Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

505–508

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Sureki, Luiz Carlos

Titel/Untertitel:

Hoffnung und Verheißung. Religionsphilosophische Perspektiven.

Verlag:

Innsbruck: Tyrolia Verlag 2018. 260 S. = Innsbrucker theologische Studien, 90. Kart. EUR 27,00. ISBN 978-3-7022-3457-7.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Es ist ein bemerkenswerter Umstand, dass die Hoffnung zu den Grundthemen der Theologie und philosophischen Anthropologie gehört, während die Aufmerksamkeit, die jenes Thema hin und wieder auf sich zieht, in einem seltsamen Missverhältnis zu dessen vermeintlicher Prominenz steht. Die Zeiten, in denen eine theologische Systematik ganz von der Hoffnung aus gedacht oder die Hoffnung gar zu einem philosophischen »Prinzip« erklärt wurde, sind längst vorüber. Seither gehören die Modi des Zukunftsbezug s– »Furcht und Zittern«, Angst, Erwartung, Antizipation, Zu­versicht, Optimismus und eben Hoffnung – zur Kategorie marginalisierter Klassiker. Und insofern ist die hier angekündigte »Rehabilitierung der Hoffnung« (237) sehr zu begrüßen, mit welcher Luiz Sureki, Professor für Systematische Theologie im brasilianischen Belo Horizonte, 2014 in Innsbruck promoviert worden ist. Damit verbindet S. zugleich einen Beitrag zur Fundamentaltheologie und, insofern es um ein Überschreiten einer nur christlich kodierten Hoffnung geht, einen Impuls zum interreligiösen Dialog (242).
Das durchweg gut lesbare, engagiert geschriebene Buch bleibt im Zugriff zum Thema erklärtermaßen suchend, fast zaghaft. Nach einer knappen Einleitung widmet sich der erste von drei Teilen dem Verhältnis von Hoffnung und dem Akt des Versprechens, um dann eine Analyse der biblischen Verheißungen als Hoffnungsgut zu bieten. Der mit Abstand umfangreichste zweite Ab­schnitt schreitet zentrale Beiträge zur Theologie und Philosophie der Hoffnung ab, bleibt aber weitgehend bei reinen Darstellungen der Positionen, ohne sie wirklich miteinander in ein kritisches Gespräch zu bringen. Darin versucht sich der kurze dritte Teil, der den Titel aufgreift, indem die Hoffnung als im »Modus der Verheißung« befindlich charakterisiert wird. Abschließende me­tho-dische Fragen runden diese Arbeit im zusammenfassenden Ab­schnitt ab.
S. setzt mit einer Arbeit am Begriff der Hoffnung und d. h. genauer an der Spezifizierung des Hoffnungsgutes ein. Demnach handle es sich um einen zukünftigen, signifikanten, schwer er­reichbaren und persönlich wichtigen, aber verwirklichbaren Inhalt (22 f.). Das erhoffte Gut fungiere dabei als eine »Finalursache« (25), so dass sich S. auf die Seite derjenigen schlägt, die der Hoffnung selbst einen motivationalen Status zuschreiben. Als Gründe der Hoffnung wiederum werden die persönlichen Fähigkeiten, die Potenzialität der Natur und äußeren Umstände sowie das Können anderer Menschen genannt (27 f.199). Interessanterweise meint S., dass das hoffende Subjekt stets für sich selbst hoffe; Hoffnung für andere gehöre, so S. weiter, weit eher in das Register der Liebe (25). Obgleich die Arbeit »religionsphilosophische Perspektiven« in Aussicht stellt, bleibt sie fast vollkommen unberührt von der mit niedriger, aber stetiger Frequenz geführten analytischen Debatte zum Konzept der Hoffnung. Ob also der sogenannte »standard account« zur Hoffnung (hoping that p = desire + probability of p) ausreicht oder doch um ein drittes Element (L. Bovens: »mental im-aging«; P. Pettit: »acting as if«; A. Meirav: »external factor account«) erweitert werden müsste (oder ob dieser Zugang überhaupt ad­äquat ist), gerät leider nirgends in Sicht. Auch eine Konturierung der Hoffnung durch eine sinnvolle Abgrenzung von Nachbarbegriffen – besonders dem des Optimismus – wird leider nicht geboten. Und ob die Hoffnung wirklich direkt oder zumindest indirekt motivational wirkt, ist so umstritten wie klärungsbedürftig.
Der erste Teil konzentriert sich stattdessen auf das Versprechen und hebt das Persönliche dieses Aktes hervor (33). Aber auch hier verwundert es, dass die dazu ausführlich geführte sprachphilosophische Diskussion nirgends zum Zuge kommt. Für John Austin etwa war doch das promising das Paradebeispiel für einen Sprechakt in seiner dreifachen Dimension des Aussprechens, seiner performativen Wirkung und dem Effekt auf der Gegenseite. Insbesondere das, was Austin Illukotion und Perlokution genannt hat, hätte die semantischen Andeutungen bei S. vertiefen können (35).
Der zweite Teil besteht aus acht Skizzen der Hoffnungstheologie und -philosophie, wobei die Auswahl so traditionell wie überraschend zugleich ausfällt: S. handelt nacheinander vom Buddhismus und dessen Lehre der quasi-stoischen Stillung des »Durstes« (90), Kants Verbindung von Glückseligkeit und Moralität, Camus’ Anti-Hoffnungsromanen, Blochs atheistischem Materialismus, Ferdinand Ebners (nicht Bubers) dialogischem Personalismus, Moltmanns Entfaltung der gesamten Theologie aus der Auferstehungshoffnung, Rahners transzendentaltheologischer Version da­von und schließlich der pastoralen Konstitution »Gaudium et Spes« vom Dezember 1965. Diese einzelnen Kapitel werden zu­nächst isoliert voneinander vorgestellt; auch mit kritischen Stellungnahmen oder Vorschlägen, mit zentralen Problemen umzugehen, hält sich S. sichtlich zurück. Zudem sind die Abschnitte nicht alle von gleicher Qualität; besonders gelungen scheinen mir die Erwägungen zu Camus’ Revolte und zu Ernst Blochs »subversiver Bibelauslegung«. Im einen Fall ermöglicht es S., den Begriff der Revolte anges ichts des Absurden von der Revolution (und den mit ihr verknüpften Hoffnungen) abzugrenzen. Während die Revolte hoffnungsavers bleibe im Wissen darum, die Welt nicht ändern zu können, sei die Revolution genau von der Erreichbarkeit post-absurder Umstände angetrieben. Die gegenwärtige Renaissance philosophischer und politikwissenschaftlicher Revolutionsliteratur (C. Mouffe, E. Laclau, G. Hindrichs, E. von Redecker u. a.) wird von einem Gespräch mit Denkern programmatischer Absagen an Hoffnungen im Großen und im Kleinen nur profitieren können. Im anderen Fall, dem Blochs, zeichnet sich allerdings für S. die nicht aufgelöste Spannung ab, dass die im ersten Teil referierte Bundestheologie von Mose bis Christus (38 ff.) nun vom Autor des Prinzips Hoffnung gerade einer genuin atheistischen Lektüre unterzogen wird. Diese wird einerseits sehr greifbar und souverän dargestellt, andererseits aber kaum in Verbindung gesetzt mit dem wichtigsten der Blochschen »Erwartungsaffekte«, der Hoffnung (126). Das gesamte Narrativ des Bundes zwischen Gott und Mensch wird von Bloch bekanntlich in eine Enttheokratisierungsfigur transformiert, die vertikal-absolute Hoffnungen auf Unverfügbares zwar noch kennt, aber gerade darum abträgt, um relative Hoffnungsgüter horizontal »nach vorne« zu verlagern. Ironischerweise ist Amerikas »public religion«, in der die eigene Zukunft divinisiert wird, eine ›real existierende‹ Version dieses marxistischen Post-Theismus, der seinen frühen Höhepunkt, so S., Bloch folgend, im Nicäanischen homoousios gefunden habe (138). All das aber hat mit einem theologisch engagierten Begriff und Programm der Hoffnung nur noch (aber immerhin) im Modus der Beerbung zu tun. Und zu dieser erklärten »Subversion« der biblischen Tradition, vor allem der Propheten und Hiob, scheint S. ein eher distanziertes Verhältnis zu unterhalten. So muss auch hier offen bleiben, wie die Aneignung von Blochs Atheismus mit einem theologischen Interesse an einer Hoffnung auf Christus, seiner Auferweckung oder einer eschatologischen Vollendung der Welt zu denken sei.
Dies holt der finale Abschnitt der Arbeit leider nur sehr fragmentarisch nach. Zwar werden komparativ mittels einiger überraschender Synopsen – etwa im Vergleich zwischen Rahners Transzendentalismus und Camus’ Überlegungen zum Suizid oder dem frühen Buddhismus und Kants Moralphilosophie (200 f.) – Verbindungen und Abgrenzungen zwischen den acht Skizzen geboten; doch bleibt es bis zum Schluss bei dem, was S. als »religionsphilosophisch offene Perspektive« (225 ff.) ausgibt. Und diese Offenheit scheint gegen Ende faktisch wieder dementiert zu werden, wenn Hoffnung in einem platonischen Zugriff als Einheit von Wahrem, Gutem und Einem vorgestellt wird (237), Camus als jemand, der glauben wolle, aber nicht habe glauben können, missverstanden wird (227) oder wenn die Hoffnung auf die eigene Auferstehung als dem Menschen, der ja stets auf Endgültiges aus sei, Vertrautes beschrieben wird (226). Wie sehr Säkularisierung und religiöse Indifferenz, aber auch post-religiöse Substitutionsprozesse fortgeschritten sind – nicht nur in Zentraleuropa, auch in Brasilien –, wird hier in einer ungedeckten Überbietungsgeste vorschnell übergangen.
Schließlich kehrt S. zum Thema des Buches und dessen Titel zurück, indem die Verheißung als Korrelat des Glaubens und die Hoffnung als die affektive Seite der fides charakterisiert wird (239). So auslegungsbedürftig diese These bleibt, so bedenkenswert scheint mir die methodische Schlussbetrachtung der Studie. Denn Hoffnung gehöre zu jenen Themen, die denjenigen, der sich ihrer annehme, nicht unberührt ließe. Nicht über die Hoffnung solle man schreiben, sondern aus ihr (238.241). Und dieser Untersuchung ist tatsächlich anzumerken, dass ihr etwas Hoffnungsvolles eigen ist.