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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

62–63

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eckstein, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Christus in euch. Von der Freiheit der Kinder Gottes. Eine Auslegung des Galaterbriefs.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2017. 189 S. Kart. EUR 20,00. ISBN 978-3-7887-3109-0.

Rezensent:

Walter Klaiber

Am Anfang der Lehrtätigkeit von Hans-Joachim Eckstein stand mit seiner Habilitationsschrift »Verheißung und Gesetz. Eine exege-tische Untersuchung zu Gal 2,15–4,7« (1996) eine wissenschaftliche Analyse des Kernstücks des Galaterbriefs. Zu seiner Emeritierung hat er nun eine allgemeinverständliche Auslegung des ganzen Briefs veröffentlicht. Ihr Titel »Christus in euch« lässt aufhorchen. Legt E. eine alternative Auslegung vor, etwa in den Spuren von Albert Schweitzers »Christusmystik«? Aber davon ist er weit entfernt. Er versteht den Brief als Zeugnis der »klassischen« paulinischen Rechtfertigungslehre, wie sie die Reformatoren neu entdeckt haben: »Wenn Paulus von dem Vollzug der Rechtfertigung und Gerechtmachung durch Gott spricht, meint er durchgängig die ›Rechtfertigung des Gottlosen um Christi willen allein aus Gnade durch den Glauben‹ – also die iustificatio impii propter Christum sola gratia per fide« (74).
Die Auslegung selbst ist konsequent theologisch. Historische Fragen bleiben im Hintergrund. Gegen die Tendenz der neueren Forschung – aber meiner Meinung nach zu Recht – verortet er die Adressaten in der Landschaft Galatien und datiert die Abfassung kurz vor der des Römerbriefs (5 f.). In den »Gegnern« sieht E. »Juda-isten«, die »die Beschneidung und die Toraobservanz als den für das Heil notwendigen Weg verkünden«, und zwar zusätzlich zum Glauben an Jesus Christus (8). Charakteristisch für die Auslegung ist weiter die intensive Einbeziehung von Aussagen anderer Paulusbriefe. So entsteht eine Theologie des Paulus in nuce, wobei freilich das besondere Profil des Gal etwas zurücktritt. Die Auslegung der einzelnen Abschnitte beginnt aber oft mit einer genauen sprachlichen Analyse des Textes, durch die die Argumentation nachvollziehbar gemacht wird.
Ein weiteres Charakteristikum des Kommentars sind sieben Exkurse zu wichtigen Themen. Hier werden zentrale Begriffe erläutert und in den Zusammenhang der paulinischen Theologie gestellt, und hier werden auch Alternativen zur Auslegung in der heutigen exegetischen Forschung genannt und besprochen. Der Exkurs Rechtfertigung und Gerechtigkeit (69–74) skizziert das biblische Verständnis von Gerechtigkeit (Gottes) und die Eigenart der paulinischen Rechtfertigungsbotschaft. Der Exkurs Glaube und glauben (105–113) stellt gegen das Verständnis von Glauben als Entscheidung konsequent eine Interpretation des Glaubens als Geschenk, was aber auf Seiten der Beschenkten nicht reine Passivität bedeutet. Das »Kommen« des Glaubens in 3,23 ist als »die von Gott geschenkte, in Kreuz und Auferstehung offenbarte Wirklichkeit des Heilsempfangs aus Gnaden« zu verstehen (123). Der Exkurs Gesetz (139–145) stellt das paulinische Gesetzesverständnis sehr differenziert dar; es ist keineswegs immer die Tora gemeint, es gibt auch ein übertragenes Verständnis von Nomos. Hier erfolgt auch eine knappe Auseinandersetzung mit den Thesen der New Perspective: Mit Werke des Gesetzes sind nicht jüdische Identitätsmerkmale gemeint, Paulus beschreibt damit die Forderung konsequenter Toraobservanz. Andererseits gilt: Nicht das Tun des Gesetzes ist Sünde; die Menschen stehen unter dem Fluch, weil niemand das ganze Gesetz erfüllt. Das Gesetz ist deshalb von vornherein nicht zum Leben gegeben, sondern »zur Dokumentation, zur Entlarvung und Verurteilung der Sünde« (142).
Natürlich darf im Galaterbrief ein Exkurs zum paulinischen Verständnis von Freiheit nicht fehlen (149–155): Freiheit ist u. a. »Befähigung zur Gemeinschaft und zum Dienen in wechselseitiger Wahrnehmung und persönlicher Anerkennung« (154). Und in einem letzten Exkurs: Liebe und Gnade Gottes (158–163) entfaltet E. sehr schön die paulinische Versöhnungsbotschaft.
Schade ist, dass die Auslegung ab 4,8 teilweise sehr skizzenhaft gehalten ist. Gerne hätte man den Motto-Vers 4,19 dem Titel des Buchs entsprechend entfaltet gesehen oder die schwierige Aussage in 5,17 etwas ausführlicher erklärt bekommen. Vermisst habe ich auch eine Erklärung dafür, mit welcher Begründung Paulus in 3,13 f.23 f. auch die Heidenchristen durch das Uns/Wir, das nach E. auch sie einschließt, unter dem Fluch bzw. der Aufsicht des Gesetzes stehen sieht. Zu 6,16 stellt E. aber sehr entschieden fest, dass mit Israel Gottes »eindeutig die universale Heilsgemeinde aus Juden und Heiden gemeint« ist (171).
Zwei Dinge zeichnen diese Auslegung m. E. aus: E. gelingt es, auf allgemeinverständliche Weise und zugleich theologisch konzentriert in die Botschaft des Galaterbriefs einzuführen. Und er zeigt überzeugend auf, dass sich das reformatorische Verständnis der Rechtfertigungslehre zu Recht auf die Ausführungen des Paulus in diesem Brief berufen kann. Ich selbst würde allerdings die Position der »Gegner« sehr viel differenzierter sehen und den Galaterbrief gegenüber der Weiterführung im Römerbrief schärfer profilieren. Aber das mindert nicht die Dankbarkeit für die grundsätzliche Übereinstimmung im Verständnis des paulinischen Evangeliums .