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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1117–1120

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Ederer, Matthias, u. Barbara Schmitz

Titel/Untertitel:

Exodus. Interpretation durch Rezeption.

Verlag:

Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk 2017. 302 S. = Stuttgarter Biblische Beiträge, 74. Kart. EUR 50,00. ISBN 978-3-460-00741-3.

Rezensent:

Wolfgang Oswald

Der Band enthält die Beiträge eines interdisziplinären Symposiums zur Rezeption des Exodusmotivs bzw. des Exodusbuches, das im Februar 2017 in Regensburg stattgefunden hat. Anlass war der 60. Geburtstag des dort lehrenden Alttestamentlers und Exoduskommentators Christoph Dohmen. Die zwölf Beiträge sind in drei Hauptteile gegliedert: 1) Exodusrezeption in der Hebräischen Bi­bel, 2) Exodusrezeption im antiken Judentum und 3) Exodusrezeption in Kunst, Musik und Systematischer Theologie.
Zu 1) Bernd Janowski, Der »Sinai auf der Wanderung«. Zur Symbolik des priesterlichen Heiligtums: Die priesterlichen Heiligtums-texte Ex 25–31; 35–40 können als eine frühe Rezeption des Exodusgeschehens gelesen werden. Der Aufsatz gibt einen informativen Überblick über die wichtigsten literarischen und theologischen Aspekte der Heiligtumstexte. Das mitwandernde Zeltheiligtum fungiere für das exilierte Gottesvolk als Realsymbol der Gottes-nähe.
Thomas Hieke, Das Pessach des Joschija in 2 Chr 35 (35,13) als Rezeption scheinbar widersprüchlicher Vorschriften in den Bü­chern Exodus (Ex 12,8–9) und Deuteronomium (Dtn 16,7): Die Bedeutung der Verbalwurzel bšl sei, so Hieke im Anschluss an ältere und neuere Ausleger, nicht »kochen«, sondern ganz allgemein »zubereiten«. Daher stünden die Anweisungen zum Passa in Ex und Dtn nicht in Widerspruch zueinander und würden in 2Chr 35 sachgemäß rezipiert. Diese These hängt weitgehend an der Bestimmung der Semantik von bšl, über die das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.
Matthias Ederer, »Ich, ich habe euch heraufgeführt aus Ägypten« (Ri 6,8). Exodusrezeption in Ri 6,7–10: Der ganz straff erzählte Auftritt eines anonymen Propheten in Ri 6, 7–10 nimmt nach Darstellung von Ederer Formulierungen und Motive insbesondere aus Ex 3,17; 6,6–8 und Jos 24,12–15 auf. Der namenlose Prophet erscheine als einer wie Mose, seine Anonymität stilisiere ihn als den typischen Propheten, der durch eine ausgefeilte Exodus-Rezeption Weisung für Israel verkünde.
Heinz-Günther Schöttler, »… uns zum Heil« (Jes 53,5). Die Frage nach ›Mose‹ – eine soteriologische Frage: Ohne Mose gibt es keinen Exodus und ohne Mose gibt es auch keinen zweiten Exodus, als den Deuterojesaja die Exilsrückkehr versteht. In Deuterojesaja erscheine Mose in Gestalt des Gottesknechts. Der Beitrag arbeitet insbesondere die Beziehungen zwischen Ex 32,32; Dtn 34,6b.10–12 und dem vierten Gottesknechtslied heraus. Über das Motiv des Dahingegebenwerdens wird die Moserezeption des DtJes weiter ins Neue Testament verfolgt. Schöttler stellt die Frage, ob nicht der Figur des Mose in seiner deuterojesajanischen Rezeption eine soteriologische Dimension zu eigen ist.
Innocenzo Cardellini, Lv 17–26 (27) + Nm 1:1–10:10 and the Sinaitic Narrative: Der Beitrag behandelt im Überblick zahlreiche Aspekte der Literargeschichte der priesterlichen Sinaiperikope und setzt diese in Beziehung zu den historischen Entwicklungen der achämenidischen Epoche. Ein Schwerpunkt liegt auf der Herausarbeitung der im Laufe der Perserzeit stetig zunehmenden politischen Macht der aaronitischen Priesterschaft.
Zu 2) Martin Mark, Die Transformation des »gehenden Angesichts JHWHs« (Ex 33,14 f.) zum »Engel des Angesichts« in Jes 63,9 und in außerkanonischen Schriften: Der erste Teil des Beitrags bietet eine luzide Darstellung der Diskussion zwischen Gott und Mose um die Leitung des Volkes in das gelobte Land nach dem Bundesbruch des Goldenen Kalbes (Ex 32–33). Die Vorstellung vom mitgehenden Angesicht Jhwhs und die vom mitgehenden Engel würden in Jes 63,9 kombiniert. Diese Vorstellung vom »Engel des Angesichts« werde in etlichen jüdischen Schriften aus hellenistischer Zeit aufgegriffen und ausgebaut.
Barbara Schmitz, Pharao und Philopator. Exodusrezeption im Dritten Makkabäerbuch als Deutung des Lebens in der Diaspora: Der Beitrag gibt zunächst eine detaillierte Auslegung der beiden Stellen, an denen das Exodusnarrativ in 3Makk aufgenommen wird. Es sind jeweils Bittgebete der bedrohten jüdischen Gemeinde. Dies geschehe in reziproker Weise: Einerseits werde die aktuelle Situation vom Exodusgeschehen her gedeutet, andrerseits orientiere sich die Charakterisierung des Pharao ganz stark an der Art, wie Ptolemäus IV. Philopator in 3Makk gezeichnet wird. Der Exodus als solcher trete dagegen in den Hintergrund, denn die Juden des 3Makk wollen nach dem Ende der Bedrohung Ägypten keineswegs verlassen, sondern in ihre dortigen Wohnorte zurückkehren.
Günter Stemberger, Die Unterdrückung Israels in Ägypten (Ex 1). Auslegung und Rezeption im rabbinischen Judentum: Das Eingangskapitel des Exodusbuches stand im frühen rabbinischen Ju­dentum eher am Rand, die Bezugnahmen seien selten und zu­dem divers. Erst mit dem Midrasch Sifre Numeri beginne im 3./4. Jh. eine etwas breitere Auslegungstradition, die sich vor allem auf die beiden Hebammen aus Ex 1,15–22 bezieht. Ihren Namen werden Bedeutungen zugelegt und vor allem werden sie mit Jochebed und Miriam identifiziert. Der früheste rabbinische Text, der Ex 1–2 insgesamt detailliert rezipiert, sei bSota 11a–12b, wo sich sowohl eine versweise Auslegung als auch eine kurze Predigt findet.
Michael Theobald, »Gottes Glanz auf Christi Antlitz« (2Kor 4,6). Ex 34,29–35 in der Rezeption des Paulus 2Kor 3,7–18: Thema von 2Kor 3,7–18 sei nicht die Entgegensetzung von »altem und neuem Bund« oder die von »Gesetz und Evangelium«, sondern ganz speziell der Glanz Gottes, zum einen auf dem Antlitz Moses und zum andern auf dem Antlitz Christi. Paulus setze sich hier mit dem Mosebild seiner Gegner auseinander, wie es im hellenistischen Judentum, etwa bei Philo, greifbar wird. Ziel des Paulus »ist nicht der Entwurf einer eigenen Schrifthermeneutik, sondern die Neubewertung der Doxa des Mose von einem messianisch-endzeitlichen Standpunkt aus« (248).
Zu 3) Verena Lenzen, Arnold Schönbergs Oper Moses und Aron. »Einziger, ewiger, allgegenwärtiger, unsichtbarer und unvorstellbarer Gott!«: Der Beitrag ist breiter angelegt, als der Titel vermuten lässt. Er setzt ein mit Mosedeutungen am Anfang des 20. Jh.s und mit einigen Schlaglichtern auf die Auseinandersetzung Theodor Herzls mit der Figur des Mose. Nach einer kurzen Biographie Arnold Schönbergs folgt ein Überblick über seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Judentum. Die Darlegungen zu »Moses und Aron« kreisen um die Fragmentarität dieses Werkes und um die Zentralstellung des Bilderverbotes. Wichtig ist der Hinweis, dass die Oper nach Schönbergs eigener Aussage nur lose am alttestamentlichen Text orientiert ist.
François Bœspflug, Mose am brennenden Dornbusch in der Kunst seit dem achtzehnten Jahrhundert: Der Beitrag stellt in Form von Kurzbeschreibungen eine Vielzahl von Bildern vor, wo­bei dieses Verfahren darunter leidet, dass die besprochenen Werke im vorliegenden Band verständlicherweise nicht reproduziert werden konnten. Während die ältere Kunst den im Dornbusch gegenwärtigen Gott stets in der einen oder anderen Weise figürlich darstellte (als Christusgesicht, als Gottvater oder als Jungfrau mit dem Kinde), bevorzugt die Kunst seit der Aufklärung die Abstraktion. Etwas mehr Raum erhält Marc Chagall, der das Sujet etwa zwanzig Mal behandelt habe.
Erwin Dirscherl, Die Bedeutung der Zeit als Zeit der Deutung. Leibhaftiges Transzendenzgeschehen und sinnliche Exegese: Den Abschluss bildet eine an Emmanuel Levinas orientierte Reflexion über die Zeit. Diese greift dazu auch auf zwei Exodustexte und ihre Auslegung durch Christoph Dohmen zurück: das »Hineni« in Ex 3,4 und das »Ich werde sein, der ich sein werde« in Ex 3,14.
Ein thematisch wie methodisch vielfältiger und anregender Band liegt vor, der sich mit Hilfe der im Untertitel ausgedrückten Leitlinie auf einem eigenen Weg durch die nahezu uferlose Rezeption des Exodusbuches bewegt.