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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1307–1309

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Wolf, Hubert [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Antimodernismus und Modernismus in der katholischen Kirche. Beiträge zum theologiegeschichtlichen Vorfeld des II. Vatikanums.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1998. 397 S. gr.8 = Programm und Wirkungsgeschichte des II. Vatikanums, 2. Kart. DM 108,-. ISBN 3-506-73762-7.

Rezensent:

Hubert Kirchner

35 Jahre nach Beendigung des II. Vatikanischen Konzils ist die Diskussion um seine theologiegeschichtliche Einordnung immer noch voll im Gange. Es scheint sogar, sie komme jetzt erst eigentlich in Gang, erst jetzt, nach einer Phase des Streites, sei es möglich, in die Bahnen der sachlichen Aufarbeitung und Erörterung einzuschwenken. Frühe und radikale Kritiker waren mit ihren vernichtenden Urteilen schnell bei der Hand: Liberalismus, Protestantismus, Modernismus hätten im Konzil die Kirche "verseucht". So vor allem der Alt-Erzbischof Marcel Lefebvre und in seiner Gefolgschaft nicht wenige, die nur nicht so weit gingen wie jener, darüber auch die Exkommunikation zu riskieren. Bezeichnenderweise trafen sie sich in wichtigen Details ihres Urteils mit den entschiedensten Reformern auf der anderen Seite, die im Konzil - wie jene - den späten Sieg der modernistischen Bemühungen um einen Anschluß der Kirche an ihre Zeit feierten.

Inzwischen werden in einer Atmosphäre ruhiger Erforschung der Quellen und Umstände die Linien sorgfältiger gezogen, wird in beiden Richtungen schärfer differenziert und allgemein mit geringerer Furcht und weniger Vorbehalten nach möglichen Zusammenhängen gesucht. Daß dabei weiterhin der Begriff des Modernismus eine entscheidende Rolle spielt, versteht sich von selbst, und nicht nur der Begriff, sondern all die vielfältigen Bestrebungen, die damit zusammengefaßt werden, sei es als Reformprogramm für Theologie und Kirche oder aber als Signatur einer drohenden Gefahr.

In diese weiten Zusammenhänge gehört der hier vorzustellende Sammelband. Er enthält die Beiträge zweier (Anti)Modernismus-Symposien des Arbeitskreises "Die deutsche Theologie zwischen den beiden Vatikanischen Konzilien vor den Herausforderungen durch die Moderne - ihr Beitrag zum Zweiten Vatikanischen Konzil" vom Oktober 1995 und 1996 in Mainz bzw. Wiesbaden-Naurod. Diese wiederum gehörten in den Zusammenhang eines interdisziplinär angelegten Gesamtprojekts "Globalkultur und christlicher Glaube. Die Bedeutung des Zweiten Vatikanischen Konzils im kulturellen Transformationsprozeß der Gegenwart", das einen "Beitrag zur Auslegung der zentralen Konzilstexte und zur Wirkungsgeschichte" des Konzils leisten will und sich seinerseits als Ergänzung eines internationalen Forschungsvorhabens versteht, in dem es um die "Aufarbeitung der Quellen des II. Vatikanischen Konzils und seiner geschichtlichen ,Rekonstruktion’" geht (11).

Damit werden verschiedene Perspektiven bestimmend: Die weiten Hintergründe des Konzils ebenso wie das spezielle Phänomen des "Modernismus", markante Beispiele von dessen internationaler Erscheinung und besonders seine eigene Ausprägung in Deutschland. Denn: "Der päpstliche Antimodernimus ... galt allen reformkatholischen Schutzbehauptungen zum Trotz vor allem Deutschland und der deutschen Theologie. Nicht nur auf dem I. Vatikanum hatten kuriale Kreise die an Staatsuniversitäten gebildeten deutschen Bischöfe gefürchtet wie der Teufel das Weihwasser, auch Pius X. glaubte ... im Lande Luthers und der Reformation den Quellgrund aller Häresie ausmachen zu können." (35)

Die 16 Einzelbeiträge des Bandes werden in 6 Hauptteile gebündelt: Nach einer Einführung in die genannten Forschungsprojekte von P. Hünermann (11-14) sowie einer Einleitung über die Beziehungen zwischen (Anti)Modernismus und II. Vatikanum von H. Wolf (15-38) gibt in einem 1. Teil O. Weiß einen ausführlichen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Modernismusforschung (42-63). Der 2. Teil wendet sich "Grundsätzliche(n) Reflexionen zur Fragestellung" zu (65-139), wobei es vor allem um den ja von Anfang an kontrovers diskutierten Modernismusbegriff geht. F. W. Graf, "Moderne Modernisierer, modernitätskritische Erwägungen zu Deutungsmustern der Modernismusforschung" (67-106), setzt sich vorwiegend kritisch mit der bisherigen Forschung auseinander. Er plädiert dafür, den Modernismusbegriff "mit großer Behutsamkeit zu verwenden" (76), und widerspricht besonders der Versuchung "teleologische(r) Konstruktionen" (69).

O. Weiß, "Der Katholische Modernismus. Begriff - Selbstverständnis - Ausprägung - Weiterwirken" (107-139), bekräftigt dagegen seine These, die er schon in seinem großen Werke "Der Modernismus in Deutschland" (s. ThLZ 122, 1997, 867f.) verfochten hatte, daß "der Modernismusbegriff als ein äußerst weiter zu begreifen" sei (112). Da für Rom und speziell Pius X. in seiner Enzyklika "Pascendi" "jedweder Neuerer unter das Verdikt des Modernismus fällt", sei sogar die Frage zu stellen, ob es überhaupt einen Sinn habe, nach Inhalt und Umfang des Modernismusgegriffs zu fragen.

Teil 3 entfaltet "Internationale Perspektiven" (141-192): H. H. Schwedt, "Alte Welt gegen Neue Welt. Der Papst und der katholische Amerikanismus (1899)" (143-161), untersucht die Vorgänge um den schon 1888 verstorbenen New Yorker Priester Isaak Hecker und erkennt darin insbesondere, daß hier die Europäer, vertreten durch die beiden Päpste Leo XIII. und PiusX., und ihr veraltetes Kirchenkonzept "ihre christliche Sendung zu Herrschaftszwecken" mißbrauchten: "Eine Alte Welt, nicht im geographischen, sondern im qualitativen Sinne, stellte sich gegen die Neue Welt, und die Verweigerung, ja die Rebellion des Alten gegenüber dem Neuen in der Kirche ist die Quintessenz - auch des historischen Antiamerikanismus." (161) M. Weitlauff, "’History or Apologetics’. Edmund Bishop (1846-1917): ’a modernist’ of before modernism" (163-192), stellt eine Persönlichkeit vor, die zumal in Deutschland fast unbekannt blieb, wiewohl sie "zu den führenden frühen Vertretern der neueren liturgiewissenschaftlichen Forschung" zählt (163), einen Privatgelehrten, der als Konvertit zum liberalen Katholiken wurde und so zum Vertreter "einer Tradition, die das Recht der historischen Wahrheit in der Kirche zu verteidigen sich zur Aufgabe gemacht hatte" (175 f.). Am Schluß wird gleichsam als eine Probe seiner Arbeit in deutscher Übersetzung der Text eines Essays Bishops aus dem Jahre 1900 abgedruckt, der schon seinerzeit nur in wenigen Exemplaren verbreitet war: "Geschichte oder Apologetik" (180-192).

Die Teile 4 und 5 sind dem (Anti)Modernismus in Deutschland gewidmet (193-279 bzw. 281-364). Die große Zäsur bildet der Erste Weltkrieg mit den dadurch bedingten Veränderungen der Rahmenbedingungen. Untersucht werden jeweils Einzelaspekte: A. Landersdorfer beschreibt das Wirken A. M. Weiߒ OP als "leidenschaftlicher Kämpfer wider den Modernismus" (195-216), K. Hausberger die antimodernistische "Protagonistenrolle" des Rottenburger Bischofs P. W. v. Keppler (217-239). C. Arnold untersucht unter der Überschrift "Frauen und Modernisten" den Kreis um Augusta v. Eichsthal nicht zuletzt als ein Stück gesellschaftlicher Verankerung (241-265). Th. Ruster, "Theologische Wahrnehmung von Kultur im ausgehenden Kaiserreich" (267-279) bedenkt speziell die Beiträge von A. Ehrhard, H. Schell und J. Mausbach für das Verhältnis von Katholizismus und moderner Kultur. Für die Zeit nach dem Kriege setzt M. Ries diese Linie gleichsam fort: "Zwischen Literaturstreit und Osterstimmung. Katholische Belletristik nach der Modernismuskrise" (283-297), und auch der folgende Beitrag von K. Hausberger, "Der ,Fall’ Joseph Wittig (1879-1949)" (299-322) steht noch in diesen Zusammenhängen. Neue Aspekte eröffnet demgegenüber M. Eder: ",Eine moderne Gestalt des Christentums kann für uns nur eine deutschere Gestalt sein ...’ Vom ,artgemäßen’ Christentum zum ,deutschen Glauben’" (323-343), und hat hier immerhin auf einige recht namhafte Persönlichkeiten zu verweisen. Die Untersuchung von U. Scharfenecker, "Dr. Oskar Schroeder (1889-1974), Inspirator, Organisator und Destruktor des Rheinischen Kreises der Reformfreunde" (345-364) führt dann schon bis in die Zeit nach dem II. Vatikanum.

Schließlich versucht P. Hünermann in einem kurzen Schlußteil, "Systematische Reflexionen" (365-376), eine "kritische Nachlese", in der es sich erweist, daß es leichter scheint, den römischen Antimodernismus als eine Denk- und Verhaltensweise definitorisch zu erfassen als das Phänomen, wogegen er sich richtet. Abgeschlossen also ist noch keine der in den Projekten gestellten Aufgaben. Die Arbeit muß weitergehen. Man darf gespannt sein. Die Gründlichkeit der vorgelegten Arbeiten und die Vorsicht in den Einzelurteilen lassen weitere gute Ergebnisse erhoffen.

Ein Autorenverzeichnis sowie ein Personenregister runden den inhaltsreichen Band ab. Letzteres erweist sich nicht zuletzt dadurch als äußerst hilfreich, als sämtliche Beiträge mit ausführlichen Anmerkungen ausgestattet sind, die jedem, der Einzelfragen näher nachgehen möchte, verläßlich Wegweisung vermittelt.