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Ausgabe:

Februar/2000

Spalte:

166–168

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heyer, Cees J. den

Titel/Untertitel:

Der Mann aus Nazareth. Bilanz der Jesusforschung. Aus dem Niederl. von M. Scherer-Rath.

Verlag:

Düsseldorf: Patmos 1998. 253 S. 8. Geb. DM 39,80. ISBN 3-491-77997-9.

Rezensent:

Peter Müller

Um es gleich zu sagen: Cees den Heyer ist ein schönes, lesenswertes Buch gelungen. Es ist leicht nachzuvollziehen, die Sprache ist einfach und geradlinig. Natürlich wird die oft komplizierte Jesusdebatte nicht in all ihren Verästelungen dargestellt; angesichts von Seitenzahl und Format des Buches ist dies gar nicht möglich. Aber die Grundlinien der Debatte werden aufgenommen, und die wichtigsten Vertreter der jeweiligen Auffassungen sucht man nicht vergebens. Wer nach Detailinformationen fragt, wird zwar nach wie vor zu Werner Georg Kümmels umfangreichen Sammelband greifen (Vierzig Jahre Jesusforschung, BBB 91, Weinheim 21994). Wer aber eine knappe und leicht lesbare Einführung in die Jesusdebatte sucht, trifft mit H.s Buch eine gute Wahl. Der Autor hat sich im Dickicht der Auffassungen nicht nur selbst eine Meinung gebildet, sondern ist noch einen wichtigen Schritt weiter gegangen und hat seinen Erkenntnisprozess für die Leserinnen und Leser verständlich gemacht, ohne ihnen die Mühen dieses Prozesses zuzumuten. Einziger Wermutstropfen: Wer die Debatte kennt, findet sich bei den Überschriften ohne Schwierigkeiten zurecht (etwa bei "Der ,sogenannte’ historische Jesus", 82, "Auf der Suche nach Kriterien", 192, oder bei "Kommt, laßt uns abstimmen", 222). Den in dieser Debatte nicht so Bewanderten wird dies jedoch eher schwer fallen. Gerade weil das Buch sich seinem impliziten Anspruch nach besonders an Nicht-Fachleute wendet, vermisse ich ein Register, das die Fülle an Einzelinformationen aufzuschlüsseln hilft.

Den größten Raum nimmt erwartungsgemäß die Jesusdebatte von der Mitte des vergangenen Jahrhunderts bis in die Gegenwart ein. Aber auch die altkirchliche Christologie und die Reformationszeit kommen andeutungsweise zu Wort, und es wird deutlich, dass die Frage, wer Jesus war und wer er ist, von den Anfängen christlicher Theologie an bis in die Gegenwart hinein eine spannungsvolle und spannende Diskussion ausgelöst hat. Die Kapitelüberschriften geben die verschiedenen Stationen der Debatte an. Die ",vernünftige’ Christologie" seit Reimarus (38 ff.) suchte nach dem "echten Jesus", konnte ihn jedoch trotz verschiedener "Leben-Jesu-Bücher" nicht finden (56 ff.). Der Optimismus in der Jesusforschung des 19. Jh.s wich an deren Ende dem Skeptizismus (66 ff.). Bultmann stellte mit dem kerygmatischen Christus ein Gegenbild auf, das die historische Rückfrage für einige Jahrzehnte fast (aber nur fast; vgl. die Hinweise auf Jeremias in "Zurück in die Vergangenheit", 99 f.) verstummen ließ. Das neu erwachte Interesse an dem historischen Jesus in der "neuen Frage" seit der Mitte der 50er Jahre wird dargestellt (93 ff.) wie auch die vor allem nach dem 2. Weltkrieg zunehmende Erkenntnis der Verwurzelung Jesu im Judentum, die durch die Entdeckung neuer Quellen, insbesondere der Qumran-Schriften (141 ff.) gefördert wurde. Auch hier vermittelt H., wie überall sonst, einen guten Überblick und durchaus auch eine eigene Meinung: "Klar ist, daß dank Qumran bestimmte Aspekte in den Worten und Taten Jesu an Kontur gewonnen haben. Ich erachte es als möglich, daß er (sc. Jesus) einige Zeit in der Gemeinschaft des Qumran gelebt hat, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt die ,Sekte’ verlassen hat" (168). Nun, darüber mag man streiten; aber H. trägt seine Aussagen nicht dogmatisch vor, sondern abwägend, und man kann den Argumenten folgen, auch wenn man nicht mit allem übereinstimmt. Die Kriterienfrage der letzten Jahre und Jahrzehnte kommt ebenso zu Wort (190 ff.) wie die Renaissance des Historischen in der gegenwärtigen, vor allem US-amerikanischen Diskussion. Auch die populärwissenschaftliche Diskussion wird gestreift (169 ff.), bis hin zum inzwischen altbekannten Jesus in Indien oder Japan (188 f.). Die eigene Beheimatung H.s wird in dem kurzen Abschnitt über die Jesusdebatte in den Niederlanden deutlich (208 ff.).

H. ist überzeugt, dass der Weg in die Vergangenheit nicht versperrt ist. Trotz des großen zeitlichen Abstandes lasse sich ein historisch fundiertes Profil Jesu von Nazareth skizzieren (241), wenn auch kein "Leben Jesu", so doch eine "Mini-Biographie" (vgl. 237 ff.): "Historisch gesprochen, tasten wir nicht im Dunkeln" (241). Allerdings kann, wer mit Hilfe historischer Methoden in die Vergangenheit schaut, "lediglich einen Teil der Vergangenheit aufzeigen" (243). Über die Bedeutung Jesu Christi kann der Gläubige über die historische Erkenntnis hinaus noch mehr sagen. Jedoch: "Es hat sich herausgestellt, daß nicht nur die Wirklichkeit kompliziert ist. Auch die Wirklichkeit, die durch den Glauben hervorgerufen wird, läßt sich nicht in ein paar Worten oder Sätzen zusammenfassen" (244). Und die schlichte theologische Erkenntnis "Es ist ein Unterschied, ob wir uns auf den kerygmatischen Christus oder auf den Jesus der Bibel konzentrieren" (244), muss in der Debatte um den historischen Jesus immer wieder unterstrichen werden, damit nicht unter der Hand Historie oder Theologie absolut gesetzt oder aber unter der Hand ausgetauscht werden. Sowohl theologische als auch historische Formeln können Jesus festlegen und ein-schließen. Diese Erkenntnis führt H. zu dem Fazit: "Das Spannende an der Begegnung mit Jesus ist aber gerade, daß das letzte Wort über ihn anscheinend immer noch nicht gesprochen worden ist und vielleicht niemals gesprochen werden kann" (253). Für die weitergehende Diskussion ist aber die Bilanzierung der bisherigen Debatte wichtig. Und H.s Buch ist eben das, was der Untertitel verspricht: eine leicht lesbare "Bilanz der Jesusforschung".