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Ausgabe:

Mai/2018

Spalte:

478–480

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lortie, Christopher R.

Titel/Untertitel:

Mighty to Save. A Literary and Historical Study of Habakuk 3 and its Traditions.

Verlag:

St. Ottilien: EOS Verlag 2016. X, 277 S. = Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament, 99. Kart. EUR 39,95. ISBN 978-3-8306-7827-4.

Rezensent:

Heinz-Josef Fabry

Das hier zu besprechende Buch von Christopher R. Lortie ist für die Habakuk-Forschung ein großer Gewinn. Aber mehr als das: L. zeigt, wie man einen sehr schwierigen Text auslegen kann und gleichzeitig die – vor allem anglophonen – Kommentare, die vielfach ihr Heil in Emendationen und Konjekturen suchen, höflich und bestimmt in ihre Schranken verweist. Das Buch ist in sechs Kapitel unterteilt, die – vorweg sei es gesagt – von unterschiedlicher Qualität sind. Eine kurze Zusammenfassung in recht fehlerhafter deutscher Sprache (259 f.) ist nicht wirklich hilfreich.
Im 1. Kapitel »Introduction« (1–13) mit einem sehr konzisen Überblick über die vor allem anglophone Forschungsgeschichte formuliert L. seine Absicht, Hab 3 diachron und synchron zu er­schließen. Dabei möchte er die immer wieder in der Sekundärliteratur behaupteten Abhängigkeiten des Textes von vorderorientalischen Mythen kritisch sichten. L. setzt die primäre Textsituation von Hab 3 generell in nachexilischer Zeit an, zeigt sich dann en detail jedoch recht flexibel.
Das 2. Kapitel »Constitution, Syntax, Structure and Genre of Habakkuk 3« (14–81) geht mit der konventionellen Methodik, primär Text- und Literarkritik, an den Text heran. Man kann diesen ersten Hauptteil des Buches nur loben, da L. dem MT einen außerordentlich hohen Stellenwert zumisst und die gerne in anglophonen Kommentaren vorfindlichen Konjekturen und Emendationen nahezu ausnahmslos widerlegt. Dabei erweist er sich als gelehriger Schüler Irsiglers, für den Konjekturen grundsätzlich nur ultima ratio (19) sein können. Es folgt die Darstellung der für Hab 3 relevanten Textzeugen, wobei L. doch auffällig eklektisch mit der Sekundärliteratur umgeht. So hätte er hier und auch im späteren Kapitel 5 im Bereich der LXX das Standardwerk »Septuaginta Deutsch«, im Bereich der Versio Barberini die Sekundärliteratur über Baars und Fernández Markos hinaus extensiver zu Rate ziehen müssen. Der Abschnitt über die Textkritik (26 ff.) ist in mehrfacher Hinsicht meisterlich und bietet eine ausgezeichnete Arbeitsgrundlage für aktuelle und zukünftige Kommentatoren von Hab 3. In der Analyse der Syntax zeigt L. ein feines Gespür für die Zeitsetzungen der alternierenden Verbformen qatal und jiqtol und kann die Kommentare (z. B. Andersen, Robertson u. a.) zurückweisen, die undifferenziert alles als präteritale Aussagen verstehen wollen. Im Zuge seiner Literarkritik lässt er zugleich eine Strukturanalyse von Hab 3 mit einfließen (73 ff.): Den Kernteil bildet der Hymnus 3,3–15 (bestehend aus zwei Hymnen 3,2–7 und 3,8–15), der von einer inneren (3,2.16) und einer äußeren Rahmung (3,1.19b) inkludiert wird. Die Bestimmung von 3,16–19a wird dann schon schwammiger, und in 3,16 eine eindeutige Finalfunktion zu sehen (75), muss als fraglich beurteilt werden, zumal die hier vorherrschende »Ich«-Rede in den folgenden Versen weitergeht. Etwas voreilig erscheinen dem Rezensenten auch die Datierungen der einzelnen Strukturteile. Bei der Gattungsbestimmung schaut L. sich in der Textgeschichte und in der Sekundärliteratur fleißig um und kommt zu dem Schluss, Hab 3 sei als ein »call to intervention by JHWH […] to intervene in the prophet’s desperate situation […] and to act mercifully« zu beurteilen (77). Dem wird man füglich widersprechen müssen, weil Hab 3 lediglich in V. 2 eine Bitte enthält. Selbst wenn man Hab 3 als homogene Fortsetzung zu den Klagen des Propheten in Hab 1–2 ansieht, bleibt diese Formbestimmung fraglich.
Das 3. Kapitel »Textual Interpretation: The Images in Habakkuk 3 and their Background in the Hebrew Bible and the Ancient Near East« (82–144) zeigt, dass L. sich für die Textinterpretation den Vorgaben von A. Berlin und H. Irsigler verpflichtet weiß, was ihn dann folgerichtig besonders vorsichtig mit der Bildwelt des Hymnus umgehen lässt: Hier folgt man ihm gerne, zumal voreilige Zuweisungen an altorientalische Traditionen in vielen Kommentaren vielfach von weiteren Analysen abhalten. Trotzdem sieht er in Hab 3,5 Bezüge zur kanaanäischen Mythologie und wird dabei wohl Recht haben. Als Manko sei doch angemerkt, dass L. so gut wie nie in deutschsprachige Kommentare schaut; nur gelegentlich erfährt Perlitt die Ehre. Die Frage nach dem literarischen Kontext von Hab 3 (141 ff.) beantwortet L. doppelsinnig: Hab 3 war/ist ein Bestandteil des Habakukbuches, hat aber offensichtlich auch ein literarisches Eigenleben geführt. Das ist seit Qumran und der Entdeckung der versio Barberini weitgehend Forschungskonsens. Dass L. die These von Eaton, Hab 3 gehöre in die Feier des Erntedankfestes, und die These von Everson, Hab 3 sei die Antwort des Propheten auf den Tod des Joschija, zurückweist, ist zu begrüßen, ebenso seine Datierung von Hab 3 in die spätvorexilische Zeit (141).
Das 4. Kapitel »Habakkuk 3 in the Context of the Book Habakkuk and the Book of the Twelve« (145–175) ist der Ort, wo L. auf die diversen Hypothesen zur Entstehung der XII und der Einordnung des Habakukbuches in selbige Stellung nehmen muss. Auf die erste Frage, wie sich Hab 3 zum Hab-Buch verhält, antwortet L. mit dem Hinweis, Hab 3 habe für sich selbst existiert, sei aber nun ein integraler Teil des Buches, denn die Querverweise zu den Klagen des Propheten in Hab 1–2 seien eindeutig; mit F. I. Andersen sei Hab 3 im Grunde als Inhalt der Vision in Hab 2,3 f. anzusehen. Daneben kann er E. Ben Zvi zustimmen, der in den Prophetenbüchern des Jes, Jer und Ez eine dreiteilige Struktur aufdeckt, die analog Hab 3 als ein Heilsorakel erweise. Damit entsteht aber erneut die Frage einer ursprünglichen Zusammengehörigkeit aller 3 Kapitel, die zwar zugunsten des Propheten Habakuk selbst oder eines unmittelbar auf ihn folgenden Epigonen zu entscheiden sei, was aber doch nicht alle Probleme löst. Diese Hypothese kollidiert aber nun mit den vielen Versuchen, Hab 3 als zusammen mit Nah 1 (und den Amos-Doxologien) von einer Hymnenredaktion eingefügte sekundäre Hymnenschicht (hier wäre A. Schart unbedingt zu berücksichtigen) zu deuten. L. führt eine ganze Reihe von (vornehmlich US-amerikanischen) Hypothesen an (Roberts, Floyd, Hiebert, No­galski, Dale Schneider, House, Christensen), die unterschiedliche Vorstellungen von der Redaktion der XII und evtl. noch erkennbarer Zwischenstufen haben. Hier bleibt dann doch vieles vage und unübersichtlich, und es wäre ratsam gewesen, wenn L. ein Eindringen in diesen »Feuerring« vermieden hätte, zumal der Nutzen für Hab 3 außerordentlich gering ist (175).
Das 5. Kapitel »Ancient Versions of Habakkuk 3 (Greek, Aramaic, Latin)« (176–248) geht nacheinander auf die genannten antiken Übersetzungen ein, wobei es ihm auf die unterschiedlichen theologischen Ausrichtungen der Übersetzungen ankommt. Die LXX zeichne sich dadurch aus, dass sie den Text konsequent entmythologisiere, was aber de facto nicht geschieht. Zudem verlege die LXX Hab 3 überwiegend in die Zukunft, genauer in eine Naherwartung des göttlichen Einschreitens, wobei die Person des Propheten selbst eine größere Rolle spiele als im MT. Im Blick auf die LXX ist die nahezu konsequente Vernachlässigung der LXX.D ärgerlich. Die versio Barberini (206–224) entmythologisiert den Text noch weiter und hat eine wirkliche Schlacht vor Augen, an der der Prophet persönlich beteiligt ist, was zugleich eine intensivere Ausgestaltung der anthropologischen Aussagen mit sich bringt. In der Frage, ob die Zwölfprophetenrolle aus Naḥal Ḥever eine eigenständige Textversion, die dem MT sehr nahe steht, oder eine Rezension der LXX auf der Basis einer gemeinsamen Textvorlage sei, scheint L. sich mit E. Tov für Letzteres zu entscheiden. Es folgen Darstellungen der Version der Vulgata (227–236) und des Targum Jonathan (236–247), wobei vor allem der Targum eine ganz eigenständige theologische Ausrichtung entwickelt.
Das 6. Kapitel »Theology of Habakkuk 3« (249–255) ist dann doch überraschend kurz, denn L. bündelt sie in einige Kernthesen: Gott antwortet auf die Gebete; er kommt; er beschützt; er ist der, der handelt, wenn auch anders als erwartet; er kämpft; er ist der Gott der Gerechtigkeit und er ist der, der Lobpreis verdient. Das 7. und 8. Kapitel enthält die »Conclusions«, und eine Bibliographie schließt das Buch ab.
Es haben sich einige krasse Fehler eingeschlichen: Der Hinweis (23), zwischen der Abfassung von Hab 3 und dem C. Leningradensis liegen 15.000 Jahre, ist natürlich Unsinn. Die Erklärung (45) der Verlesung von םירה zu םיוג in der LXX mit »the translator read a gîmel for a dālet« macht ratlos. Der Verweis (119, Anm. 139) auf Sweeney hat im Literaturverzeichnis keine Entsprechung. Die von L. zitierte Konjektur von Roberts (182) zu Hab 1,9 funktioniert nicht, da das geforderte hebräische Wort nicht existiert. Zudem liegt hier in √ גמם (sic!) ein sehr ärgerlicher Fehler vor. Schließlich ist erstaunlich, dass L. dem Habakukbuch trotz Hab 2,5–17 jede Sozialkritik abspricht (255).
Wie eingangs hervorgehoben bietet L. eine wertvolle Analyse von Hab 3, die so detailreich ist, dass man für Einzelheiten gerne auf das Buch selbst verweisen möchte. Im Längsschnitt hat das Buch durchaus einige Schwächen, aber die Textanalyse ist für jeden, der sich mit Habakuk beschäftigt, Pflichtlektüre.