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Ausgabe:

Mai/2019

Spalte:

443–445

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Bernhardt, Johannes Christian

Titel/Untertitel:

Die Jüdische Revolution. Untersuchungen zu Ursachen, Verlauf und Folgen der hasmonäischen Erhebung.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2017. XIV, 726 S. m. 4 Abb. = KLIO / Beihefte. Neue Folge, 22. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-05-006481-9.

Rezensent:

Martin Rösel

Die überarbeitete Freiburger Dissertation von Johannes Christian Bernhardt (betreut von J.-J. Gehrke) beschäftigt sich mit Ursachen, Entwicklung und Folgen der hasmonäischen Erhebung. Sie tut dies von einem kulturwissenschaftlichen Standpunkt mit positi-vistischer Grundierung aus (12) und will erheben, »wie es eigentlich gewesen ist« (13); eine historisch-kritische Rekonstruktion und Deutung. Dazu wird zunächst in Kapitel 1 die Problemstellung skizziert, indem knapp der Gang der Ereignisse rekapituliert wird, aus dem sich die wichtigsten Fragen ergeben (1–11).
Kapitel 2 (12–34) entwickelt den Ansatz der Studie und formuliert Leitfragen für den weiteren Gang der Arbeit. Die Relevanz einer erneuten Untersuchung ergebe sich u. a. aus der Gegenwartsbedeutung der Ereignisse (vgl. das Chanukka-Fest), aber durch die Tatsache (vgl. E. Bickermann), dass Christentum und Islam nicht möglich gewesen wären, wenn der Versuch gelungen wäre, das Judentum abzuschaffen (13). Zudem wird auf die offenen Fragen der Forschungsgeschichte verwiesen. Minimalkonsens der bisherigen Beschäftigung sei nur, dass Antiochus IV. als Veranlasser der Religionseingriffe anzusehen ist und dass diese Eingriffe zu den Ursachen der hasmonäischen Erhebung gehören (22). Im Zentrum der Neubearbeitung der Fragestellung soll das Spannungsfeld von Religion und Politik stehen, hier werden Jan Assmanns Überlegungen zur »politischen Theologie« aufgenommen.
Kapitel 3 »Quellenkritik« evaluiert die wichtigsten literarischen Quellen wie das Danielbuch, die ersten beiden Makkabäerbücher und Josephus (35–71). Hier ließe sich aus theologischer Perspektive manches präzisieren: so ist die Formulierung auf S. 38, das Buch Daniel stamme »direkt aus der Zeit der Religionseingriffe […] und wurde von einem Zeitzeugen der Ereignisse« verfasst, mindestens missverständlich, ebenso die Rede vom Autor des Buches im Singular (vgl. auch 300). Unklar blieb mir auch die Qualifikation des 1Makk als »biblisierende Chronik« (47); bei der Darstellung des 2Makk fehlt demgegenüber ein Hinweis auf die charakteristische, wiederholte narrative Ausgestaltung des Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Insgesamt ist aber zuzustimmen, dass die Schriften je eigene Erzählinteressen verfolgen, was bei der Suche nach historischen Informationen zu beachten ist – das hatte freilich schon Elias Bickermann 1937 ähnlich formuliert. Etwas optimistisch er­scheint mir die Annahme, dass die 21 Briefe und Urkunden, die in die Schriften eingearbeitet wurden, als historisch glaubwürdig anzusehen sind (69). Interessant ist eine Aufwertung des Zeugnisses des Danielbuches durch ein modifiziertes e-silentio-Prinzip: durch das, was dort nicht gesagt wurde, lassen sich Behauptungen späterer Quellen in Frage stellen (70). Das überschätzt aber m. E. die Zuverlässigkeit von Dan 10 und 11. Umso erstaunlicher ist im Ge­genzug, dass die Schlüsselstelle Dan 11,34, in der die Makkabäer als »kleine Hilfe« bezeichnet werden, überhaupt nicht ausgewertet wird.
Kapitel 4 »Judäertümer und Polisstatus« (72–165) beschäftigt sich mit der Vorgeschichte des Konflikts bis zum Frühjahr 168, als die Römer Antiochus IV. zum Rückzug aus Ägpyten nötigten. Hier belegt der Vf. eine gute Kenntnis der Verhältnisse im perserzeitlichen Israel bis hin zu theologischen Fragestellungen, die er zur Klärung der Grundlagen für die Entwicklung des späteren Judentums heranzieht. Dabei wird für das frühe 2. Jh. das Bild eines Gemeinwesens gezeichnet, das aus verschiedenen Judäertümern besteht, was zu Konflikten zwischen Priester- und Laienfamilien führte. Innerhalb dieser Konfliktlage habe Jason als Anführer der Onias-Familie Jerusalem als Polis konstituiert, um so Angriffe auf das angestammte Hohepriesteramt abzuwehren; diese Entwicklung sei also kein Ergebnis allgemeiner Hellenisierung.
Kapitel 5 »Ein erschienener Gott« (166–216) nimmt die Entwicklung auf seleukidischer Seite in den Blick, vor allem die Gestalt Antiochus IV. »Epiphanes«. Dabei betont der Vf. im Gegenüber zu anderen Darstellungen die Bedeutung, die die Verehrung des Zeus Olympios für den Seleukidenkönig hatte, dies vor allem als Mittel zur Legitimation seiner durch Usurpation erworbenen Herrschaft. Zur Herrschaftsstabilisierung gehörten auch die Selbststilisierung als erschienener Gott (187) und die Ernennung Jasons als Hohepriester in Jerusalem (177). Dieses Ineinander wird als »Sakralisie rung der Politik«, als »Annäherung von Herrschaft und Heil« beschrieben (216). Geschwächt wurde dies dann durch die Demütigung der Römer, die ihn zwangen, Ägypten wieder aufzugeben.
Kapitel 6 »Der Greuel des Verwüsters« (217–274) beschäftigt sich dann mit dem zentralen Problem des Eingriffs in den Jerusalemer Kult. Der Vf. lehnt die übliche Ableitung ab, wonach »Greuel der Verwüstung« in Dan 11 auf Baal Schamem verweise, stattdessen sei durch eine Neubewertung des (späten) Berichts des Porphyrius wahrscheinlicher, dass Antiochus IV. im Tempel der Polis Jerusalem den Kult des von ihm verehrten Zeus Olympios installieren ließ. Zwar habe es Übergriffe gegen opponierende Juden gegeben, nicht jedoch eine systematische Verfolgung, wie sie die Makka-bäerbücher berichten. Deren Darstellung, dass Sabbatobservanz, Beschneidung und Speisevorschriften außer Kraft gesetzt wurden, sei als Gründungsmythos zu werten, um eben jene Vorschriften später verbindlich festzuschreiben (262); m. E. ein kaum zu rechtfertigender Schluss.
Kapitel 7 »Die Anfänge der Erhebung« (275–328) und 8 »Hohepriesteramt und Etablierung« (329–395) versuchen dann nachzuzeichnen, wie sich die Hasmonäer als eine der rivalisierenden Familien in der folgenden Zeit durchsetzten. Judas Makkabäus setzte sich die Reinigung des Kultes demnach aus politischen Gründen zum Ziel und begann eine Erhebung, die nur langsam eine breitere Basis bekam und letztlich vor allem von der Schwäche und dem frühen Tod des Antiochus profitierte; die folgenden Seleukiden nahmen die kultischen Maßnahmen zurück. Judas’ Nachfolger Jonathan und Simon setzten die antiseleukidische Politik fort, was letztlich im Jahr 140 zum Erfolg der theologisierten Machtpolitik führte: Simon wurde Hohepriester.
In Kapitel 9 »Hellenismus und Judentum« (396–467) wird dann rekonstruiert, wie sich als Reaktion des alten Establishments gegen die Hasmonäer verschiedene »religiös bestimmte Judäertümer« herausbilden, gemeint sind vor allem Sadduzäer, Pharisäer und Essener, in Ägypten die Oniaden mit dem Tempel in Leontopolis. Die beiden Makkabäerbücher reagierten dann mit ihrer unterschiedlichen Begründung der hasmonäischen Ansprüche auf diese Entwicklung. Weil die Abgrenzungen der Gruppen untereinander vor allem durch religiöse Differenzen geleistet wurden, entwickelte sich das »ethno-religiöse Identitätsmuster des Judentums« (467). Der »Epilog« (468–484) bündelt dann nochmals die Ergebnisse der Studie. Sie legt ihren spezifischen Schwerpunkt auf die Prozesse der Theologisierung der Politik und die Inanspruchnahme religiöser Deutungsmuster durch die Konfliktparteien innerhalb des damaligen Judentums, durch die letztlich das Judentum erst entstanden sei (471).
Die Arbeit wird durch eine Reihe umfangreicher Appendizes ergänzt: App. 1 »Religionseingriffe und Erhebungsursachen in der Forschung« (485–514) bietet eine instruktive Forschungsgeschichte; App. 2 beschäftigt sich mit der Datierung des ersten Einleitungsbriefes im zweiten Makkabäerbuch (515–523); 2Makk 1,7 weise auf das Jahr 144/143 v. Chr.; der Brief selbst stamme aus dem Jahr 125/4 v. Chr. App. 3 stellt ausführlich »Chronologie und Ereignisgang« dar (524–569). App. 4 erörtert den historischen Quellenwert des Tobiadenbuches in Josephus Antiquitates 12 (570–583). App. 5 erörtert Antiochus’ Aufenthalte in Jerusalem (584–592), die für die Jahre 169 und 168 v. Chr. wahrscheinlich sind. In App. 6 geht es um das Problem der Flucht des Onias IV. nach Ägypten und den dortigen Tempelbau um 150 v. Chr., der später Onias III. zugeschrieben wurde (593–603); App. 7 bietet eine Zeittafel und App. 8 drei Karten (604–609). Es folgen Literaturverzeichnis und Indizes (610–726).
Die außerordentlich detailreiche Studie ist durchgängig gut lesbar geschrieben. Oft stellt sich jedoch die Frage nach dem Sinn der übervollen Fußnoten, so etwa wenn in Fn. 15 auf S. 38 für ein Schaubild vier Referenzen gegeben werden, das im Wesentlichen bibelkundliches Grundwissen bietet. Das Gesamtbild der Untersuchung setzt durch den Fokus auf politische Überlegungen einen neuen Akzent innerhalb der Forschung; das Buch empfiehlt sich durchaus als Standardwerk zum Thema. Nicht jede Rekonstruktionsleistung im Einzelnen (besonders aus der Frühzeit des Konflikts) überzeugt dabei, auch erscheint die Differenzierung zwischen Judäertümern und Judentum künstlich und nicht von den Quellen gedeckt. Daher drängt sich mir anders als dem Vf. gerade nicht der Eindruck auf, es handele sich bei dem Prozess um eine »jüdische Revolution« (484).