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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1142–1144

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Boone, Mark J.

Titel/Untertitel:

The Conversion and Therapy of Desire. Augustine’s Theology of Desire in the Cassiciacum Dialogues.

Verlag:

Cambridge: James Clarke (Lutterworth) 2017. 193 S. Kart. £ 18,50. ISBN 978-0-227-17666-5.

Rezensent:

Josef Lössl

Das Buch von Mark J. Boone beschäftigt sich in einführender Weise, aber unter Konzentration auf die Begriffe »Bekehrung« (conversion) und »Begehren« (desire), mit den vier im Herbst 386 in Cassiciacum verfassten Frühdialogen Augustins, Contra Academicos oder De Academicis, De beata vita, De ordine und Soliloquia. Dabei setzt es sich mit zwei Extrempositionen der Erforschung dieser Werke auseinander, zum einen mit der Ansicht, dass Augustinus in der Anfangsphase seines Schaffens noch einen sehr stark vom Neuplatonismus beeinflussten Seelenbegriff vertrat, der erst später durch biblischen Einfluss ganzheitlicher wurde, und zum andern mit der Ansicht, dass Augustinus schon zu diesem sehr frühen Zeitpunkt einen dem Neuplatonismus widersprechenden, Körperlichkeit und Leiblichkeit betonenden und somit ganzheitlicheren Begriff vom Menschen entwickelte.
Für beide Positionen listet B. eine ganze Reihe von Forschungsbeiträgen auf, konzentriert sich aber in seiner Diskussion im Wesentlichen – neben einer längeren Diskussion der bahnbrechenden Arbeit von Robert J. O’Connell, Augustine’s Early Theory of Man (1968) – auf zwei jüngere Studien, Phillip Carys Augustine’s Inven-tion of the Inner Self (2000) und Catherine Conybeares The Irrational Augustine (2006) (s. dazu die Seiten 5–11 und 85–87). B. selbst möchte eine Mittelposition entwickeln, indem sowohl das platonische Erbe als auch der biblisch-christliche Einfluss auf Augustins Denken adäquat herausgearbeitet wird. Sein Vorschlag ist, die Frühdialoge unter dem Gesichtspunkt einer Transformation platonischen Erbes zu lesen, die unter dem Einfluss eines personalen Gottes-begriffes erfolgt, wie er das Denken und Handeln Augustins, sein (geistiges) Begehren, seit seiner Bekehrung bestimmt (12–13). B. beansprucht keine besondere Originalität für diesen seinen Ansatz, möchte aber durch seine einführenden Reflexionen zur Lektüre der Originale ermuntern.
Dass, wie der Titel vermuten lässt, der Begriff des Begehrens ein zentraler nicht nur in der vorliegenden Studie, sondern auch in den Dialogen selbst ist, weist B. anhand der Frequenz entsprechenden Vokabulars bei Augustin nach (14–15) und führt aus, dass die Ordnung und Heilung bzw. die therapeutische Behandlung des Begehrens (»Therapy of Desire«) ein Grundanliegen der praktischen Philosophie in der Antike war (17–21). In den entsprechenden Ausführungen verweist B. vor allem auf Martha Nussbaums Klassiker The Therapy of Desire (1994), neben Pierre Hadots What is Ancient Philoso-phy? (2004), in dem die Vorstellung von Philosophie als Lebensstil entwickelt wird. Unter den wichtigsten philosophischen Schulrichtungen der Antike, so B. (angesprochen werden insbesondere der Epikureismus und der Stoizismus), bot vor allem der Platonismus die Möglichkeit, das in der materiellen Welt sich verlierende Begehren auf Transzendenz, Ewigkeit und Wahrheit hin auszurichten und es dadurch – sozusagen – zu bekehren (23-25). Die Frühdialoge sind Augustins erster systematischer Versuch, diese (zunächst an sich nur theoretische) Einsicht mit der (praktischen) Überzeugungskraft biblisch-christlicher Rhetorik zusammenzubringen.
Dabei setzt er sich in den jeweiligen Dialogen mit ganz be­stimmten Problemstellungen auseinander, die sich aus dieser Kombination ergeben. In De Academicis etwa wird der Skeptizismus zurückgewiesen, der sich aus der Selbstgenügsamkeit des Denkens ergibt, insofern es als solches keine Autorität anzuerkennen bereit ist. Augustinus schlägt vor, Christus als die Instanz anzuerkennen, in der Autorität und Weisheit vereint sind. In De beata vita setzt er sich mit dem scheinbaren Widerspruch auseinander, dass körperliche Wesen wie der Mensch ihr Glück nur in der Erfüllung geistiger Desiderata finden können. Das Begehren des personalen Gottes und die Erfahrung menschlicher Gemeinschaft in der Kirche unter den Vorzeichen von Glaube, Hoffnung und Liebe bestätigen die platonischen Voraussetzungen. In De ordine beschäftigt sich Augustinus mit dem Problem des Bösen, dem die das Universum umfassende und ordnende Vorsehung Gottes entgegensteht und somit auch dem Menschen die Möglichkeit gibt, durch Erziehung und Bildung, vor allem auch moralischer Art, die Seele neu zu ordnen und auf seine eigentliche Bestimmung hin auszurichten. Die Soliloquia schließlich sind ein Dialog Augustins mit seinem eigenen Geist oder Verstand (ratio), der sich der Frage nach der höchsten Form dieser Bestimmung, der Begegnung der Seele mit Gott, widmet, wobei die Notwendigkeit, sich der Autorität Christi unterzuordnen und die theologischen Tugenden im Hinblick auf die Heilung des Begehrens zu praktizieren, auch in dieser Schrift immer wieder betont wird. Ein »Abheben« etwa auf die Ebene einer Art »reineren« Platonismus’, der die Motive biblisch-christlichen Glaubens hinter sich ließe und sich ganz den intellektuellen Formen hingäbe, kommt bei Augustinus auch in den geistigsten Meditationen, wie sie in den Soliloquia vorliegen, nicht in Frage.
B. entwickelt diese vier, den vier Dialogen entsprechenden Themenbereiche in den vier Hauptkapiteln seines Buches (Kapitel 1 führt biographisch in die Thematik ein mit dem Titel »Augustine at Cassiciacum«, 1–29): 2 Desiring Wisdom (30–67), 3 Desiring and Having God (68–91), 4 The Desire to Know Order and to Be Ordered (92–128) und 5 Desiring and the Soul (129–156). Das letzte Kapitel, 6 The Love of God and Human Beings (157–181), fasst die Themen noch einmal zusammen und bietet einige, zum Teil sehr interessante und anregende Schlussbetrachtungen, insbesondere zu den Themen »Gemeinschaft« (community) sowie »gemeinschaftliches menschliches Selbst« (communal human self), sowohl aus paganer wie auch aus christlicher Sicht. Letzteres spiegele sich, so B. (173–181), nicht zuletzt auch im konkreten Kontext der Cassiciacum-Erfahrung wider, wie er allen Dialogen zugrunde liege und wie er auch die literarische Struktur der Dialoge bestimme. Allein schon daran lasse sich ersehen, dass Augus-tins Seelenbegriff etwa von dem monadisch-psychischen Seelenbegriff Descartes’ grundlegend verschieden sei (177).
Zur abschließenden Bewertung und Empfehlung soll noch einmal das eigene Urteil B.s herangezogen werden:
»In short, the perspective on Augustine which I am developing in this book is nothing original […] I stand on the shoulders of other Augustine scholars, including Etienne Gilson, Ernest L. Fortin, Eugene Kevane, Augustine J. Curley, Michael Foley, Goulven Madec, and Carol Harrison. But it must be admitted that so much ink has been spilt in the disagreements over how to read Augustine rightly that rarely have we done the actual reading […].« (13)
In diesem Sinne sei der Band wärmstens als einleitende wie auch als weiterführende Studie zu den Cassiciacum-Dialogen empfohlen. Möge er aber darüber hinaus, dem Wunsch B.s gemäß, auch zur Lektüre der Dialoge selbst anregen und damit die große Forschungstradition, auf die B. anspricht, nicht abreißen lassen.