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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1295–1296

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Melloni, Albert [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Martin Luther. Ein Christ zwischen Reformen und Moderne (1517–2017). 3 Teilbde.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2017. XXXIII, 1757 S. m. 198 Abb. = De Gruyter Reference. Geb. EUR 399,00. ISBN 978-3-11-050100-1.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Nun hat auch die Luther-Vergewisserung ein enzyklopädisches Ausmaß erreicht. Das anzuzeigende dreibändige Handbuch übertrifft in seinem äußeren Zuschnitt alle vergleichbaren Sammelwerke. Es wurde durch die in Bologna ansässige »Fondazione per le scienze religiose Giovanni XXIII« initiiert und entstand in Zusammenarbeit mit dem europäischen Netzwerk »Refo500«. Die auf neun Kapitel verteilten 72 Einzelbeiträge wurden von 69 Autorinnen und Autoren aus mehreren Ländern verfasst. Darunter rangieren etliche international ausgewiesene Spezialisten der Lutherforschung, während man andere gewichtige Repräsentanten dieses Forschungszweiges vermisst, andererseits aber auch auf solche Autorennamen stößt, die bislang in der Lutherforschung nicht einschlägig hervorgetreten sind. Ein Vorwort, das die Absicht der Sammlung sowie die Auswahl der Autoren und Themen erläutern würde, findet sich nicht.
Stattdessen bietet der Herausgeber unter der Überschrift »Luther als Christ« eine essayistische »Einführung«. Das erste Kapitel fügt dann sieben weitere »Einführungen« noch hinzu, in denen jeweils übergreifende historische und historiographische Fragen erörtert werden. Das zweite Kapitel widmet sich »Luthers Leben«. Hier spannt sich der Bogen von einigen auf Luther wirkenden Traditionsbeständen über einzelne Aspekte seiner Theologie, seiner personalen Relationen und seiner kontextuellen Partizipationen bis hin zu »Luthers Tod« (Herman Selderhuis). Andere personale Beziehungen und sachliche Komplementärkonstellationen ergründet das »Reformen und Reformatoren« überschriebene dritte Kapitel. Als »Gesellschaftliche Debatten« (Kap. 4) werden sodann weitere »Luther und …«-Themen wie sein Verhältnis zu Frauen (Kirsi Stjerna), Juden (Brooks Schramm) oder Türken (Gregory J. Miller) erörtert. »Luthers theologisches Erbe« (Kapitel 5) sieht sich in der Wirkungsgeschichte seiner Kreuzestheologie (Pierre Bühler), der Geschichte der lutherischen Rechtfertigungslehre (Antonio Gerace) und fünf weiteren Zugriffen kenntnisreich, wenn auch durchaus eklektisch verhandelt. Unter dem Stichwort »Ökumene« (Kapitel 6) rücken »Katholische Verdammung und Erlösung Luthers« (Patrizio Foresta), der gegenwärtige orthodox-lutherische Dialog (Johannes Oeldemann) oder die ökumenische Bewegung (Enrico Galavotti), aber auch »Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« von 1999 (Billy Kristanto) in den Blick. Fundierte Fallstudien zur »Rezeption in Philosophie und Geschichte« präsentiert das siebte Kapitel, während die Überschrift »Luther im Bild« (Kapitel 8) nicht nur Artikel zu Bildender Kunst (Maria Lucia Weigel), Architektur (Marcin Wislocki), Film und Fernsehen (Esther P. Wipfler), sondern auch Beiträge zum reformationszeitlichen Bildungs- und Unterrichtswesen (Otfried Czaika) sowie zu den Memorialfeiern des 17. bis 19. Jh.s (Thomas Albert Howard) zusammenführt. Schließlich wird der Reformator durch Beobachtungen »zur nachwestfälischen Welt« (Johannes Burkhardt), zu Ungarn, Italien und der hispanischen Welt, ferner zu Amerika, Lateinamerika, Afrika und Indien in das Markenlabel »Luther weltweit« globalisiert (Kapitel 9).
Insgesamt bieten die Beiträge – teils mehr, teils weniger – solide Informationen zu den behandelten Themen. Dass dabei kaum neue, weiterführende Forschungsergebnisse präsentiert, sondern zumeist die vorhandenen Wissensbestände zusammengefasst werden, ist der Natur eines Handbuchs geschuldet. Das Bestreben, den Leserinnen und Lesern aktuelle, positionell ausgewogene Informationen über den jeweiligen Stand der Forschung zu liefern, ist allenthalben erkennbar, wenn auch nicht immer zureichend um­gesetzt. Wenn es nicht unbillig, ja sogar ungerecht wäre, über fehlende Themenfelder zu klagen, so hätte man beispielsweise für Luthers Worttheologie, Christologie und Ekklesiologie oder für die Geschichte der internationalen transkonfessionellen Lutherforschung eine Vermisstenanzeige aufgeben können.
Ein qualitativ sehr hochwertiger, 198 Stücke umfassender Ab­bildungsteil, der Karten, Porträts, Dokumente und andere Objekte visualisiert, führt das, was zuvor beschrieben wurde, eindrücklich vor Augen (1511–1737). Die Ausgabe schließt mit bibliographischen Nachweisen zu den einzelnen Beiträgen (1395–1501), einer von Patrizio Foresta erstellten »Chronologie der Schriften Martin Luthers« (1503–1510) sowie einem ausführlichen Personenregister (1739–1757). Auf die Zugabe eines Sachregisters sowie auf ein erläuterndes Verzeichnis der Autorinnen und Autoren wurde verzichtet.
Angesichts des stattlichen Umfangs und der vorzüglichen Aufmachung erscheint der Kaufpreis des Werkes verständlich. Er dürfte freilich dafür sorgen, dass diese Ausgabe kaum in die Regale von Privatpersonen, sondern fast ausschließlich in die Bestände öffentlicher Bibliotheken eingestellt werden wird. Möge sie dort die raumfüllende Abteilung der Lutheriana nutzbringend und hilfreich vermehren.