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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

61–62

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Corsten, Thomas, Öhler, Markus, u. Joseph Verheyden [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Epigraphik und Neues Testament.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. VIII, 213 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 365. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-153508-6.

Rezensent:

Alexander Weiß

Der Band geht zurück auf eine Wiener Konferenz im Jahre 2014, die gleichsam einige Schneisen schlagen wollte für einen von den drei Herausgebern projektierten Epigraphischen Kommentar zum Neuen Testament (EKNT). Das Unternehmen ist sehr zu begrüßen und wird mittlerweile erfreulicherweise vom österreichischen FWF gefördert.
Für Wortuntersuchungen spielten Inschriften immer schon eine Rolle. Erinnert sei nur an den bereits seinerzeit leider nur unvollständigen Moulton and Milligan, das ThWNT oder die NewDocs als Vorarbeit zu einem New Moulton and Milligan. Auch in Arbeiten zur Apostelgeschichte und zum Vereinswesen findet die Epigraphik in den letzten 20 Jahren vermehrt Berücksichtigung. Doch insgesamt stellen die Inschriften immer noch eine von Neutestamentlern weitgehend vernachlässigte Quellengattung dar. Zu Unrecht, wie mehrere Beiträge des zu besprechenden Bandes eindrucksvoll unter Beweis stellen.
Der Bewässerungsgraben zwischen den beiden Feldern Epigraphik und Neues Testament fließt freilich vornehmlich in eine Richtung, wie Walter Ameling im ersten Beitrag zeigt. In nur wenigen Fällen ist das Neue Testament für den genuinen Epigraphiker von Interesse. Man hätte noch einige Beispiele hinzufügen können: Für die Inschriften der Sergii Paulli ist Apg 13 eine Schlüsselpassage; Apg 19,35 bietet den einzigen literarischen Beleg des epigraphisch so reich bezeugten grammateús als städtischer Magistrat von Ephesos. Aber insgesamt stimmt Amelings Befund natürlich. Peter Arzt-Grabner gibt den Herausgebern einen Erfahrungsbericht aus dem Komplementärprojekt der Papyrologischen Kommentare zum Neuen Testament mit auf den Weg. Es gilt 1Thess 5,21. Hans Taeubers Ausführungen zu den Graffiti im »Hanghaus 2« in Ephesos sind zwar eo ipso hochinteressant, scheinen mir aber gleichzeitig vor allem zu veranschaulichen, wie wenig Saft man aus dieser Quellengruppe für einen EKNT pressen kann. Eva Ebel möchte anhand einiger Inschriften aus Philippi, welche den vergöttlichten Augustus in verschiedenen Zusammenhängen nennen, die Allgegenwart des Augustus und des Kaiserkults im Stadtbild zeigen und darauf aufbauend Möglichkeiten einer kaiserkritischen Lektüre des Neuen Testaments ausloten. Hier bleibt etwas zu viel im Ungefähren, und die althistorische Forschung zum Kaiserkult würde sich heute nicht mehr so stark auf die Arbeiten von Manfred Clauss beziehen.
Eine Reihe von Beiträgen zeigt aber doch, welch großen Nutzen die Inschriften für die neutestamentliche Wissenschaft haben können. Thomas Corstens konzise Einführung in die griechisch-römische Namenkunde und die Namengebung der frühen Christen eröffnet diese Reihe. Hingewiesen sei allerdings darauf, dass der Name des Aberkios von Hieropolis wohl Avircius lautete, wie schon W. M. Ramsay, der Entdecker der »Aberkios-Inschrift«, meinte. Richard S. Ascough gibt den richtigen Hinweis, dass die Inschriften, auch wenn sie manchmal nur von geringem exegetischen Wert sind, dennoch neue Fragestellungen eröffnen können. Am Beispiel der tópos-Inschriften, welche einen bestimmten Ort markierten und beispielsweise Sitzplätze im Theater reservierten, überlegt er, wie sich die frühchristlichen Gruppen in der urbanen Landschaft verorteten. Ob die Christen allerdings in dieser frühen Zeit überhaupt auf den Gedanken gekommen wären, bestimmte Orte im öffentlichen Raum für sich zu beanspruchen, erscheint mir doch zweifelhaft. Zu Versammlungen traf man sich in Privathäusern, und Sitzplatzreservierungen im Theater nahm man wenn, dann wohl als Angehöriger anderer Vereinigungen wahr. Die Idee, einen Platz mit der Inschrift »Christen« zu markieren, wäre diesen im 1. Jh. wahrscheinlich eher abwegig erschienen. Einen ausgezeichneten Überblick zu den Jenseitsvorstellungen in kaiserzeitlichen Grabinschriften bietet Imre Peres. Trotz der großen Vielfalt der eschatologischen Aussagen tritt in ihnen eine gewisse Ohnmacht der Verstorbenen oder Hinterbliebenen im Angesicht des Todes hervor. Dieser stellt Peres den Trost der neutestamentlichen Auferstehungsbotschaft gegenüber. John S. Kloppenborg nutzt erneut die griechisch-römischen Vereine als »Linse«, durch welche man die frühchristlichen Gemeinden betrachten könne. Seine wohl be­gründete These lautet, Vereine, auch die kleiner Leute, hätten Ge­meinschaftsmähler durch finanzielle Beiträge der Mitglieder be­stritten, so dass man sich dies ebenfalls für die Gemeinschaftsmähler der frühen Christen vorstellen könne. Markus Öhler bietet abschließend einen instruktiven Vergleich zwischen den ›Beichtinschriften‹ und 1Joh hinsichtlich der Lexeme Sühne, Sünde und Bekenntnis. Unter seinen vielen aufschlussreichen Beobachtungen sei nur die herausgegriffen, dass es in beiden Fällen um die Wiederherstellung der Gottesbeziehung gehe.
Der Band zeigt somit: Hat man klar umrissene Fragestellungen und verfügt über ebenso klare Einsicht in die Möglichkeiten und Grenzen des Materials, ist der Gewinn, den die neutestamentliche Wissenschaft durch die Berücksichtigung epigraphischer Quellen erzielen kann, evident. Dem EKNT wünscht man gutes Gelingen!