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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

70–72

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bullinger, Heinrich

Titel/Untertitel:

Tigurinerchronik. Hrsg. v. H. U. Bächtold. 3 Teilbde.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2018. XXVII, 1813 S. m. 8 Abb. = Heinrich Bullinger Werke. 4. Abtl.: Historische Schriften, 1. Lw. EUR 450,00. ISBN 978-3-290-17851-2.

Rezensent:

Stefan Michel

Unter den Reformatoren war wohl Heinrich Bullinger derjenige, der sich am meisten für historische Ereignisse interessierte und diese in seinen theologischen Werken verarbeitete. Seit den 1520er Jahren verfasste er historische Abhandlungen oder bezog sich in seinen Schriften auf kirchenhistorische Zusammenhänge. Wichtige persönliche Ereignisse hielt er knapp in seinem Diarium fest, das 1904 von Emil Egli (1848–1908) herausgegeben wurde (ND 1985). Umfangreicher waren seine chronikalischen Projekte angelegt: die Fragment gebliebene Eidgenössische Geschichte, die Reforma-tionsgeschichte und die Tigurinerchronik. Die Reformationsgeschichte wurde bereits 1838/40 in drei Bänden von Johann Jakob Hottinger (1783–1860) und Hans Heinrich Vögeli (1810–1874) ediert (ND 1985).
Nun legte der langjährige und versierte Editor des Bullinger-Briefwechsels Hans Ulrich Bächtold eine modernen wissenschaftlichen Bedürfnissen genügende Edition der Tigurinerchronik, »dem wohl wichtigsten ›allgemeinhistorischen‹ Werk Bullingers«, so der Reihenherausgeber Peter Opitz in seinem Vorwort (VII), vor. Damit eröffnet er zugleich eine neue Abteilung, die vierte, innerhalb der Bullinger-Werkausgabe, die seit 2004 geplant war und den historischen Schriften vorbehalten ist.
B. verfasste seine volkssprachliche Darstellung der Geschichte Zürichs zwischen 1572 und 1574 in zwei Bänden. Sie sollte mit der ebenfalls zweibändigen Reformationsgeschichte eine Einheit bilden. 1574 übergab er beide Werke einheitlich gebunden an das Großmünsterstift. Die Chronik besteht aus zwei Teilen mit insgesamt 14 Büchern, die durch verschiedene Beigaben angereichert wurden, unter denen die Geschichte des Großmünsterstifts (1222–1325) wohl die kirchenhistorisch bedeutendste ist. Der erste Teil beschreibt unter anderem die Ausbreitung des Christentums, Besonderheiten einzelner Völker sowie die kirchliche Entwicklung Zürichs bis etwa 1400. Der zweite Teil reicht bis zum Beginn der Reformation. Für seine Darstellung griff der belesene B. auf zahlreiche archivalische, mündliche oder gedruckte Quellen zurück, die er teilweise wörtlich zitierte. Vorwiegend stellte B. den historischen Verlauf chronologisch dar, unterbrach ihn aber häufig für thematische Erweiterungen. Während B. die eidgenössische Geschichte patriotisch nachzeichnete, wertete er die Entwicklung der Papstkirche als einen Verfall. Der Papst war für B. der Antichrist, der durch Menschensatzungen die Kirche korrumpiert habe. Mittelpunkt seiner Geschichtsdarstellung war Zürich. Die nie gedruckte Tigurinerchronik verbreitete sich ausschließlich durch zahlreiche Abschriften des 16.–18. Jh.s. Auf einen Überblick über diese konnte verzichtet werden, weil ihn Christian Moser in seiner hervorragenden Dissertation bereits geboten hat (Die Dignität des Ereignisses. Studien zu Bullingers Reformationsgeschichtsschreibung, Leiden/Boston 2012, 791–979). Sowohl durch Tigurinerchronik als auch Reformationsgeschichte wirkte B. identitätsstiftend auf den von Zürich ausgehenden Protestantismus, der so ein eigenes Geschichtsbewusstsein entwickelte.
Bächtold stellt der Edition eine konzise Einleitung (IX–XXVI) voran, in der er in das Wirken B.s als Historiker, die Tigurinerchronik selbst, die handschriftliche Grundlage der Edition sowie die Editionsgrundsätze einführt. Die beiden Teilbände 1.1 (Teile 1–8) und 1.2 (Teile 9–14) der Edition enthalten je einen Band der Chronik. Die Edition verfügt über zwei Apparate, einen zur Textkritik und einen für den knappen Sachkommentar. Letzterer bietet vor allem Nachweise von Zitaten. Der Editor strebte Vorlagentreue an, wobei Satzanfänge und Eigennamen groß geschrieben werden. Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst, Abkürzungen hingegen in eckigen Klammern ergänzt. Auf diese Weise entstand eine sehr gut benutzbare, übersichtliche und gründliche Edition dieses wichtigen Textes.
Der als Zusatzband bezeichnete dritte Band (1.3) enthält zunächst ein »Titelverzeichnis« (1–19), das einen raschen Überblick über den Inhalt und die Gliederung der Tigurinerchronik ermöglicht. Eine gute Idee war es, ein »Sprachglossar« (20–64) für weniger geläufige Ausdrücke oder Worte anzufertigen. Dieses Glossar kann auch als eigenständiges Hilfsmittel für andere B.-Texte verwendet werden. Zudem wurde auf diese Weise der Apparat der Edition um Worterklärungen entlastet, die die Bände weiter aufgebläht hätten. Weiterhin finden sich im dritten Band Verzeichnisse der »gedruckten Quellen« (65–106), der »handschriftlichen Quellen« (107–116) sowie ein Literaturverzeichnis (117–128). Umfangreich ist das gründliche »Personen- und Ortsregister« (129–416). Acht ganzseitige schwarz-weiße Abbildungen (418–425) illustrieren die Arbeitsweise B.s.
Es wäre zu wünschen, dass die in jeder Hinsicht vorbildliche Edition anregend auf die Reformations- und Bullingerforschung wirkt. Sie vervollständigt neben den Briefen (Abteilung 2) und Schriften (Abteilung 3) das Bild des unermüdlichen Reformators und präsentiert seine humanistisch gebildete Seite. Dass der Editor trotz seiner Pensionierung den Band fertiggestellt hat, verdeutlicht vielleicht auch ein wenig die Freude, die aus der Beschäftigung mit dieser Quelle entsteht.