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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

543–545

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schon, Dietmar [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Dialog 2.0 – Braucht der orthodox-katholische Dialog neue Impulse?

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2017. 261 S. = Schriften des Ostkircheninstituts der Diözese Regensburg, 1. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-7917-2923-7.

Rezensent:

Jennifer Wasmuth

Im September 2016 wurde durch Bischof Rudolf Voderholzer feierlich das »Ostkircheninstitut der Diözese Regensburg« errichtet, das unter veränderten Bedingungen die Arbeit fortführen soll, die für viele Jahrzehnte von dem »Ostkirchlichen Institut Regensburg« (OKI) unter der Leitung der beiden Prälaten Albert Rauch und Nikolaus Wyrwoll geleistet wurde. Anlässlich der Errichtung des Instituts wurde ein wissenschaftliches Symposium veranstaltet, dessen Beiträge der zum Direktor des Instituts ernannte Jurist und Theologe Pater Dietmar Schon OP mit dem vorliegenden Band als erstem Band einer neuen Schriftenreihe des Instituts herausgegeben hat.
Der Titel des Bandes »Dialog 2.0« könnte zu dem Missverständnis Anlass geben, dass im Mittelpunkt der Beiträge das auch als »Ökumene 2.0« bezeichnete Phänomen einer »ideologischen« oder auch »wertebasierten Ökumene« steht, dessen Protagonisten auf eine strategische Allianz zwischen Vertretern der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche zur Verteidigung »traditioneller Werte« zielen. Tatsächlich geht es in den Beiträgen jedoch um eine Bestandsaufnahme des »Dialoges der Liebe« und des »Dialoges der Wahrheit«, die sich beide im Gefolge der historischen Begegnung zwischen dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras und Papst Paul VI. in Jerusalem im Jahre 1964 entwickelt haben, sowie um Zukunftsperspektiven für den Dialog.
Die Reihe der Beiträge wird eröffnet durch grundlegende Überlegungen von Kurt Kardinal Koch, dem derzeitigen Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Koch ruft hier die wichtigsten Etappen des katholisch-orthodoxen Dialoges im 20. Jh. in Erinnerung, verweist auf das bleibende Problem des Uniatismus und entfaltet die Primatsfrage des Bischofs von Rom als »cruziale Frage« für den Dialog. Als konkrete Ansatzpunkte zur Klärung dieser Frage nennt Koch, der mit Papst Benedikt XVI. unter allen christlichen Kirchen und Gemeinschaften die größte Nähe zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche erkennt: die Betonung des Dienstcharakters des Primats im Kontext einer eucharistischen Ekklesiologie einerseits, die Über windung eines nationalkirchlich ausgerichteten Autokephalie-Prinzips orthodoxer Kirchen andererseits, eine neu zu konzipierende Synthese von Primat und Synodalität und schließlich ein strikt an dem Wort Gottes ausgerichtetes Primatsverständnis.
Die Bedeutung des orthodox-katholischen Dialoges unterstreicht von orthodoxer Seite Metropolit Elpidophoros (Lambriniadis) von Bursa. Er beruft sich auf Entscheidungen des »Großen und Heiligen Konzils der Orthodoxen Kirche« (2016), die die Notwendigkeit der Fortführung von Dialogen mit nichtorthodoxen Kirchen bekräftigt habe. Als Zukunftsaufgabe sieht er über die Klärung bis heute bestehender theologischer Differenzpunkte hinaus die Entwicklung eines »Dialoges des Lebens«, der die kirchliche Zusammenarbeit auf praktischen Feldern (z. B. durch Annahme eines einheitlichen Festkalenders) befördert.
Als Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz bietet Bischof Gerhard Feige von Magdeburg einen aufschlussreichen Überblick über die vielfältigen katholisch-orthodoxen Begegnungen auf lokaler Ebene und hier erzielte Er­gebnisse. Zu Letzteren gehören beispielsweise gemeinsam getroffene Regelungen darüber, wie im problematischen, die ökumenischen Beziehungen oft schwer belastenden Fall der Konversion von Geistlichen zu verfahren ist. Für die Zukunft hält Bischof Feige vor allem eine bessere Vernetzung der lokalen und internationalen orthodox-katholischen Dialoge für erforderlich.
Der in Münster lehrende orthodoxe Theologe Assaad Elias Kattan demonstriert am Beispiel des Patriarchats von Antiochien, das für sich selbst gerne die Vermittlerrolle bei der Wiederherstellung einer Kircheneinheit zwischen West- und Ostkirche in Anspruch nimmt, die Möglichkeiten und Grenzen, die in der Verknüpfung von lokaler und internationaler Dialogebene liegen. Er tut dies anhand zweier lehrreicher historischer Beispiele: der auf den Erzbischof von Baalbeck zurückgehenden und nach ihm benannten »Zogbhy-Initiative«, die auf eine »Übergangsunion« zwischen griechisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche zielte, und einer von dem Patriarchen der Griechisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien, Ignatios IV. (Hazim), anlässlich eines Empfanges von Papst Johannes Paul II. im Jahre 2001 gehaltenen Rede.
Ausgehend von einer Bestandsaufnahme des katholisch-orthodoxen Dialoges entwickelt der an der Theologischen Fakultät in Belgrad im Bereich ökumenischer Theologie tätige orthodoxe Theologe Rade Kisi Perspektiven für den Dialog in Anwendung bislang noch kaum rezipierter hermeneutischer Ansätze. Dazu gehören für ihn neben der »kenotischen Ekklesiologie« von Johannes Brosseder insbesondere Überlegungen des Dominikanertheologen Yves Congar, die zu einer »Re-Rezeption« konfessioneller Lehre und Praxis und zur Unterscheidung zwischen »gelebtem« bzw. »gefeiertem« und »formuliertem Glauben« anhalten.
Die trinitätstheologischen Thesen Yves Congars und hier insbesondere die Vorschläge zur Verständigung in der »filioque-Frage« werden in dem Beitrag des Luzerner Theologen Wolfgang Müller OP vorgestellt. Das geschieht in prägnanter Weise und ist deshalb aufschlussreich. Gerne hätte man allerdings noch mehr über die Anschlussfähigkeit an gegenwärtig geführte ökumenische Diskussionen erfahren.
Sehr lesenswert ist der Beitrag der im katholisch-orthodoxen Dialog seit vielen Jahren selbst engagierten katholischen Theologin Theresia Hainthaler. Vor dem Hintergrund des im Dialog bisher Erreichten liefert sie nicht nur eine zu Recht kritische Bestandsaufnahme des »Heiligen und Großen Konzils« und hier insbesondere der Entscheidung, allein den »historischen Namen«, nicht aber die »historische Existenz« anderer Kirchen – darunter auch der römisch-katholischen Kirche – anzuerkennen. Vielmehr formuliert sie auch präzise Fragen und Themen, die sich für den zukünftigen Dialog stellen und die sicherlich nicht nur von katholisch-orthodoxer Relevanz sind. So gilt ihr, um nur ein Beispiel zu nennen, als dringend klärungsbedürftig, mit »welcher orthodoxen Kirche […] wir Katholiken in einem panorthodoxen Dialog« eigentlich sprechen, »mit der Gesamtorthodoxie oder mit mehreren verschiedenen Kirchen?« (130)
Tieferliegende historische Ursachen für im orthodox-katholischen Dialog auftretende Verständnisschwierigkeiten zeigt der an der Universität Erfurt tätige Religionswissenschaftler Vasilios Makrides in seinem Beitrag auf, indem er den bisweilen ausgeprägten orthodoxen Antikatholizismus in das weit darüber hinaus-gehende »multidimensionale Phänomen des orthodoxen Anti-okzidentalismus« einbettet, d. h. »der orthodoxen antiwestlichen Mentalitäten, Meistererzählungen, Weltbilder, Machtansprüche, Werte, Lebens- und Denkformen, Orientierungen und Strömungen« (136). Eine dauerhafte Festschreibung will Makrides damit allerdings nicht verbunden wissen, vielmehr verweist er auf neuere Tendenzen in der orthodoxen Theologie, in denen eine Öffnung hin zu Fragestellungen der Moderne geschieht, in dezidierter Abkehr von einem orthodoxen Antiokzidentalismus.
Der in Sibiu lehrende orthodoxe Kirchenhistoriker Paul Brusanowski beleuchtet in seinem Beitrag die wechselhafte Geschichte von Katholiken und Orthodoxen in Siebenbürgen und im rumänischen Altreich. In seiner Fokussierung auf historisches Detailwissen, das sich nicht ohne Weiteres in seiner Bedeutung für übergreifende Zusammenhänge erschließt, fällt der Beitrag aus dem Rahmen des Sammelbandes heraus, dessen sonstige Beiträge stärker systematisch-theologisch ausgerichtet sind.
Im letzten Beitrag bietet der Herausgeber Dietmar Schon eine bemerkenswerte Analyse der Geschichte und Gegenwart orthodox-katholischer Begegnungen unter methodologischen Ge­sichtspunkten. Ins Zentrum stellt er den Begriff der »Entfremdung«, der immer wieder herangezogen wird, um die Ursache für das problematische Verhältnis von West- und Ostkirche zu be­schreiben, und mustert verschiedene historische Beispiele, darunter insbesondere Synoden, daraufhin durch, inwieweit sie zur Entfremdung beigetragen haben. Da er in diesem Zusammenhang ein »Positionsdenken als Barriere ökumenischer Verständigung« (so der Titel des Beitrages) identifiziert, zieht er für die Zukunft des Dialoges die Schlussfolgerung, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil etablierte neue Formen der Kommunikation weiter auszubauen.
Insgesamt liegt mit dieser Arbeit ein Band vor, der die im Untertitel gestellte Frage »Braucht der orthodox-katholische Dialog neue Impulse?« auf der Grundlage einer vielschichtigen Analyse bisheriger Dialogergebnisse bejaht und mit den Beiträgen selbst in inhaltlicher wie methodischer Hinsicht interessante und weiterführende Impulse gibt.