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Ausgabe:

März/2019

Spalte:

198–200

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Brons, Martin

Titel/Untertitel:

Augustins Trinitätslehre praktisch: Katechese, Liturgie, Predigt. Ritual und Unterweisung auf dem Weg zur Taufe.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XIV, 253 S. = Studien und Texte zu Antike und Christentum, 105. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-16-155393-6.

Rezensent:

Josef Lössl

Bei der vorliegenden Monographie von Martin Brons handelt es sich um die geringfügig geänderte und dem Format der Reihe »Studien und Texte zu Antike und Christentum« angeglichene Fassung einer im Sommersemester 2016 an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommenen Doktorarbeit. Zentrales Anliegen des Buches ist, Zeugnisse des kirchlich-rituellen Lebens Augustins, d. h. Quellen zu seiner Katechese, seiner Liturgie und seiner Predigt, im Licht seines trinitarischen Denkens, das in diesen Zeugnissen durchscheint, zu lesen und so ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie sich dieses Denken – bzw., wie B. es ausdrückt, die »eine Trinitätslehre Augustins« (214) – im religiös-praktischen Leben des Kirchenvaters und seiner Gemeinde manifestierte, d. h. wie es in den genannten rituellen Handlungen »in verschiedenen Modi« (ebd.) in eine kirchliche Praxis übersetzt, kurz, praktiziert wurde, entsprechend dem Titel des Buches, »Trinitätslehre praktisch«.
Das Buch zerfällt in sieben Kapitel. Nach einer kurzen Einleitung erfolgt in Kapitel 2 die Grundlegung der nachfolgenden Überlegungen im Paradigma der neueren Ritual- und Gedächtnisforschung. Einige Arbeiten von Catherine Bell und ihr Konzept eines »praktischen Glaubens« (practical belief) werden hier diskutiert, ebenso wie Harvey Whitehouses Begriff der »rituellen Gedächtnisformen« (modes of religiosity) sowie István Czacheszs Vorstellung einer Bildung des expliziten Langzeitgedächtnisses im Ritual. Am Ende des Kapitels wird zusammenfassend betont, dass in der Anwendung der Methoden der Ritual Studies in der Augustinusforschung gewisse Chancen liegen, die für Letztere neue Erkenntnisse und Einsichten versprechen. In den Kapiteln 3 bis 6 wird die in Kapitel 2 entwickelte Begriffssprache dann dementsprechend angewendet.
Kapitel 3 folgt mit einem Überblick über Ritualerfahrungen und Ritualisierung im Leben Augustins selbst, den Katechume-natsbeginn unmittelbar nach der Geburt, die Taufe in Mailand im Jahr 387, Augustins Deutung der Kompetentenzeit im Rückblick, einige Beispiele zu Ritualpraxis und Ritualkritik Augustins als Priester und Bischof während seiner Zeit in Hippo. Als Quellen dazu werden herangezogen natürlich die Confessiones (1,17; 9,14), aber auch De fide et operibus (cap. 9) und Epistula 29. Als Beispiele werden genannt die Feier des Festes der Himmelfahrt Christi in Hippo, die regelmäßige Feier der Eucharistie, die Einhaltung der Tagzeiten und die Praxis von Predigt und Predigtvorbereitung.
Kapitel 4 bringt eine Analyse des Frühstadiums des Katechumenats als Hinführung zum trinitarischen Glauben durch Katechese und Riten anhand von De catechizandis rudibus. Die Bedeutung des Katechumenats und seine Grenzen im Hinblick auf seine Heilswirksamkeit werden zusätzlich anhand von De peccatorum meritis et remissione 2,42 erörtert. Dieser Abschnitt enthält auch eine Diskussion zum Sakramentenbegriff Augustins. Kapitel 5 liefert eine detaillierte heortologische Skizze des Osterfestkreises in Hippo und Kapitel 6 schließt mit einer Beschreibung der Kompetentenzeit als einer speziellen Einführung in den trinitarischen Glauben durch Rituale und Unterweisung. Dieses letztere Kapitel enthält die explizitesten Ausführungen zu den Zusammenhängen zwischen rituellen Handlungen und trinitätstheologischen Gedankengängen im Rahmen dieser Arbeit und stützt sich quellenmäßig überwiegend auf eine Gruppe von sermones über das Taufsymbol (212–215), die sermones 216 und 217 und die sermones 56–59 über das Vaterunser. Bei den im Einzelnen besprochenen rituellen Einheiten handelt es sich um nomendatio als Ritualvereinbarung, Prüfexorzismus (scrutinium), traditio und redditio symboli sowie oratio Dominica. Als theologisch aufschlussreich erweisen sich eine Liste von trinitätstheologischen Deklamationen in ss. 212–215 und eine detaillierte rhetorische Analyse von s. 57 (177–200). Durch seine Ana­lyse dieser Quellen zeigt B. in großer Detailgenauigkeit, wie Augustin rituelle Abläufe und Handlungen immer wieder gezielt als Gelegenheit wahrnimmt, um mit Hilfe seiner homiletischen Rhetorik zentrale Glaubensinhalte (d. h. – letztlich – seine Trinitätslehre) dem Gedächtnis der Gläubigen einzuprägen (memoriae commendare). Gemäß der These dieser Arbeit verwandelt oder übersetzt er damit gewissermaßen die Riten selbst in eine praktische Ausprägung seiner Trinitätslehre (202 f.). Die Riten, Katechese, Liturgie, Predigt, sind sozusagen Augustins Trinitätslehre praktisch, so B.s These.
Man könnte dem zweierlei entgegenhalten: Einerseits, so könnte man sagen, wurden die in dieser Arbeit dargestellten frühkirchlichen Riten nicht von Augustin »geschaffen« oder »erfunden«, sondern entwickelten sich als eine Tradition unter Mitwirkung vieler Agenten. Zum andern entwickelten sie sich als Praktiken nie ge­trennt von intendierten Glaubensinhalten. Es war nicht Augustin, der sie erst mit einer (»seiner«) Trinitätslehre versah, als ob sie vorher inhaltslos gewesen wären. Sie waren vielmehr schon immer geprägt von einer Wechselwirkung von intendiertem geistigem (theologischem) Inhalt und ausgeführter praktischer Handlung. Einwände dieser Art würden der vorliegenden Studie jedoch nicht g anz gerecht. B. will die Beziehung zwischen Theorie und Praxis ja nicht trennen, sondern sie vielmehr in neuer Weise sichtbar machen. Die in der Arbeit nachgezeichneten rituellen Praktiken haben sämtlich schriftliche Werke Augustins zu ihrer Quelle. Der Eigencharakter von B.s Studie liegt darin, diese Werke einmal nicht auf ihre intellektuellen Inhalte hin zu lesen, sondern die in ihnen beschriebenen oder zumindest angedeuteten Riten als liturgisch-praktische Umsetzung dieser Inhalte zu deuten. In dieser Hinsicht leistet die Arbeit Wichtiges und öffnet die oft geschlossen dargestellte geistige Welt Augustins auf eine nicht nur Intellektuellen und theologisch Gebildeten zugängliche Wirklichkeit praktischer Religiosität. Es geht B. darum, die Einheit beider Dimensionen zu betonen: »Es wäre fatal,« schreibt er, »von Augustins Trinitätslehre in Ritual und Unterweisung als einer im Prinzip anderen Trinitätslehre zu sprechen, so als wäre der Kirchenvater gespalten in Bischof und Philosoph …« (213). Eine solche Spaltung stünde auch »gleichermaßen gegen Augustins Selbstzeugnis« (214).
Dieses Anliegen ist berechtigt und in dieser Hinsicht ist B.s Studie mit Gewinn zu lesen und zu studieren. Für diejenigen jedoch, die dies als Theologen tun, bleibt dennoch zu bedenken, dass das Wissen um diesen Sachverhalt – bzw. die (letztlich eigentlich nicht beweisbare) Annahme, dass sich dies so verhält – einzig und allein aus der Kenntnis von Augustins im engeren Sinn trinitätstheologischen Schriften zu gewinnen ist und nicht ausschließlich aus dem Vollzug oder auch dem geistigen Studium der in dieser Studie be­schriebenen und analysierten Rituale. Insofern präsentiert die vorliegende Studie nur eine Seite der Medaille. Augustin selbst war sich dessen durchaus bewusst. So wichtig für ihn die intellektuelle Durchdringung der Glaubenslehre war, so sehr betonte er auch, dass die Heilswirklichkeit im praktischen Vollzug des Glaubens zu finden sei. Freilich praktizierte er beides und in seinem Fall war es eben schon so, dass er einerseits zum Volk predigte und mit ihm die Riten beging und sich andererseits auch zurückzog, um »schöngeis-tig seinen philosophisch-theologischen Gedanken« (214) nachzusinnen. Im Fall der Person Augustins ging dies zusammen. In seiner Gänze weitervermitteln lässt sich diese Wirklichkeit nicht. B.s Studie vermittelt dennoch immerhin einen wichtigen und oft vernachlässigten Aspekt derselben und kann deshalb als Beitrag so­wohl für die Augustinforschung als auch für die Erforschung von Geschichte und Praxis der Liturgie und kirchlich-rituellen Praxis generell empfohlen werden.