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Ausgabe:

Januar/2019

Spalte:

35–36

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Assmann, Jan

Titel/Untertitel:

Exodus.Die Revolution der Alten Welt. 3., durchges. Aufl.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2015. 493 S. m. 40 Abb. Lw. EUR 29,95. ISBN 978-3-406-67430-3.

Rezensent:

Bernd Janowski

Das hier vorzustellende Buch von J. Assmann ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Bemerkenswert ist schon der Untertitel »Die Revolution der Alten Welt«, der den »Exodus« bündig als weltgeschichtliches, die Welt der Antike auf den Kopf stellendes Ereignis deutet. Hinzukommt, auch das ist bemerkenswert, dass diese Deutung nicht von einem Alttestamentler vertreten wird, sondern von einem Ägyptologen und Kulturwissenschaftler, der sich mit seinen Thesen zur »Mosaischen Unterscheidung« unter den Theologen nicht nur Freunde gemacht hat. Man nehme noch einmal die kritischen Reaktionen zur Hand, die im Anhang von J. Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003, 193 ff. abgedruckt sind oder lese die Beiträge in J.-H. Tück (Hrsg.), Monotheismus unter Gewaltverdacht. Zum Gespräch mit Jan Assmann, Freiburg u.a. 2015, auf die A. eingehend reagiert (a. a. O., 246 ff.). Die »Mosaische Unterscheidung«, die im Namen des wahren Gottes alle anderen Götter als falsch ablehne, begründe, so A. in seinen früheren Schriften, das Gewaltpotential des biblischen Monotheismus. Im vorliegenden »Exodus«-Buch liest sich manches anders und differenzierter. Aber sehen wir etwas genauer hin.
Die Hauptthese des Buchs lässt sich folgendermaßen referieren: Die exilisch-nachexilische Exoduserzählung (zur Textgeschichte s. 79 ff.) reflektiere einen für die Welt der Antike revolutionären Ausstieg (»Exodus«) aus dem Symbolsystem der altorientalischen Sakralkönigtümer mit dem Ziel der Propagierung einer neuen Form von politischer und religiöser Vergesellschaftung. »Wer auszieht, überschreitet eine Grenze, mehr noch: er zieht und definiert sie recht eigentlich erst als die Grenze zwischen dem Alten, das man hinter sich lassen, und dem Neuen, das man erreichen und erobern muss. Das Neue ist das, worum es in den fünf Akten jener gewaltigen Offenbarung geht, von der das Buch Exodus erzählt, Ägypten aber steht für das Alte, das hinter sich gelassen und geradezu zum Inbegriff des für immer Verworfenen und Verabscheuten erklärt wird« (395).
Bezeichnend für die Wende von der ägyptischen Symbolwelt zur Glaubenswelt Israels sind A. zufolge drei Dimensionen: die politische Dimension (revolutionärer Ausstieg aus dem politischen System der altorientalischen Sakralkönigtümer), die religiöse Dimension (Ausstieg aus dem kosmotheistischen System der altorientalischen und mediterranen Kulte) und die zeitliche Dimension (Ausstieg aus der mythischen Zeitordnung). Die so verstandene Wende lässt sich auch als Übergang von der mythisch geprägten Göttergeschichte ( historia divina) zur offenbarungsgeschichtlich geprägten Heilsgeschichte (historia sacra) verstehen, d. h. zu einer »Geschichte, die der Gott Israels mit einem erwählten Volk hat. Da geht es erstens um das Gründungsnarrativ des Volkes Israel, zweitens um die Stiftung des Monotheismus (der Treue) und drittens um eine radikale Umorientierung des Menschen in der Welt, vom Mythos zur Geschichte im Zeichen von Verheißung (und Verwerfung), Treue (und Abfall)« (396 f.). Das Exodusbuch ist die Gründungsurkunde dieser Wende.
Das Buch enthält drei unterschiedlich lange Teile, wobei der erste, aus drei Kapiteln bestehende Teil die allgemeinen Grundlagen, d. h. das Thema und den Aufbau von Ex 1–40 (29–52), den historischen Hintergrund des Exodusereignisses (53–78) und die Textgeschichte von Ex (79–119) behandelt. Bewundernswert ist dabei, wie intensiv sich der Autor bei aller Beschränkung auf das Wesentliche mit den literarischen und historischen Sachfragen auseinandersetzt und es ihm dennoch gelingt, die Exodus-Erzählung als einen gewaltigen »Akt der Erinnerung« (118 u. ö.) zu profilieren, für den die Figur der Bundestreue konstitutiv ist. Dieser »Monotheismus der Treue« (106 ff.) ist der Leitgedanke von Assmanns Buch und zugleich das Gegengewicht zur ehemaligen »mosaischen Unterscheidung«. An die Stelle von »wahr und falsch«, an der der Autor weiterhin festhält (vgl. 106 u. ö.), tritt jetzt die für das Exodusbuch relevante Unterscheidung zwischen Treue und Verrat. Das ist nun doch eine Weiterführung und vor allem Transformation der »mosaischen Unterscheidung«, die geeignet ist, die »Sinngeschichte« (13) des Exodus als ein zentrales kulturelles Symbol plausibel zu machen.
Der zweite und dritte Teil führen dann am biblischen Erzählfaden entlanggehend und damit am Endtext orientiert aus, was im ersten Teil skizziert wurde. Während der zweite, wiederum drei Kapitel enthaltende und mit der Überschrift Der Auszug versehene Teil (123–220) den Erzählfaden von Ex 1–15 aufdröselt und in diesen zwei rezeptionsgeschichtliche Exkurse einflicht – »Die Dornbusch-Szene in Schönbergs Oper Moses und Aron« (163–167) und »Moses Danksagung und Händels Oratorium Israel in Egypt« (214–220, s. dazu auch die Abb. 13 und 14) –, wendet sich der dritte und ausführlichste Teil Der Bund (223–387) dem Erzählzusammenhang von Ex 18–40 zu, den der Vf. in die Kapitel Die Berufung des Volkes (223–247), Vertrag und Gesetz (249–304), Widerstand – Mose und das gewaltsame Geschick der Propheten (305–342) und Kultstiftung – die Institution von Gottesnähe (343–387) gliedert. Drei weitere Exkurse– »Die ›Exkarnation‹ und Theologisierung des Rechts« (286–290), »Der Dekalog und die ägyptischen Normen des Totengerichts« (291–304), »Das goldene Kalb in Schönbergs Oper Moses und Aron« (376-382) – unterbrechen und bereichern ebenso wie die zahlreichen Abbildungen (Abb. 28-40) diese Darstellung.
Besonders das letzte, zehnte Kapitel zur Kultstiftung am Sinai (343 ff.) führt den Vf. zu der Frage, ob das letzte Drittel des Exodusbuchs (ab Ex 24,15b ff.) nicht eigentlich ein »Buch vom Tempel« sei (in Anlehnung an eine Formulierung des Ägyptologen J. Quack). Und zwar von einem Tempel, der nach der Zerstörung des Ersten Tempels 587 v. Chr. neu gebaut und mit neuen Opfer- und Kultordnungen ausgestattet wurde. Die Frage, ob dieses Heiligtum nur ein Heiligtum »im Kopf der Leser« (so F. Bark, Ein Heiligtum im Kopf der Leser. Literaturanalytische Betrachtungen zu Ex 25–40 [SBS 218], Stuttgart 2009) sei oder ein fundamentum in re habe, beschäftigt nicht nur A. (vgl. 384 ff.), sondern seit geraumer Zeit auch die alttestamentliche Forschung (s. dazu B. Janowski, Der »Sinai auf der Wanderung«. Zur Symbolik des priesterlichen Heiligtums, in: M. Ederer/B. Schmitz [Hrsg.], Exodus. Interpretation durch Rezeption, Stuttgart 2017, 11–37). Der Schluss (389–402) fasst die Hauptergebnisse des Buchs, die über die ausführlichen Register (471–493) gut zu erschließen sind, noch einmal bündig zusammen.
Es ist ein ungewöhnliches Buch, das der große Ägyptologe und Kulturwissenschaftler A. hier vorgelegt hat. Sein Fokus ist nicht die historisch-kritische und religionsgeschichtliche Rekonstruktion des biblischen Exodusbuchs, sondern die sinngeschichtliche Profilierung des Exodus-Mythos. Es ist deshalb alles andere als sachdienlich, wenn ein Rezensent in der ThRev 11 (2015), 457–459 meinte, A. etwas ankreiden zu sollen, was dieser gar nicht beabsichtigt hatte, und stattdessen seine eigene Sicht der Dinge ausbreitet. Aber gegen solche Kritiker muss man A. eigentlich nicht in Schutz nehmen.