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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

98–100

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Stoll, Christian

Titel/Untertitel:

Die Öffentlichkeit der Christus-Krise. Erik Petersons eschatologischer Kirchenbegriff im Kontext der Moderne. M. e. Vorwort v. H. Maier.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017. 454 S. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-78628-9.

Rezensent:

Christoph Böttigheimer

Dieser Band von Christian Stoll setzt sich, wie der Untertitel anzeigt, mit der Ekklesiologie des zum Katholizismus konvertierten Erik Peterson (1890–1960) auseinander, dessen wissenschaftliche Leistung erst in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten eine renaissanceartige Würdigung erfährt. Das theologische Schaffen des in Hamburg gebürtigen Theologen wird trotz einer fehlenden Systematik und einer Sprunghaftigkeit auf eine Mitte zurückzuführen versucht. Sie wird, wie der Haupttitel ankündigt, im Begriff der Öffentlichkeit (der Kirche) ausfindig gemacht; er stehe im Zentrum Petersons politisch-theologischen Denkens. Näherhin gehe es hierbei um die Christusoffenbarung, die einen krisenhaften Einbruch Gottes in die Geschichte darstelle und in der Kirche präsent bleibe. Damit könne der christliche Glaube, anders als für Petersons Gesprächspartner, den Staatsrechtler Carl Schmitt, gerade nicht für eine Politische Theologie in Dienst genommen werden, sondern entfalte stattdessen eine ideologiekritische Kraft – der Ausdruck »eschatologischer Vorbehalt« geht auf Peterson zurück –, analog zur dialektischen Theologie Karl Barths, von welcher Petersons Denken nachhaltig geprägt worden sei.
Die Dissertation, die im Fachbereich Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Wien angefertigt wurde, möchte zum einen die von Barbara Nichtweiß und Roger Mielke aufgestellte These, im Zentrum Petersons theologischen Denkens stünde der Begriff der Öffentlichkeit der Kirche, vertiefen und zum andern den Fragen nachgehen, was die Genese von Petersons Krisentheologie in den Umbruchsprozessen der Weimarer Zeit bedingte und in welchem Verhältnis sein Denken zur Moderne steht. Die Arbeit gliedert sich in vier Teile: Zunächst wird der Ort von Petersons offenbarungstheologischem Prinzip in der Krisentheologie der Weimarer Zeit auszumachen versucht, bevor anschließend sein kirchlicher Öffentlichkeitsbegriff in zweierlei Hinsicht analysiert wird: das eine Mal ausgehend von der theologischen Genese und das andere Mal in einer theologisch-systematischen Zusammenschau. Das letzte Kapitel bemüht sich schließlich um eine modernisierungstheoretische Interpretation, indem nach der Anschlussfähigkeit von Petersons ekklesiologischem Konzept an die katholische Ekklesiologie 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gefragt wird.
Das erste Kapitel dient der Vorbereitung der Rekonstruktion von Petersons politisch-theologischem Denken. Dazu wird die Weimarer Theologie modernisierungstheoretisch gedeutet: Die Neuscholastik sei mit der Frage nach der Gegenwartsrelevanz der Theologie, also mit einem neu gewonnenen Zeitbezug überwunden worden, worin sich Joas’ Bezeichnung der Moderne widerspiegele, nämlich als »Zeitalter der Kontingenz«. Umsichtig und problembewusst setzt sich S. mit verschiedenen konfessionell gefärbten Modernisierungstheorien auseinander, um sich von dort her in einer beeindruckenden theologiegeschichtlichen Weite den ekklesiologischen Aufbrüchen in der Weimarer Zeit zu widmen, in welchen die Christozentrik eine wesentliche Rolle spielte. In diesem Zusammenhang werden im zweiten Kapitel Petersons Verständnis von der Öffentlichkeit der Kirche sowie das offenbarungstheologische Fundament seiner Ekklesiologie erschlossen. Für die Genese seines theologischen Denkens seien Adolf von Harnack, Karl Barth und Carl Schmitt die drei wichtigsten Gesprächspartner gewesen. Durch sie sei er »zu einer christozentrischen Offenbarungstheologie [gelangt], die um das Motiv der eschatologischen Krisis kreist und gleichzeitig ein Krisenprodukt der theologischen Umbruchsprozesse der Weimarer Jahre ist, das sich zu den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit auf spezifische Weise ins Verhältnis setzt.« (65) Durch die detaillierte Analyse der Auseinandersetzung mit Harnack, Barth und Schmitt wird deutlich, wie sehr sich Petersons kirchlicher Öffentlichkeitsbegriff gegen den liberalen Protestantismus des 19. Jh.s richtete: Die Öffentlichkeit der Kirche könne nur durch eine kirchliche Autorität sichergestellt werden, ansonsten drohe die Verinnerlichung der biblischen Offenbarung, der doch gerade ein starker Objektivitätsanspruch innewohne und die eine krisenhafte eschatologische Kraft entfalte.
Im dritten Kapitel wird eine systematische Zusammenschau von Petersons Begriff einer kirchlichen Öffentlichkeit unternommen. Dabei arbeitet S. heraus, dass vor allem zwischen den Jahren 1925 und 1940 die Rede von der Öffentlichkeit der Christus-Krise eine besondere Bedeutung in der Ekklesiologie Petersons erlangt habe, indem die krisenförmige Christusoffenbarung mit dem kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff gepaart worden sei. Auf diese Weise konstituiere sich für Peterson die Kirche durch die Christusoffenbarung, die einen revolutionären Krisenakt in der Geschichte darstelle, und sei die ekklesia als Versammlung der Himmelsbürger zu denken, analog zur Bürgerversammlung der griechischen Polis. »Peterson ist überzeugt, dass er [der profane ekklesia-Begriff] von den frühen Christen verwendet wurde, weil sie die juridische Gestalt ihrer gottesdienstlichen Versammlungen in der politischen ekklesía wiederfanden.« (332) In den kultischen Vollzügen der Kirche manifestiere sich also eine kosmische Öffentlichkeit, die mit der politischen Öffentlichkeit in einer krisenhaften Spannung, d. h. kritischen Distanz stehe, relativiere sie doch jeden irdischen Absolutheitsanspruch.
Der vierte und letzte Teil fragt nach einer Zusammenfassung bisheriger Ergebnisse nach dem Beitrag von Petersons Ekklesiologie zum Diskurs über die Kirche in der Moderne, genauer zum ekklesiologischen Diskurs 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Während des Konzils habe sich Petersons Ekklesiologie und der konziliare ekklesiologische Diskurs durch Ungleichzeitigkeit unterschieden, hätten sich doch die Signaturen der Weimarer Umbruchszeit von jenen der 1960er Jahre deutlich abgehoben, weshalb sich die Ekklesiologie Petersons für den konziliaren Kirchendiskurs als wenig anschlussfähig erwiesen hätte. Dies stellt sich nach Ansicht von S. 50 Jahre nach dem Konzil, d. h. im Blick auf die kritische Rezeptionsgeschichte anders dar: Petersons kirchlichem Öffentlichkeitsbegriff sei ein Problembewusstsein zu eigen, welches auch 50 Jahre nach dem Konzil nicht überholt sei: Er habe vor einer religionsphilosophischen Grundlegung des Christentums ebenso gewarnt wie vor einer übertriebenen politischen Aktivität der Kirche. Für ihn korrelierte der unmittelbare Geltungsanspruch der Kirche mit der Sichtbarkeit einer liturgischen Öffentlichkeit. In ihr manifestiere sich die »eschatologische[…] Krisis, die als ›Eingriff‹ in das Politische auftritt, die sich immer als Krisis zeigt und der es daher widerstrebt, mit einem unmittelbaren Geltungsanspruch Politik zu treiben« (417). Diese kritische Distanz könne sich als hilfreicher Impuls für den heutigen ekklesiologischen Diskurs erweisen.
Der Band zeichnet sich darin als überaus lesenswert aus, dass er sich in einer bemerkenswerten abwägenden und bedachten Art um die Rekonstruktion von Petersons Ekklesiologie bemüht und im Zuge dessen wertvolle Einblicke in die Krisentheologie der Weimarer Zeit eröffnet. Darüber hinaus legt die zugrundliegende Fragestellung Desiderate nachkonziliarer kirchlicher Diskurse offen und lädt zur Reflexion über das Verhältnis von Kirche und zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit bzw. über einen erneuerten Öffentlichkeitsbegriff in der katholischen Ekklesiologie ein.