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Ausgabe:

April/2019

Spalte:

327–327

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eastman, Susan Grove

Titel/Untertitel:

Paul and the Person. Reframing Paul’s Anthropology. Foreword by J. M. G. Barclay.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2017. XVI, 207 S. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-6896-1.

Rezensent:

Karl-Wilhelm Niebuhr

Susan Grove Eastman hat bisher eine Studie zur Sprache des Galaterbriefes (Recovering Paul’s Mother Tongue. Language and Theology in Galatians, Grand Rapids 2007) sowie einige Aufsätze zu Paulus publiziert. Ihr Anliegen war und ist es, die gegenwärtigen pastoralen Herausforderungen kirchlicher Arbeit mit exegetischen Fragestellungen zu verbinden. Ihr neues Buch erhebt den Anspruch, die vielfältige anthropologische Terminologie des Paulus in einen neuen Rahmen zu stellen (s. den Untertitel). Dazu vergleicht sie einschlägige paulinische Aussagen einerseits mit einem exemplarischen Vertreter der antiken stoischen Philosophie (Epiktet), andererseits mit gegenwärtigen Philosophen und Neurowissenschaftlern (Shaun Gallagher, Vittorio Gallese) und einer Kultur- bzw. Sozialpsychologin (Vasudevi Reddy).
Ihr Paulus-Verständnis macht die Vfn. gleich zu Beginn klar (In­troduction, 1–26). Einer individuell verengten Interpretation der paulinischen Anthropologie, für die sie in der neueren Paulus-Forschung vor allem Rudolf Bultmann und Ernst Käsemann verantwortlich macht, möchte sie ihre »Second-Person Hermeneutics« entgegenstellen (14 u. ö.). Während sie Epiktet als »most amenable to Cartesian notions of the self« ansieht und entsprechend kritisch beurteilt, findet sie ihren eigenen »second person standpoint« (23) bei den genannten zeitgenössischen Philosophen und Psychologen bestätigt. Dieser relativ grobkörnigen Sicht entsprechend baut sie ihre Studie auf: In Teil 1 stellt sie dem Verständnis der Person bei Epiktet die Sicht gegenwärtiger Psychologen gegenüber und bringt schließlich einige paulinische Aussagen zum Leib des Menschen mit ihnen ins Ge­spräch. Die drei Kapitel von Teil 2 beginnen jeweils mit Skizzen zur anthropologischen Terminologie und ihren argumentativen Kontexten in ausgewählten Kapiteln aus Paulus-Briefen (Röm 7, Phil 2, Gal 2), an die sich Reflexionen der Vfn. zum Verständnis der Person im Sinn ihres oben skizzierten Settings anschließen. Die knappe Zusammenfassung steht unter der recht ambitioniert klingenden Überschrift »Pushing the Reset Button on Paul’s Anthro-pology« (176–185).
Der Kritik der Vfn. an einer individualistisch verengten Sicht der paulinischen Anthropologie ist sicher zuzustimmen. Sie ist freilich längst nicht mehr Standard in der exegetischen Forschung. Diese wird in dem vorliegenden Buch allerdings nur äußerst selektiv wahrgenommen. Deutschsprachige Exegeten nach Bultmann und Käsemann (deren Werke nur in englischer Übersetzung erscheinen) werden ebenso ignoriert wie große Teile der neueren internationalen Paulus-Forschung und weitgehend auch die Forschung zur antiken Philosophie (eine Ausnahme bildet lediglich die weitgehend überzeugende Auseinandersetzung mit T. Engberg-Pedersen zur stoischen Paulus-Deutung). Während das Kapitel zu Epiktet (29–62) gründlich und textnah argumentiert, freilich nur, um am Ende dessen Position pauschal zu kritisieren, bleiben die exegetischen Passagen zu den Paulus-Briefen skizzenhaft und aphoris-tisch. So mag das Buch manche Anregungen zum Nachdenken über antike und heutige Menschenbilder geben. Als Beitrag zur gegenwärtigen Paulus-Forschung kann es aber nicht gelten.