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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

776–777

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hurtado, Larry W.

Titel/Untertitel:

Destroyer of the Gods. Early Christian Distinctiveness in the Roman World.

Verlag:

Waco: Baylor University Press 2016. 304 S. Geb. US$ 29,95. ISBN 978-1-4813-0473-3.

Rezensent:

Hartmut Leppin

Larry W. Hurtado, durch eine Reihe verdienstvoller theologischer Arbeiten hervorgetreten, gibt hier einen Überblick zur Geschichte des frühen Christentums. Hauptsächlich widmet er sich den ersten zwei Jahrhunderten, blickt aber oft auch auf das 3. Jh. Sein Hauptanliegen ist es, Besonderheiten des Christentums gegenüber der römischen Welt herauszuheben. Dabei verfolgt er auch ein wichtiges gegenwartsbezogenes Anliegen: Er möchte deutlich machen, wie fremd in der Antike das war, was heute in Hinblick auf Religion als selbstverständlich gilt.
In fünf Kapiteln arbeitet H. aufgrund seiner vorzüglichen Kenntnis vor allem der literarischen christlichen Quellen Besonderheiten heraus: die Attraktivität des Christentums trotz vieler An­feindungen von außen (Early Christians and Christianity in the Eyes of Non-Christians); die in einer jüdischen Tradition stehende Ablehnung der Verehrung anderer Götter auf der einen und die Fokus-sierung auf Jesus auf der anderen Seite (A New Kind of Faith); die Bereitschaft, politische Loyalität und religiöse Praxis zu trennen, damit auch die neuartige Begründung einer rein religiös defi-nierten Gemeinschaft (A Different Identity); die Textorientierung (A ›bookish‹ religion) sowie die hohen Verhaltenserwartungen an Christen etwa in Hinblick auf Kindesaussetzung oder Sexualität, die religiös begründet wurden (A new way to live). Im Schlusskapitel kommt H. noch einmal darauf zu sprechen, wie wenig selbstverständlich in der Antike war, was heute gemeinhin als Religion gilt.
Das vorliegende Buch versteht sich nicht als technical monograph (XIII), sondern ist an ein breites Publikum gerichtet, dem laut H. in den Endnoten kaum Verweise auf nicht-englischsprachige Publikationen zugemutet werden können – wobei einige erfreulicherweise dann doch vorkommen. Eine Reihe von Forschungsproblemen werden kundig in den angesichts des An­spruchs des Bu­ches vergleichsweise ausführlichen Endnoten diskutiert, wobei sich die Fußnote 18 des Kapitels 1 nur leicht verändert als Endnote 42 des Kapitels 3 wiederfindet.
Allerdings trifft H. eine folgenschwere Vorentscheidung: Als Christentum versteht er das ›proto-orthodoxe‹ bzw. ›katholische‹ Christentum in seiner Vielfalt, da es erfolgreicher und für die anderen sichtbarer gewesen sei. Das ist eine schlichtweg anachronistische Perspektive. Die Konsequenz ist eine allzu flächige Darstellung: Inschriften und dokumentarische Papyri tauchen kaum auf. Komplexe Fragen der Kanonbildung, der Rolle der apokryph ge­wordenen Schriften, der Entwicklung von Vorstellungen der Häresie oder des gnostischen Spektrums sucht man vergeblich. Es gibt vielmehr das eine Christentum, das sich offenbar in einer Eigenlogik von einem bestimmten Zeitpunkt an entwickelt. Bezeichnend ist der allzu schlichte Satz About 30 AD, a new religious movement appeared (2), so, als hätte es die ganzen Debatten das parting of the ways nicht gegeben, die H. natürlich kennt.
Der Anhang macht Hoffnung auf eine Reflexion der Eindimensionalität, denn er trägt die Überschrift The History of Early Chris-tianity in Scholarly Perspective. Dahinter verbirgt sich im Wesentlichen eine Auseinandersetzung mit der religionsgeschichtlichen Schule, die leider der Komplexität der Wissenschaftsgeschichte, wie sie heute betrieben wird, nicht gerecht wird. H. scheint es indes in dem Abschnitt um etwas ganz anderes zu gehen. Er will offenbar verdeutlichen, dass es einer theologischen Perspektivierung der Forschungen, die er der religionsgeschichtlichen Schule zum Vorwurf macht, bei Forschungen zum frühen Christentum in seinem Kontext nicht bedürfe (196). Umso mehr fragt der Historiker nach den Gründen dafür, sich im Wesentlichen mit dem ›proto-orthodoxen‹ oder ›katholischen‹ Christentum zu beschäftigen. Dies ließe sich allenfalls theologisch begründen, und als Laie fürchte ich, dass das nicht einmal eine besonders gute Theologie wäre, denn die Vorstellung, dass das, was in den Quellen überdurchschnittlich repräsentiert ist, auch die Bedeutung in der Realität widerspiegele, ist ahistorisch und letztlich teleologisch.
Praktisch als erster Überblick für ein breiteres Publikum ist das klar geschriebene, kundige Buch, doch die Entscheidung, das Thema retrospektiv einzugrenzen, stellt eine gravierende Schwäche dar.