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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

536–538

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Han, Byung Soo

Titel/Untertitel:

Symphonia Catholica. The Merger of Patristic and Contemporary Sources in the Theological Method of Amandus Polanus (1561–1610).

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 315 S. = Reformed Historical Theology, 30. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-525-55085-4.

Rezensent:

Markus Wriedt

Die reformierte Theologie erlebt seit einigen Jahrzehnten in Süd-korea einen großen Zulauf. Arbeiten, die sich mit den Grundlagen der Theologie Calvins und der sich auf ihn berufenden Orthodoxie beschäftigen, werden in größerer Zahl an amerikanischen und europäischen Universitäten graduiert. Dabei zeichnet sich ein unverhohlener Trend zu einer reformierten Rechtgläubigkeit ab, die den liberalen Tendenzen etwa der europäischen oder amerikanischen protestantischen Theologie widerstreben. In diesen Trend reiht sich die vorliegende Dissertation von Byung Soo Han als derzeit fünfter von insgesamt 53 Titeln der von dem niederländischen reformierten Theologen Herman J. Selderhuis verantworteten Reihe Reformed Historical Theology ein.
Der koreanische Theologe H. beschäftigte sich mit dem Werk des schlesischen Theologen Amandus Polanus. Von adliger Herkunft, wuchs er zunächst als Lutheraner auf. Während seiner Schulzeit geriet er unter Einfluss reformierter Ideen und wandelte sich zum Verteidiger der Prädestinationslehre Calvins. Diese Positionierung bewog ihn zum Wechsel an die Universitäten in Basel, Genf und Heidelberg. 1590 in Basel zum Doktor der Theologie promoviert, kehrte er nach sechsjähriger Pfarrtätigkeit dorthin zurück und übernahm die theologische Professur mit einem Schwerpunkt in der Auslegung des Alten Testaments. 1603 verlegte er in Genf eine erste calvinistische Bibelübersetzung, die noch auf der Lutherübersetzung basierte. Zu seinen Schriften zählen neben zahlreichen Kommentierungen alttestamentlicher Bücher und dogmatischen Traktaten die 1609 erschienenen Syntagma theologiae chris-tianae sowie die Symphonia Catholica aus dem Jahre 1607, das titelgebende Werk der vorliegenden Arbeit.
In ihr versucht H. nicht weniger als eine umfassende Betrachtung des theologischen Œuvre von Polanus. In insgesamt sechs Kapiteln (zuzüglich einer knappen Zusammenfassung im siebten Schlusskapitel) erörtert er zunächst die Forschungslage und sucht Polanus als Vertreter einer frühen reformierten Orthodoxie zu charakterisieren. Das zweite Kapitel ordnet ihn in der Spannung zwischen der Theologie und dem Einfluss seines späteren Schwiegervaters Johann Jakob Grynäus (1540–1617) und seines katholischen Widerparts Robert Bellarmin (1542–1621) ein.
Im dritten Kapitel rekonstruiert H. die theologische Methode des reformierten Theologen. Er arbeitet dabei eine scholastische Lesart im Gefolge von Petrus Ramus und dessen Aristoteles-Vermittlung heraus, welche sich in den Kategorien von supranatu-ralistischer versus natürlicher Philosophie gegen die Annahme einer doppelten Wahrheit stellt. Auf der Basis seiner biblischen und durch Väterzitate bewährten Argumentation entfaltet er die Vorstellung eines von Gott seinen Geschöpfen gegebenen Verstandes (recta ratio), der den Logos repräsentiert. (107) Die theologische Methode basiert auf einer logischen Interpretation der Schrift, an der sich sodann die Übernahmen aus der theologischen Tradition zu bewähren haben.
Das vierte Kapitel skizziert die exegetische Hermeneutik des Schlesiers am Beispiel der Kommentare zu den Büchern der Propheten Maleachi, Daniel, Hosea und Ezechiel. In der Spannung einer vorkritischen Exegese und der Notwendigkeit polemischer Positionierung gegenüber konfessionellen Alternativen analysiert Polanus die biblischen Vorlagen mit Hilfe der ramistischen Logik. Dabei entwickelt sich ein Schema nach Vorbild der scholastischen Quaestiones, die zunächst nach der Notwendigkeit der Interpretation, so­dann nach den Teilen der Auslegung, weiter nach dem doppelten Schriftsinn, den Autoritäten der Auslegung und ihren Regeln, und schließlich nach dem Weg zum Erschließen der reinen Wahrheit und des Gebrauches der Schrift für die alltägliche Handlungsorientierung fragen. Diese sieben Aspekte gipfeln am Schluss in der Betonung der biblischen Autorität gegenüber alternativen Deutungs- und Sinnangeboten in kontroverstheologischer Zuspitzung.
Die Rezeption der kirchenväterlichen Autoritäten in der Symphonia Catholica, einem indizierten Katalog patristischer, mediävistischer, konziliaristischer und zeitgenössischer Autoritäten, er­örtert H. zunächst vor dem Hintergrund paralleler Bezugnahmen in den zeitgenössischen Werken von Daniel Tossanus, Abraham Scultetus und Gaspard Laurent. Polanus’ Traditionsverweise nehmen wenig Rücksicht auf Entstehungszeit, Autorität, Hintergründe oder auch zeitliche Differenz der Zeugen. Er repräsentiert damit das eklektische Vorgehen der meisten seiner Zeitgenossen. Thematisch kreist die Zusammenstellung um die Themen Schrift, Prädes-tination und Kirche. Dabei entwirft Polanus eine reformiert-orthodoxe Dogmatik. Er berücksichtigt die originalsprachliche Version und nimmt besonders heterodoxe und häretische Tendenzen zum Anlass der Kommentierung. Diese ist dennoch insgesamt nur sehr marginal. Insgesamt geht es Polanus darum, seine Theologie als katholisch, d. h. in Harmonie mit der theologischen Tradition zu bezeugen. Die Väter bezeugen dabei die Rechtgläubigkeit seiner reformierten Position, wobei sich Polanus ihrer Fehlbarkeit und Irrtumsfähigkeit stets bewusst bleibt. Sie dienen ihm in dieser autoritativen Funktion als wichtiges kontroverstheologisches In­strument. Das sechste Kapitel bewährt diese Ergebnisse noch einmal an der 1609 erschienenen Schrift Syntagma theologiae. Hier wird sehr deutlich, dass Polanus die auctoritas Patrum vor allem bemüht, um die Rechtgläubigkeit, d. h. Orthodoxie und Katholizität, seiner dogmatischen Überzeugungen zu beweisen. Der kontroverstheologische Aspekt gelehrter Polemik tritt dabei eher in den Hintergrund.
Die Untersuchung ist dicht geschrieben und von hoher systematischer Ambition. Freilich werden die Aussagen von Polanus in einer Weise vorgestellt, die sie kaum kritisch zu sehen erlauben. Propositionale Sätze überwiegen und ein Austausch oder auch eine abwägende Beurteilung der reformierten Orthodoxie in der Form von Polanus ist nur schwer zu finden. Wo unter Bezug auf Heiko A. Oberman noch von einem »Gespräch« zwischen patristischem Zeugnis und reformierter Theologie geredet wird (234 – ohne Beleg), ist hier eine Vorlesung, ein Diktat, eine scharf pointierte Position zu finden, in die in Widerspruch zu treten dessen Autor dem Verdacht der Heterodoxie aussetzt. Erkennbar hat H. in Polanus seinen Helden gefunden, der ihm zu angemessenem Ausdruck konfessioneller Theologie geworden ist. Aktuelle Bezugnahmen sind nicht vorhanden, gleichwohl beschleicht den Leser das Gefühl, einem dogmatischen Fundamentalismus zu begegnen, der in der neueren Theologie eigentlich überwunden schien.
Dazu trägt bei, dass H. sich einerseits einer bildreichen Sprache (etwa 287–290) bedient, deren tertium comparationis nicht unmittelbar einleuchtet. Weiterhin finden sich zahlreiche verdichtete Aufzählungen, die insbesondere den Rekurs auf die patristischen Autoritäten jenseits ihrer bloßen Nennung kaum erschließen. Auch wenn nahezu das gesamte begriffliche Instrumentarium mo­derner Historiographie Verwendung findet, beschränkt sich die Arbeit auf eine Paraphrase der thematisch einschlägigen Passagen und einer kaum anders als am Original zu evaluierenden Zusammenfassung der Argumente.
Eine Auseinandersetzung mit dem reichen Feld der Arbeiten zur Väter- und Traditionsrezeption in der Frühen Neuzeit jenseits der englischsprachigen Literatur fehlt und damit auch die Aufnahme der dort diskutierten methodischen und hermeneutischen Er­wägungen. Der Arbeit verdankt sich ohne Zweifel die Wahrnehmung eines gewichtigen Zeugen der reformierten Frühorthodoxie in Basel. Sie weist auf das Beziehungsgeflecht zwischen Exegese und Traditionsbezug eindringlich hin, vermag aber keinen eigenen Beitrag zur methodologischen Debatte zu leisten. Fraglos eine Fleißarbeit, die allerdings das Gespräch erst eröffnen und nicht be­schließen sollte.