur Schutzverantwortung fällt aus dem Rahmen der diesen Band dominierenden dezidiert theologischen Reflexion.
Gerade diese Selbstreflexion führt im Band aber zu wichtigen politisch und friedensethisch relevanten Anfragen – so, wenn Friedemann Stengel seinen Beitrag zu Kriegs- und Friedenstheologien aus der Reformationszeit mit der Frage nach der (geänderten) Rolle der Kirche für Gesellschaft und Staat abschließt oder wenn Heinrich Assel die beunruhigende Nähe neuerer antagonistischer Verständnisse des Politischen zu Hirschs Politischer Theologie der 1930er Jahre vermerkt. Und Joachim Garstecki endet seinen Vortrag mit der Aufforderung an die »Friedensfreunde«, den »nicht lösbaren Prinzipienstreit« zu vergessen. »Werdet politischer!« (233) An­dere Beiträge zeigen, wie viel weiterhin noch zu tun ist, um kirchliche Gräben zu überwinden, die auch Jahrzehnte nach 1989 weiterhin das Verständnis der jeweils anderen Prägung in Ost- und Westdeutschland erschweren, gerade auch in Fragen der Friedensethik und rechtserhaltenden Gewalt. Besonders sprechend in letzterer Hinsicht ist die dem Band beigegebene Dokumentation der abschließenden Podiumsdiskussion, bei der ein pensionierter Ge­neral der Bundeswehr ( Andreas Wittenberg), ein Militärseelsorger (Wolfram Schmidt), ein Völkerrechtler (Christian Walter) und Joachim Garstecki als Urgestein der ostdeutschen Friedensbewegung gerade durch die biographische Einbindung ihrer Statements die kontroverse Vielfalt der (kirchlichen) Friedensethik in ihrer kontextbedingten Legitimität deutlich werden lassen. Nicht nur in dieser Diskussion, sondern durchgängig zeigt »Kirche und Krieg« die existentielle Dimension auf, die mit jedem Urteil in der Friedensethik verbunden ist.
Das unterscheidet den Band vom katholischen »Werkstattgespräch«, das stärker die von außen an die kirchliche Friedensethik herangetragenen Herausforderungen thematisiert als die internen Spannungen, geschichtlichen Hypotheken und spannungsvollen Ambivalenzen, die die kirchliche Friedensethik von innen her herausfordern. Beide Anliegen sind komplementär und gleichermaßen notwendig, und der Herausgeberin und den Herausgebern sei für die Edition beider Bände gedankt.