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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

352–354

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Leppek, Thorsten A.

Titel/Untertitel:

Wahrheit bei Wolfhart Pannenberg. Eine philosophisch-theologische Untersuchung.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 878 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 159. Geb. EUR 150,00. ISBN 978-3-525-56454-7.

Rezensent:

Martin Hailer

Vorzustellen ist die Dissertation Thorsten A. Leppeks, Schulpfarrer an einem Gymnasium in Frankfurt (Main), die 2015 in Mainz eingereicht, von Walter Dietz und Michael Roth betreut und der der Preis der Universität Mainz für 2016 zuerkannt wurde. Nach dem Innentitel des Buches folgen nicht weniger als neun Motti. Dies und der erhebliche Umfang – das ursprüngliche Manuskript wurde vor Drucklegung sogar noch gekürzt – lassen eine sehr materialreiche Studie erwarten. Zu fragen ist, was den erheblichen Umfang rechtfertigt.
Die Fragestellung jedenfalls ist im Rahmen der sich weiter etablierenden Pannenberg-Forschung zweifellos aktuell, denkt man nur an einige frühe Aufsätze Pannenbergs (u. a. »Was ist Wahrheit?«, 1962), den Antizipationsbegriff aus der Christologie, die Mo­nographie zur Wissenschaftstheorie und nicht zuletzt den expliziten Anspruch der Systematischen Theologie, die Wahrheitsfrage der christlichen Lehre offenzuhalten.
Aufriss: Der Vf. beginnt mit einer ausführlichen Einleitung zum Begriff der Wahrheit und zu wahrheitstheoretischer Terminologie. Die Darlegungen zum Begriff bei Pannenberg unterteilen sich in Reflexionen zum Gegenstand (»Wonach fragt die Frage nach der Wahrheit?«, 111), in die Attribute der Wahrheit wie Allgemeinheit, Geschichtlichkeit und Göttlichkeit (125–346) sowie in die Nachzeichnungen von Pannenbergs Erwägungen im Rahmen wahrheitstheoretischer Debatten (347–789). Hier nimmt die Korrespondenztheorie mit über 200 Seiten den größten Raum ein. Ein Gesamtfazit (791–813) sowie Verzeichnisse und Personenregister (815–878) beschließen das Werk.
Instruktiv sind die Informationen, die der Vf. zu den Attributen des Wahrheitsbegriffs bei Pannenberg vorlegt: Der Wahrheit we­sentlich sind Einheit, Allgemeinheit, Objektivität/Intersubjektivität, Ökumenizität/Katholizität sowie Göttlichkeit bzw. Absolutheit. Hier wird deutlich, wie Pannenbergs Werk etwa gegen die Bultmann-Schule und gegen die theologische Wittgenstein-Re­zeption Kontur gewinnt: Wahrheit ist niemals nur ›je meine Wahrheit‹, sondern eben allgemein und objektiv, letztlich mit Gott selbst identisch. Die Attribute Ökumenizität und Göttlichkeit der Wahrheit diskutiert der Vf. kritisch: Nur weil eine Überzeugung ökumenisch geteilt wird, muss sie ja nicht wahr sein (240). An der Gleichsetzung von Gott und Wahrheit moniert er, dass sie »die offene Frage nach Wahrheitserkenntnis überhaupt« übergehe (273). Das wird auch für die eigene Positionierung des Vf.s wichtig.
Völlig zu Recht wird von vielen Fundstellen berichtet, an denen Pannenberg sich für ein korrespondenztheoretisches Wahrheitsverständnis ausspricht und z. B. gegen Jürgen Habermas die impliziten korrespondenztheoretischen Implikationen konsens- und ko­härenztheoretischer Modellbildungen herausarbeitet (577 f. u. ö.). Es ist auch richtig, dass Pannenberg an – jedenfalls nach Überzeugung des Rezensenten – zentralen Stellen in augustinischer Tradition Gott und Wahrheit identifiziert (327–345). Dieser Umstand wird vom Vf. als Doppelung identifiziert und kritisch gesehen: Es verunklare das Korrespondenzmodell, wenn gleichsam ohne Not die ontologisch hoch aufgeladene und schwer zu vermittelnde (51) Konzeption von Gott = Wahrheit als Anreicherung verwendet wird: »Pannenberg pendelt zwischen onto(-theo-)logischer und semantisch-ontologischer Wahrheit.« Er »vermengt wiederholt irritierenderweise« die beiden (563, vgl. 279). Die Irritation entsteht, weil es für Pannenbergs Anliegen, Wahrheit als Vorgegebenheit zu denken, des Gottesbegriffs nicht bedarf. In dieser Sache gilt: »Pannenbergs Bemühung des Gottesgedankens erweist sich als eindeutig theologisch motiviert und sachlich überflüssig.« (520)
Es will schon etwas heißen, einem Theologen die Berufung auf den Gottesgedanken als »sachlich überflüssig« vorzuwerfen. Leitend ist die Annahme, dass eine bestimmte Fassung des Korrespondenzmodells allein ausreichend sei (»alethischer Realismus«, 536). Von hierher fragt er: »Was hat die göttliche Wahrheit mit Wahrheit im Sinne von Korrespondenz zu tun?« (521) Pannenberg behaupte einen künstlichen Zusammenhang zweier verschiedener Wahrheitsbegriffe. Dieser harsche Vorwurf wird konstatiert, aber nicht entfaltet. Das aber provoziert Rückfragen. Denn sowohl vom Antizipationsbegriff her wie von der Gesamtanlage der Systematischen Theologie ließe sich zeigen, wie laut Pannenberg Gott als Grund alles Wirklichen zugleich der ist, der in die mit ihm identische Wahrheit führt. In eschatologischer Perspektive ist Korrespondenzwahrheit nur mit Gott selbst sowohl als Gegenstand wie auch Wahrmacher zu denken. Dieser für Pannenberg allerdings zentrale Zug hätte im Rahmen seines Wirklichkeits- und Ge­schichtsverständnisses entfaltet werden können – und wohl auch müssen.
Weitere Beobachtungen bestätigen das Bild: Der Vf. teilt eine enorme Menge von Fundstellen zur Sache aus einer sehr großen Anzahl von Werken Pannenbergs mit (Summarien u. a. 169–171.178 f.329–331.783–786). Bis auf wenige Aufsätze jedoch, aus denen de­tailliert berichtet wird, bleibt es bei der Auswertung und fallweisen Diskussion ebendieser Fundstellen. Komplexe Argumentationszusammenhänge aus den großen Monographien wie aus der Systematischen Theologie werden jedoch nicht rekonstruiert und interpretiert.
Mit staunenswert großer Textkenntnis hält der Vf. Pannenberg äquivoke Verwendungen des Begriffs »Wahrheit« und wahrheitstheoretischer Termini vor und empfiehlt, dass es der Klarheit diene, hier doch eindeutiger zu schreiben (537.779–789 u. ö.). Das enträt aber nun doch der Reflexion auf die kontextuelle Einbindung von Begriffen in komplexe Argumentationen. Es wäre nötig gewesen, ganze Argumentationszüge nachzuzeichnen und nicht nur einzelne Wortverwendungen zu beobachten. Das zwischendurch und am Schluss mitgeteilte Lob, man habe es mit einer komplexen und beeindruckenden Wahrheitstheorie zu tun, die die Diskussion be­reichert (813), wird bei so ausführlich und wiederholt vorgetragener Kritik schal und unglaubwürdig, was kaum intendiert gewesen sein dürfte.
Wir haben es demnach mit einer kenntnisreichen Darlegung und Diskussion von sehr vielen Textstellen zum Thema Wahrheit und Wahrheitstheorie bei Pannenberg zu tun, tendenziell jedoch nicht mit einer Interpretation seiner philosophisch ausgewiesenen Theologie auf Begriff und Sache der Wahrheit hin, die in ihr in der Tat eine Schlüsselrolle spielen.