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Ausgabe:

März/2018

Spalte:

279–280

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Heimann, Hans Markus

Titel/Untertitel:

Deutschland als multireligiöser Staat. Eine Herausforderung.

Verlag:

Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 2016. 256 S. Geb. EUR 22,99. ISBN 978-3-10-002477-0.

Rezensent:

Detlef Hiller

Hans Markus Heimann, geboren 1968, ist Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Er ist Verfasser von zwei Lehrbüchern zu Grundrechten und Verfassungsrecht sowie von zwei weiteren Monographien, die sich mit islamischem Religionsunterricht und mit der Entstehung der Verfassungsgerichtsbarkeit in den neuen Ländern befassen. Das hier zu besprechende Buch ist sein jüngstes Werk. Darüber hinaus hat er zahlreiche Aufsätze geschrieben, die sich mit Fragen des öffentlichen Rechts befassen, besonders häufig mit dem Thema Religionsunterricht.
In einer Zeit, in der die Frage nach der Integrationsfähigkeit des staatlichen Systems lebhaft diskutiert wird, ist das hier zu besprechende Buch hochaktuell. Denn H. versucht, alle wesentlichen Aspekte zu erörtern, die sich für das Zusammenleben im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ergeben, wenn die Gesellschaft multireligiös wird. H. erläutert, dass in einer immer diverser werdenden Gesellschaft religiös motivierte Verhaltensweisen zu einer Zunahme von Fragen führen, die im Rahmen der vorgegebenen verfassungsrechtlichen Ordnung befriedigend be­antwortet werden müssen. Dies sei »im Moment die drängendste Herausforderung im Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland und in den Staaten des Westens« (10). H. findet diese Antworten in einer strikt neutralen und am Gebot der strengen Parität ausgerichteten Auslegung der religionsbezogenen Freiheitsrechte des GG. So kommt er zu dem Ergebnis, dass die grundgesetzliche Ordnung das friedliche Zusammenleben in einem multireligiösen Staat gewährleisten kann.
Dieser optimistischen Einschätzung folgt jedoch eine bemerkenswerte Einschränkung: Dies sei dauerhaft nur möglich, wenn »in der konkreten religiösen Zusammensetzung der Gesellschaft des multireligiösen Staates […] der Anteil derer, die seine ›freiheitlich-demokratische Grundordnung‹ […] ablehnen, nicht so groß (ist), dass seine Existenz gefährdet wird.« (226) Dieser Hinweis, der nicht wirklich überraschen kann – man denke als Deutscher nur an die Demokratie ohne Demokraten der Weimarer Republik –, sollte dennoch nicht als Selbstverständlichkeit abgetan werden. Denn alle Argumentationen H.s, die stets nachvollziehbar und stringent sind und daher den insgesamt optimistischen Ausblick erlauben, setzen zwingend voraus, dass die Konfliktparteien die freiheitlich-demokratische Grundordnung als gesellschaftlichen Konsens achten. Dieser ist, so H. in leichter Abwandlung des berühmten Bö-ckenförde-Diktums, die existentielle Voraussetzung, »von der der freiheitliche Staat lebt, die er (aber) zugleich nicht garantieren kann« (226). Im Einzelnen geht H. wie folgt vor:
In einem kurzen ersten Kapitel werden die Ziele des Werks und die Entwicklung der Gesellschaft hin zu einem multireligiösen Gebilde vorgestellt. Im zweiten Kapitel erläutert H. das Verhältnis von Staat und Religion im GG. Kritisch anzumerken ist, dass er hier und im Weiteren nur den Standpunkt gelten lässt, wonach das GG hinsichtlich Religion strikt neutral und völlig paritätisch sei. So stelle der Gottesbezug in der Präambel keinerlei Vorbehalt der Verfassung zugunsten der christlichen Tradition dar. Auch Art. 137 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung, der zu den Beständen ge­hört, die in das GG aufgenommen wurden, und besagt: »Es besteht keine Staatskirche«, sei nicht wörtlich zu verstehen, eben als Ab­schaffung einer Staatskirche«, sondern als ein vollständiger Trennungsgrundsatz, der die völlige Säkularität des Staates verbürge. Auch die vielen »Neutralitätsausnahmen« des GG, wie der Körperschaftsstatus, der Religionsunterricht und der Schutz des christlichen Sonn tags stellten keinen »christlichen Kulturvorbehalt« des GG dar, sondern werden von H. konsequent neutralisiert.
Diese Grundentscheidung H.s hat natürlich Einfluss auf alles Weitere, daher wäre es um der wissenschaftlichen Transparenz willen wünschenswert, wenn durch Fußnoten auf das Vorhandensein von konträren Auslegungsvarianten oder Mindermeinungen verwiesen würde. Leider geht H. aber insgesamt nur sparsam mit Verweisen um. Viele Feststellungen werden von ihm schlicht getroffen, ohne sie durch Belege zu stützen. Man nehme nur die Fußnotenanzahl in dem hier besprochenen zweiten Kapitel über das »Verhältnis von Staat und Religion«. Dem Leser werden ganze acht Verweise geboten, wobei die beiden kurzen, aber wichtigen Ab­schnitte über »Laizismus« und »Parität« sogar gar keine aufweisen.
Teil drei und Teil vier stellen die beiden besonders lesenswerten Hauptteile dar. In Kapitel drei befasst sich H. mit der Religionsfreiheit im multireligiösen Staat. Hier wird das Zu- und Ineinanderwirken der Grundrechte dargestellt und eine Aufarbeitung der aktuellen Konfliktfelder geboten. Alle vorgestellten Bewertungen stehen natürlich auf den im zweiten Kapitel festgelegten Maximen der völligen Neutralität und Parität.
Kapitel vier behandelt die »historische Dimension« bzw. das »Re­ligionsrecht staatskirchlichen Ursprungs«. Hier werden die so­genannten »Neutralitätsausnahmen« des GG behandelt, also die Privilegien, die das GG den Religionen, insbesondere den beiden historischen Großkirchen, zukommen lässt. Besonders aktuell ist dabei die Frage nach einem den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden islamischen Religionsunterricht.
Ein kurzer fünfter Teil ist überschrieben mit »Perspektiven«. Hier betont H. erneut Freiheit und Gleichberechtigung als einzig mögliche Basis für ein friedliches Zusammenleben im multireligiösen Staat. Die Herausforderung, die im Titel des Buches bereits angesprochen ist, liegt für ihn nicht in der bestehenden Verfassungslage, sondern in der Bewahrung des bereits eingangs angesprochenen Grundkonsenses für den säkularen Staat und seine freiheitlich-demokratische Grundordnung, die, allein an grundrechtlichen Maximen orientiert, eigene Traditionen schützt oder eben einschränkt und ebenso auch mit fremden verfährt.