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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1089–1091

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Koslowski, Jutta, u. Andreas Krebs [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Mission zwischen Proselytismus und Selbstabschaffung.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 184 S. = Beihefte zur Ökumenischen Rundschau, 115. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-374-05247-9.

Rezensent:

Detlef Hiller

Es handelt sich um einen Sammelband mit Aufsätzen aus dem Interkonfessionellen Theologischen Arbeitskreis (ITA). Der ITA besteht aus akademisch arbeitenden Theologen und Theologinnen aus unterschiedlichen Kirchen und Fachdisziplinen, die sich nicht als Gesandte ihrer Kirchen verstehen, aber durchaus ihre je eigene denominationelle Perspektive einbringen. Die zugrundeliegende Frage lautet wie folgt:
»Wie kann ›Mission‹, die ›Sendung‹ der Kirche in die Welt heute (noch) verstanden werden? Sowohl ›Proselytismus‹ als auch ›Selbstabschaffung‹ sind Nicht-Alternativen, Un-Möglichkeiten für ein zeitgemäßes Missionsverständnis. Wenn es nicht gelänge, über das Paradigma des Proselytismus hinaus zu kommen, dann wäre Selbstabschaffung die notwendige Folge. Dass dies nicht so sein muss, dass und wie christliche Mission auch zu Beginn des dritten Jahrtausends eine Zukunft hat – das versuchen die Beiträge […] aufzuzeigen.« (5)
Eine sehr verhaltene, um nicht zu sagen negative Zielbestimmung. So ist zu fragen, was das in Klammern gesetzte »(noch)« austragen soll? Dass Mission zwar heute noch (!) irgendwie definiert werden könne, aber bald nicht mehr? Auch das negative Gegensatzpaar bestehend aus »Proselytismus« und »Selbstabschaffung«, zwar als »Nicht-Alternativen« »für ein zeitgemäßes Missionsverständnis« bezeichnet, setzt einen Rahmen, der positiv Visionäres kaum erwarten lässt. Der Hinweis, dass es zwar »nicht so sein muss«, mag beruhigend wirken, sagt aber tatsächlich aus, dass es denkbar ist, dass es keine Zukunft für Mission mehr gibt. Viel negativer kann man sich dem Gegenstand kaum nähern. Einem Gegenstand der – wie die Verfasser zu Recht bemerken – nichts anderes ist als »die Sendung der Kirche«! Wer das vitale Kirchenleben und das fröh-liche Sendungsbewusstsein der meisten Kirchen im globalen Süden kennt, der macht hier eine ethnozentristische, historisch bedingte Verunsicherung aus, die im deutschen Diskurs immer dann schlagartig auftritt, wenn das vermeintliche Unwort »Mission« erklingt.
Diese Kritik an der Zielbestimmung soll nun keineswegs heißen, dass es unter den insgesamt zehn Aufsätzen des Sammelbandes nicht ausgesprochen hilfreiche Beiträge gibt, die zwar keine umfängliche Antwort auf die Frage, »wie christliche Mission auch zu Beginn des dritten Jahrtausends eine Zukunft hat«, geben können, aber wichtige Hinweise liefern, um einer Antwort näherzukommen.
Der Band ist in vier Teile gegliedert. Der erste Teil behandelt in zwei Aufsätzen des evangelischen Theologen B. Oberdorfer und des Alt-Katholiken A. Krebs das Opus Magnum A Secular Age von Charles Taylor. Beide Aufsätze tragen dazu bei, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie Mission, manche würden es auch als »Evangelisation« bezeichnen, innerhalb der von Säkularität und postmodernen Weltverständnissen geprägten nördlichen Gesellschaften neu zu denken ist.
Es folgt ein weiterer Teil, überschrieben mit der Frage, was Mission eigentlich ist und soll. Er besteht nur aus einem Aufsatz des katholischen Theologen O. Fuchs, der überschrieben ist mit: »Die Selbstabschaffung einer bestimmten Notwendigkeitsvorstellung macht christliche Mission notwendig.« Was hier einigermaßen kryptisch daher kommt, ist nicht mehr als das Abarbeiten des Autors an jeder Form von Heilsexklusivismus, der mit der Verkündigung des Christentums verbunden sein könnte. Mission ist für ihn eine »Sendung […] in der der nichtglaubende Mensch bleiben darf, was er ist« (43) – allerdings nicht im Sinne der Religionsfreiheit, sondern in einem alle Menschen inkludierenden Heil, das Fuchs aus der Größe Gottes herleitet.
Teil drei ist überschrieben mit »Mission als Martyria«. In drei Aufsätzen geht es zunächst in einem Text von I. Moga aus rumänisch-orthodoxer Sicht (übrigens die einzige Perspektive von außen!) um die Gleichzeitigkeit von vormodernen religiösen Strukturen und Postmoderne in Rumänien. In einem weiteren kurzen Text beschreibt die evangelische Theologin J. Koslowski auf nur sechs Seiten das Papier des ÖRK Together towards Life, das 2013 verabschiedet wurde. Hier kommen, durch eine deutsche Perspektive vermittelt, ansatzweise auch Sichtweisen des globalen Südens zu Wort. In einem dritten Aufsatz beschreibt der Baptist R. Dziewas relativ ausführlich (ca. 30 S.) die »Entwicklungen […] des freikirchlichen Missionsverständnisses«.
Der Band endet mit einem vierten Teil, der einem Sammel-Container gleicht. Er ist überschrieben mit »Mission, Postkolonialität, Interkulturalität« und beinhaltet vier Aufsätze.
Der methodistische Theologe M. Nausner betrachtet Mission vor allem aus postkolonialer Perspektive. Er betont, dass Mission oft »von den Rändern her« beginnen will. »Postkoloniales Grenzdenken« könne daher beitragen, dem missionarischen Wirken Gottes nachzuspüren (137). Der katholische Systematiker K. Miggelbrink gibt in seinem Aufsatz einen Überblick über »Mission im katholischen Verständnis« von der Kirche als Heilsanstalt bis zu einem Ansatz, der Mission im Sinne einer »öffentlichen Theologie« definiert, die in erster Linie eine Art »Grundsolidarität mit allen Menschen« verkörpert (149). Der folgende Aufsatz des alt-katholischen Sozialethikers F. Segbers arbeitet sich durch den Begriff der Katholizität. Für ihn ist das Konzept der Menschenrechte wesentlich. Es spreche aus, was ein erweitertes Verständnis von Katholizität heute meine (167). Da Katholizität hier als eine Art Chiffre für Mission verwendet wird, scheint seiner Ansicht nach die zeitgemäße Mission der Kirche die einer religiös-fundierten Menschenrechtsorganisation zu sein. Der evangelische interkulturelle Theologe B. Ortmann befasst sich in dem letzten Aufsatz mit dem Dilemma der Mission zwischen »Universalität und Partikularität«. Beim Aufzeigen eines Lösungswegs bezieht er sich auf K. A. Appiah und dessen Verständnis vom Kosmopolitismus. Danach gehe es eben nicht immer um Konsens gegenüber allen Partikularitäten, sondern um friedliches Zusammenleben unter den Vorzeichen der Vorläufigkeit allen Wissens. Eine Vorstellung, die abschließend an Sundermeiers bekanntes Konvivenzmodell erinnert.