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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

385–387

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Huppenbauer, Hanns Walter (†)

Titel/Untertitel:

Andere Europäer. Studien zur Geschichte der Basler Mission in Westafrika.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2018. 338 S. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-374-05572-2.

Rezensent:

Claudia Jahnel

Die Geschichte der Basler Mission in Westafrika als Geschichte »von unten« – »von den Erlebnissen und Empfindungen der Missionsbrüder her« – zu schreiben, ist das zentrale Anliegen der vorliegenden Veröffentlichung. Mit seiner Beleuchtung, Analyse und kontextuellen Verortung von Briefen und Berichten der frühen Missionare verschafft Hanns Walter Huppenbauer aber nicht nur jenen Stimmen Gehör, die in offiziellen Missionsgeschichtsschreibungen oftmals eher am Rande stehen. Die Veröffentlichung bietet auch für (kolonial)historisch, theologisch sowie kulturanthropologisch Interessierte eine reichhaltige Quelle an Material sowie an An­knüpfungspunkten für weitere regionale wie auch internationale Studien jener Epoche.
In sieben chronologisch geordneten Kapiteln stellt H. die Missionsgeschichte Westafrikas zwischen den Anfängen der Basler Mission 1815 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 dar. Jedes Kapitel bildet eine Art Fallstudie. Im Zentrum stehen meist einzelne Missionare – und wenige Ehefrauen –, ihre Motivationen, Anliegen und Nöte, ihr soziales Beziehungsgeflecht vor Ort sowie Probleme in der Kommunikation mit der Missionsleitung in Basel.
Das erste und mit knapp 80 Seiten längste Kapitel »Liberia – Mission Impossible?« beschreibt die beschwerlichen Anfänge der Basler Mission in Westafrika. Anders als die offizielle Geschichtsschreibung, die den Beginn der Afrikaarbeit der Basler Mission auf die Jahre 1826/1828 datiert, zeigt H.s Analyse von Quellen aus dem Basler Missionsarchiv, dass der Gedanke einer Mission in Westafrika schon etwa zehn Jahre früher aufkam. Hinweise darauf gibt ein »dünnes Bündel« von handgeschriebenen Texten mit dem Titel »Anbahnung einer Mission unter den Negern«, in dem erste Beratungen zur Vorbereitung der Mission in Afrika aus dem Jahr 1819 erwähnt werden. Entscheidende Impulse für die Mission in Westafrika gab der erste Missionsinspektor, Christian Gottlieb Blumhardt. Sein Interesse an einer Afrikamission war durch das Studium der Weltgeschichte, die er als eschatologischen Prozess hin auf ein baldiges endgültiges Einwirken Gottes deutete, geweckt worden. Es war jedoch weniger Bekehrungseifer, der Blumhardt antrieb, als der »Drang nach Wiedergutmachung einer Europa belastenden Schuld« (14) an der anhaltenden Versklavung von Afrikanern und Afrikanerinnen an der Westküste Afrikas. Überhaupt ist der Sklavenhandel, der in Aufzeichnungen der Missionare in seinen dras-tischsten Formen beschrieben wird, ein cantus firmus der Veröffentlichung. H. führt dadurch exemplarisch vor, wie wichtig die Konfrontation mit diesen und anderen kolonialen Grausamkeiten für die Entwicklung einer kritischen globalen Missionsgeschichtsschreibung ist.
Erhellend ist auch H.s Umgang mit »Ungereimtheiten« – im Vorfeld der Basler Afrikamission wie auch im Verlauf der Mission überhaupt. Hier wird Geschichte nicht geglättet oder beschönigt. So weist er etwa gerade im Blick auf das von Blumhardt bis in die Gegenwart betonte abolitionistische philanthropische Missionsmotiv darauf hin, dass das »Zaudern« der Basler Missionsgesellschaft in der Umsetzung der Pläne zur Mission in Westafrika wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass wohl einige Kaufleute und Prediger der Missionsfamilie »in irgendeiner Form im Handel mit Sklaven, dessen Finanzierung oder der Haltung von Sklaven auf Plantagen involviert« waren (23).
Der größte Teil des ersten Kapitels analysiert die Schwierigkeiten, mit denen die ersten Missionare in Liberia umzugehen hatten. Neben zahlreichen Krankheiten und Todesfällen, Auseinandersetzungen mit den freigelassenen Sklaven, die sich als Siedler in Liberia niederließen, und Unstimmigkeiten im Team der Missionare geht H. vor allem auf die mangelnde Kommunikation und die Auseinandersetzung mit der Missionsleitung in Basel und schließlich auf das Scheitern der Mission ein.
Das zweite Kapitel »Mission als heilende Wiedergutmachung« vertieft mit seiner Analyse der »Instruktion der Evangelischen Missionsgesellschaft« für die Missionsbrüder in Liberia die Ausführungen des ersten Kapitels. In der Bewertung der Instruktion hält H. nicht hinterm Berg: Einerseits zeige der reichhaltige Katalog an Fragen, auf die die Missionare in ihren Berichten eingehen sollten, eine »äußerst lernbegierige Missionsleitung« (116), die mehr über Leben und Religion in Westafrika, vor allem aber auch den Sklavenhandel wissen will. Zum andern aber enthülle die Instruktion ein Ordnungs- und Überwachungssystem, eine Bevormundung und ein geringes Vertrauen in die Eigenverantwortung der Mis-sionsbrüder. Auch die Einzelbiographie über Leben und Wirken von Missionar Philipp Henke im dritten Kapitel »Schwärmerei – nie und nimmer« vertieft die Einblicke in die erste Zeit der Basler Afrikamission einschließlich der erwähnten Kommunikationsschwierigkeiten mit Basel.
Mit dem vierten Kapitel »Kyebi und Gyadam sollen sich vereinen« beginnt der Einstieg in spätere Epochen der Basler Afrikamission. Das Kapitel untersucht den Bericht von Missionar Lodholz über den Friedensschluss im Jahr 1870 zwischen den verfeindeten Ethnien, den Kyebi und den Gyadam. H. unterstreicht in seiner Analyse die Rolle des Missionars als Beobachter und den Wert dieses und anderer Berichte für die afrikanische Geschichtsschreibung.
In geradezu detektivischer Manier schildert H. zu Beginn des fünften Kapitels, »Fritz Ramseyer und der König von Aschanti«, wie das Original des Tagebuchs, das Missionar Ramseyer während seiner vierjährigen Gefangenschaft bei den Aschanti schrieb, verloren ging und welche Rekonstruktionen, Auffälligkeiten und Bemerkungen die verschiedenen Kopien aufweisen. Schon ein Jahr nach Beendigung der Gefangenschaft von Ramseyer, seiner Familie und Missionar Kölle hatte Hermann Gundert die Tagebücher – zusammengefasst unter dem Titel »Vier Jahre in Asante« – veröffentlicht. H.s Augenmerk liegt auf der besonderen Beziehung, die sich zwischen Ramseyer und Kofi Karikari, dem König des Aschanti-Reiches, entwickelte. Seine Analyse zeigt nicht nur ein »Wechselbad der Gefühle« (246), sondern auch der Fremdheit und Nähe.
Das sechste und das siebte Kapitel schließlich schildern Ausschnitte aus der Geschichte der Basler »Togo Hinterland Mission« Anfang des 20. Jh.s. Unter dem Titel »Deutsche Neger stehen uns näher als englische« setzt sich H. im 6. Kapitel intensiv mit der Frage auseinander, ob die »Togo Hinterland Mission« von 1912 bis 1916 im Dienst des Kolonialismus stand oder nicht. Die internationalen Kooperationen, die die Missionsgesellschaft pflegte, die Beiträge von Basler Missionsverantwortlichen auf den zwei Missionskonferenzen in Bremen in den Jahren 1884 und 1885 sowie die Betonung der Sprache Twi gegen eine von der Kolonialregierung angestrebte D urchsetzung des einfacheren Hausa als Umgangssprache für ganz Westafrika bezeugen eine kolonialismuskritische Haltung der Mission. Aber H. verharmlost auch die kolonialismusfreundlichen Stimmen nicht und trägt damit zur kritischen Aufarbeitung des kolonialen Erbes der Mission bei.
Das siebte Kapitel, »Rechte Europäer lernen unsere Sprache nicht«, schildert sehr konkret die Pioniermission unter den Da­gomba in Togo, an der unter anderem H.s Vater und Onkel beteiligt waren. Hervorgehoben wird besonders die Bedeutung der ärztlichen Mission wie auch der Sprachforschung. Das Kapitel illus-triert die Bedeutung, die Missionare bei der Erschließung und Bewahrung afrikanischer Sprachen sowie in Kulturübersetzungsprozessen spielten. In dem aus Zitaten gewonnenen originellen Titel des Kapitels wie auch der gesamten Veröffentlichung bringt H. letztlich ein (Ideal-)Bild einer kolonialismuskritischen und auch machtlosen Mission zum Ausdruck. Weil sie weder mit Waffen noch mit Geld kamen, sondern stattdessen darum bemüht waren, die regionale Sprache zu lernen, wurden die Basler Missionare als »andere Europäer« wahrgenommen.
Etwas kurz kommen die anderen Geschichten »von unten«. Da­zu gehören zum einen die Geschichten der Frauen in der Basler Mission, zu der es zwar erste Veröffentlichungen wie Dagmar Konrads »Missionsbräute« gibt, die aber doch gleichwohl noch weiterer Aufarbeitung bedürfen. Zum anderen fehlen die Stimmen und Ge­schichten der »Missionierten«. Gerne würde man die Perspektive des Königs der Aschanti in der Begegnung mit Missionar Ramseyer genauer verstehen lernen oder die von Prinz Ansah oder der zahlreichen »normalen« Menschen, denen die Missionare begegneten.
Gleichwohl leistet H., der sich seit seiner Pensionierung mit Zeugnissen der Basler Missionare befasst hat und der am 31. Oktober 2018 gestorben ist, auch mit seiner letzten Veröffentlichung einen wichtigen Beitrag zur Missionsgeschichte, der sich durch akribische Detailstudien und scharfsinnige Analysen ebenso auszeichnet wie durch kritische Loyalität.