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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

485–487

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hiestermann, Heinz

Titel/Untertitel:

Paul and the Synoptic Jesus Tradition.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 234 S. = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 58. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-04983-7.

Rezensent:

Christine Jacobi

Die Frage nach Umfang, Verhältnis und Bedeutung der synoptischen Jesustradition zu ihren Parallelen in den Paulusbriefen wird seit vielen Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Einige kürzlich erschienene Monographien greifen dieses Thema erneut auf, so dass es aktuell neue Aufmerksamkeit in der Paulus- und Synoptikerexegese, aber auch in der Erforschung des historischen Jesus erfährt. Zu den Neuerscheinungen gehört die 2017 veröffentlichte, an der University of Pretoria unter Gert J. Steyn und unter Udo Schnelle (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) entstandene Dissertation von Heinz Hiestermann. Nach H. habe die Synoptikerforschung bisher bei Untersuchungen zur Entstehung der synoptischen Evangelien und bei der Rekonstruktion ältester Versionen einzelner Perikopen und ihres ursprünglichen Wortlauts die Parallelen in den Paulusbriefen unberücksichtigt gelassen. Dieses Defizit soll die Arbeit zu den Parallelen in den Paulusbriefen beheben. Ihr besonderes Profil besteht demzufolge darin, die synoptische Parallelüberlieferung in den Paulusbriefen als Teil des synoptischen Problems zu untersuchen. Außerdem werden eingehend die historischen Umstände beleuchtet, unter denen Paulus möglicherweise Kenntnis von Jesustradition erhielt. Darüber hinaus widmet sich H. auch dem Galaterbrief näher, der bisher in der Frage nach Jesuswortüberlieferung bei Paulus wenig Aufmerksamkeit erhielt.
Im Anschluss an zwei ausführliche Abschnitte zur Forschungsgeschichte und zu den methodischen Voraussetzungen beschäftigt sich H. im Hauptteil der Arbeit mit der Kenntnis und Verwendung von Jesusüberlieferung durch Paulus (Kapitel 4), expliziten Bezugnahmen auf Jesustradition in den Paulusbriefen (1Kor 7,10–11; 1Kor 9,14 und 1Kor 11,23b–25) (Kapitel 5) sowie synoptischen Parallelen im Römerbrief, im ersten Thessalonicherbrief und im Galaterbrief (Kapitel 6–8). Ein deutlicher Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf der Forschungsgeschichte und der Frage nach der historischen Vermittlung von Jesustradition an Paulus, die etwa die Hälfte des Gesamtumfangs der Arbeit einnehmen.
Um zunächst einen Rahmen für seine exegetischen Untersuchungen abzustecken und festzustellen, an welchen Stationen seiner Biographie Paulus mit Jesustradition bekannt geworden sein könnte und welcher Kenntnisumfang überhaupt plausibel ist, un­tersucht H. Details der paulinischen Biographie bis zur Abfassung des 1. Thessalonicherbriefs. Hierzu zieht er auch Angaben aus der Apostelgeschichte heran. Insgesamt ergibt sich ein Bild, nach dem Paulus schon zu Beginn seiner Missionstätigkeit durchaus gut mit Jesustradition vertraut war und diese auch bei seinen Gründungsaufenthalten den neuen Gemeinden vermittelte. Allerdings rechnet H. nicht mit einer nennenswert eigenständigen Gestaltung und heilsgeschichtlichen Rahmung von Jesusüberlieferung im vorpaulinischen Christentum, sondern setzt die »Jesustradition« im Wesentlichen mit den »basic teachings of Christianity« gleich (85).
Für seine Untersuchung von Parallelüberlieferungen entwi-ckelt H. anhand paulinischer Zitate aus anderen Literaturbereichen (griechische Literatur, Septuaginta, vorpaulinische frühchristliche Formeln) einen Kriterienkatalog für die Identifizierung von Jesustradition. Vor allem spezifische Übereinstimmungen im Wortlaut und thematische Nähe zu der jeweiligen synoptischen Parallele weisen demnach auf die Verwendung von Tradition hin, wenn außerdem »Jewish or Hellenistic parallels« fehlen (78). Bezüglich der häufig diskutierten Passagen in Röm 12,14–21 und 14,14 kommt H. anhand der genannten Kriterien zu dem Schluss, dass ihnen keine Sammlung von Jesusworten zugrunde liegt. Allerdings rechnet er mit der Möglichkeit, dass Stellen aus dem Brief an die Galater auf Jesusüberlieferung zurückgehen: So sei aufgrund thematischer und lexematischer Übereinstimmungen mit Mt 16,16–17 denkbar, dass Paulus in Gal 1,16 Motive aus der Überlieferung von der Beauftragung des Petrus durch Jesus verwendet, um seine eigene apostolische Berufung zu begründen. Auch die besondere Akzentuierung und Kontextualisierung des Nächstenliebegebots, das insgesamt eine variantenreiche Überlieferung in der früh christlichen Literatur aufweist, sei ein wichtiger Teil des jesua-nischen Ethos gewesen, was sich an der Parallelüberlieferung in Gal 5,14; Röm 12,14; 13,8–9 und ihren Parallelen bei Matthäus und Lukas zeige.
Zwar ist sich H. der Komplexität und Hypothesenlast der Entstehungsmodelle von Q und den Synoptikern sowie des fortdauernden Einflusses mündlicher Überlieferung parallel zur Abfassung der Evangelien bewusst, dennoch rechnet sein Modell mit einer starken Abhängigkeit der Evangelien von Vorstufen, hinter der eigene literarische Profilierungen durch die Evangelien und Gestaltungsfreiheit im Umgang mit vorauslaufender Überlieferung zurücktreten. Ein Beispiel ist die Erwähnung von < /span>πορνεία in Mt 19,9 und 1Kor 6,18; 7,2 im Zusammenhang der Paralleltradition zur Ehescheidung (1Kor 7,10 f.), die Matthäus als eine Ausnahme des Scheidungsverbots anführt, während sie bei Paulus als eine Sünde am Leib erscheint, vor der der Apostel die Korinther warnt. Trotz dieser sehr unterschiedlichen Kontexte versteht H. das Vorkommen von πορνεία bei Paulus und Matthäus als Indikator gemeinsamer Jesustradition.
Insgesamt kommt er zu dem Ergebnis, dass insbesondere das Matthäusevangelium, zuweilen auch Lukas und in einigen Fällen Matthäus und Lukas gemeinsam (= Q) deutliche Übereinstim-mungen mit Paulus aufweisen. Die Paulusbriefe würden demnach zeigen, dass Matthäus gegenüber Markus ältere Überlieferung bewahrt habe. Im syrischen Antiochien, wo das Matthäusevangelium evtl. entstanden ist, könne Paulus mit jener Jesustradition vertraut geworden sein, die dann auch Matthäus in sein Evangelium einarbeitete. Die Eigenart der Parallelen mit ihren spezifischen Terminologien weise zudem auf schriftliche Sammlungen von Jesusworten (ähnlich Q) hin, auf die sowohl Paulus als auch die Evangelienverfasser Zugriff hatten.
Alles in allem stellt sich mit H.s Monographie noch einmal die Frage nach der Verarbeitung von Vorstufen und älterer Überlieferung bei Paulus und den Evangelien. So wäre zu diskutieren, in welchem Ausmaß mögliche Vorlagen übernommen bzw. verändert und angeeignet wurden und welcher Stellenwert den jeweils eigenen »Theologien« der Autoren zukommt.