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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

471–473

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Goetz, Hans-Werner

Titel/Untertitel:

Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teil I, Bd. 3/IV. Die Geschöpfe: Engel, Teufel, Menschen.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2016. 623 S. m. 59 Abb. = Orbis mediaevalis, 16. Geb. EUR 69,00. ISBN 978-3-8471-0581-7.

Rezensent:

Heinrich Holze

Mit diesem Band setzt der renommierte Hamburger Mediävist Hans-Werner Goetz seine groß angelegte Untersuchung der religiösen Vorstellungswelten des frühen und hohen Mittelalters fort. Bislang liegen aus seiner Feder zwei Bände vor über die Gottesvorstellungen (Berlin: Akademie Verlag 2011) und die Vorstellungen von der materiellen Schöpfung in Raum und Zeit (Berlin: de Gruyter 2012).
Beide Bände haben in den vergangenen Jahren eine lebhafte Diskussion ausgelöst, auf die G. gleich zu Beginn des neuen Buches in einem »Nachwort zum Vorwort« eingeht (13–26). Darin begründet er das Verhältnis zu anderen Disziplinen (wie Theologie und Religionswissenschaft), die Begrenzung des Untersuchungszeitraumes (bis 1150) und thematische Aspekte (wie die Anfrage, warum Judentum und Islam nur am Rande einbezogen werden).
Mit dem im Verlag Vandenhoeck erschienenen dritten Band wendet sich G. nun – nach Gott und Welt – dem »personellen Teil der Schöpfung« (27) zu, also den Engeln im Himmel, dem von ihnen abgefallenen Teufel sowie den Geschöpfen Gottes, den Menschen, die »das Ende der Welt und die himmlische Erlösung erwarten.« (27) Leider werden die Tiere, die durchaus zur Lebenswelt des Menschen gerechnet werden dürfen und zudem im religiösen Zusammenhang von großer symbolhafter Bedeutung sind, nicht angesprochen. G. begründet das damit, dass die Tiere in »der mittelalterlichen Vorstellungswelt« nur Erwähnung finden, »insoweit sie der Erfassung des menschlichen Wesens dienen« (29). Deswegen stehe der Mensch »im Zentrum mittelalterlicher Betrachtungen« (31).
Das erste Kapitel handelt von den »Engel(n) in der mittelalterlichen Vorstellungswelt« (33–184). Ausgehend von der Engellehre Isidors von Sevilla, der die augustinische Theologie der lateinischen Welt vermittelt hat, werden die Grundgedanken der mittelalterlichen Engelsbilder entfaltet. Dazu gehört die Vorstellung, dass die Engel noch vor der Entstehung der Materie aus Geist erschaffen wurden, was ihre Nähe zu Gott und ihren Wohnort im Himmel ebenso wie die Unterschiede zu den Menschen erklärt. In der Begegnung mit Menschen nehmen die Engel eine körperliche Gestalt an, sie erscheinen als leibhafte Wesen, für die der Gesang zum Lobe Gottes kennzeichnend ist. Die Engelswelt ist – vergleichbar dem hierarchischen Aufbau der mittelalterlichen Welt – von Rangunterschieden geprägt, die den Aufgaben und Funktionen im Himmel und auf Erden entsprechen. Für G. zeigen die aus ganz unterschiedlichen Traditionen stammenden Gedankenkreise, dass die Engel »ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der religiösen Vorstellungswelt des Mittelalters« (147) sind. Das wird auch in der mittelalterlichen Buchmalerei deutlich, von der zahlreiche Farbdrucke mit Engelsmotiven eine plastische Vorstellung vermitteln (154–184).
Das zweite Kapitel wendet sich der Gegenwelt der Engel zu, nämlich den mittelalterlichen Vorstellungen, in denen das Böse in der Welt angesprochen wird (185–364). Auch hier bilden die »Etymologiae« des Isidor von Sevilla den Einstieg, um die Grundlinien der Teufels- und Dämonenvorstellungen zu beschreiben. Zu ihnen gehören die Gedanken von Ursprung, Fall und Wohnstätte des Teufels sowie von der Natur und dem Wirken der Dämonen. Nach Augustin werden dazu auch die nichtchristlichen Götter gezählt, weswegen »die Andersgläubigen als Glieder des Teufels« bezeichnet werden (324). Den verschiedenen Gestalten des Teufels gilt das besondere Interesse der mittelalterlichen Berichte, die den gleichermaßen abstoßenden wie gottesfeindlichen Charakter des Teufels betonen. Dessen Wirken zeigt sich in seiner Verführung zum Bösen, dem nur mit Bibel, Kreuz und Weihwasser und bei Besessenheit nur durch Exorzismus widerstanden werden kann. Gemeinsam ist den Berichten die Überzeugung, dass das Wirken des Teufels »in Gottes Heilsplan eingebunden« ist, da es dazu beitrage, »die Erwählten und die Verworfenen zu ermitteln und zu trennen« (307). G. sieht darin eine »Funktionalisierung des Teufels« (334), die sich auch in der Deutung politischer und anderer Geschehnisse zeige. Insgesamt spiegeln die Texte, so das Fazit dieses Abschnittes, »die Realität des allgegenwärtigen Teufels im Mittelalter« (339), von der auch die bildlichen Darstellungen, von denen der Band eine Auswahl abdruckt, Zeugnis ablegen (349–364).
Das dritte Kapitel richtet den Blick auf den »Mensch(en) in der mittelalterlichen Vorstellungswelt« (365–543), wobei nur auf solche Texte Bezug genommen wird, die »den Menschen an sich« (366), und zwar in seiner »religiösen Bestimmung« beschreiben. Grundlegend sind die Aussagen zur Gottebenbildlichkeit ebenso wie die über den Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf. Anknüpfend an die Lehre von den sechs Lebensaltern bei Augustin und Isidor werden die Aussagen zur Sterblichkeit des Menschen entfaltet. Dem stehen die Texte gegenüber, die den Menschen aufgrund seiner Vernunft und seiner Seele vom Tier abgrenzen und »in der Mitte der Kreaturen« sehen (410). Ihnen folgend bildet der Mensch mit seinem Leib und seinen Gliedern einen »Mikrokosmos« (430), in dem sich elementare Strukturen der Welt spiegeln. Exemplarisch wird die religiös-kosmologische Deutung des Menschen an Wilhelm von Saint-Thierry und Hildegard von Bingen aufgezeigt. In einem weiteren Schritt untersucht G. die Frage, inwieweit vom Menschen als Individuum oder Person die Rede ist, wobei er feststellt, dass die Menschen im Mittelalter »nicht porträthaft als Individuen, sondern vornehm-lich als Funktionsträger, als ›Typen‹ oder als Personifikationen von Handlungen und Antitypen wahrgenommen werden.« (473) Weitere Themen sind der Mensch »als Sünder und als Lügner« (490), die Unterscheidung von innerem und äußerem Menschen (498), die Geschlechterdifferenz (502) sowie der Umgang mit dem Fremden, wie er sich nach mittelalterlichem Verständnis in »menschen(un)-ähnlichen Wesen am Rande der Menschheit« (524) manifestiert. Zusammenfassend konstatiert G. »ein ambivalentes Menschenbild«, das im Spannungsfeld zwischen »Auserwähltheit und Sündigkeit« (532) von religiösen Kategorien geprägt ist, zugleich aber auch an den naturwissenschaftlichen Einsichten der Zeit Anteil hat, insofern der Mensch »als Mikrokosmos in Beziehung zur Weltstruktur gesetzt« wird (533). Mittelalterliche Buchmalereien mit Darstellungen vom Menschen beschließen das Kapitel (535–543).
Abschließend geht G. auf die Frage nach der Aktualität mediä-vistischer Studien ein. Diese liegt für ihn in erster Linie in der Andersartigkeit oder gar Fremdheit der mittelalterlichen Denkweisen. Die Vorstellungen von Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf, wie sie im frühen und hohen Mittelalter vertreten wurden, seien »nicht einfach ›christlich‹, sondern, wie das Christentum der Ge­schichte und damit dem Wandel und der zeitgemäßen Ausprägung unterworfen« (553). Aus dieser Differenz ergebe sich ein Anstoß für die aktuellen Diskurse. Die »gegenwartsbezogene Funktion mediävistischer Studien« liege deswegen »nicht in der Feststellung des allzeit Gültigen, sondern in der konstruktiven Konfrontation mit vergangenen Ansichten und Überzeugungen« (553).
G. hat mit seiner Trilogie, von der hier der letzte Band vorzustellen war, eine ungemein materialreiche Darstellung vorgelegt. Mit zahllosen Einzelbeobachtungen bereichert und vertieft er unsere Kenntnis der mittelalterlichen Denk- und Frömmigkeitswelt. Das zwanzig Seiten umfassende Quellenverzeichnis (561–582) belegt eindrucksvoll die Fülle der herangezogenen Texte, von de­nen viele auch in Auszügen zitiert werden. In der Erschließung von Quellen liegt die Stärke dieses großen Werkes, das uns die Weite und Vielfalt der religiösen Vorstellungen des Mittelalters vor Augen führt. Wie es in der Einleitung heißt, geht es darum, »ein einigermaßen repräsentatives Bild über weiter verbreitete Vorstellungen zu entwerfen« (31). Das ist ohne Zweifel gelungen. Was bei der auf die Themen von Engel, Teufel und Menschen ausgerichteten Gliederung jedoch in den Hintergrund tritt, sind die historischen Entwicklungen, die Umbrüche vom Früh- zum Hochmittelalter, die Unterschiede zwischen Ländern und Regionen, die Differenzierungen zwischen Personen, Traditionen und Kontexten. Die Darstellung bekommt dadurch einen homogenisierten Charakter, dem mehr diachrone Tiefenschärfe zu wünschen wäre. Die Forschungsliteratur wird, wie das Literaturverzeichnis dokumentiert (582–608), umfassend herangezogen. Weitere Verzeichnisse runden die Darstellung ab. Ein Verzeichnis der Abbildungen (555–559), ein Autorenregister (609–618) sowie ein Register der Personen (619–623) erschließen das beeindruckende und zur Lektüre empfohlene Werk.