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Ausgabe:

März/1999

Spalte:

269–271

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Soggin, J. Alberto

Titel/Untertitel:

Das Buch Genesis. Kommentar. Aus dem Ital. von Th. Frauenlob.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997. XV, 604 S. gr.8. Lw. DM 178,-. ISBN 3-534-12276-3.

Rezensent:

Ludwig Schmidt

In dem Kommentar, dessen Manuskript aus dem Italienischen übersetzt wurde, erörtert S. zunächst in "Allgemeine Einführung" (1-11) grundlegende Fragen. Außer auf den Namen des Buches und seine Textüberlieferung geht er hier auf die literarische Entstehung und den Charakter der Stoffe ein. Die Urgeschichte (Gen 1-11) sei aus den beiden Quellen ’J’ und ’P’, die Darstellung der Erzväter (Gen 12-36) aus ’J’, ’E’ und ’P’ mit "dtn. oder dtr." Einschüben zusammengestellt worden (1).

S. vertritt somit die neuere Urkundenhypothese. Er läßt allerdings offen, ob es angesichts des geringen Bestandes und des fragmentarischen Charakters der E zugewiesenen Texte tatsächlich eine Quellenschrift E gab (5, vgl. z. B. auch 291). Im Unterschied zu den meisten Vertretern dieser Hypothese setzt S. aber schon die älteste Quelle ’J’ erst in (früh-)nachexilischer Zeit an. Der Monotheismus, den ’J’ in der Urgeschichte vertrete, habe sich in Israel erst nach dem Exil durchgesetzt (7 f.; vgl. auch 77). Die Josephsgeschichte (Gen 37-50*) sei ein von den Pentateuchquellen unabhängiger Anhang aus hellenistischer Zeit (1). Für die Stoffe betont S., daß die Urgeschichte zu einem großen Teil aus Mythen bestehe. Auch wenn ihr Kontext nun der israelitische Monotheismus der nachexilischen Zeit sei, gehöre Gen 1-11 "vor allem zur Welt des Alten Orients, noch bevor es zur Hl. Schrift für die Synagoge und die Kirche wurde. Aus diesem Grund sollten die Kapitel hauptsächlich in diesem Zusammenhang untersucht werden" (7). Dagegen enthielten die Erzväterüberlieferungen zum größten Teil Sagen. "Ihre Redaktion ist zwar spät, doch ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß sie älteres Material überliefern". Allerdings sei bei seiner historischen Auswertung größte Vorsicht geboten, weil es von der Redaktion in einen "vollkommen neuen Kontext eingefügt wurde" (3).

Die Kommentierung erfolgt in fünf großen Teilen: "Vor der Sintflut" (1,1-6,4) - "Nach der Sintflut" (6,5-11,32) - "Abram/ Abraham" (12,1-25,18) - "Jakob" (25,19-37,1) - "Joseph" (37-50). Sie werden in 77 Abschnitte unterschiedlichen Umfangs untergliedert, die in der Regel folgendermaßen aufgebaut sind: Literatur (Name des Autors und Erscheinungsjahr) - Einleitung - Übersetzung - Bemerkungen zum Text - Interpretation, in der S. auch auf literarische und historische Fragen eingeht. Es folgen zwei Exkurse von Chr. Schäfer-Lichtenberger (555 f.: "Zum Verfahren von Gen 30,37-39" und "Zu Pharaos Träumen, Gen 41"). Den Schluß bilden eine umfangreiche Bibliographie (557-595) und Register (597-604: Personen und Sachen, Wörterverzeichnis, Stellen, Autoren).

S. berücksichtigt eingehend die relevanten altorientalischen Parallelen und die Textvarianten. Die Auslegung der Erzvätererzählungen ist aber oft recht knapp. Ihre Komposition in den verschiedenen literarischen Schichten wird meist nicht berücksichtigt. Dadurch werden die unterschiedlichen theologischen Linienführungen nicht deutlich. S. geht außerdem nicht auf die Redaktionen ein, die die Quellen miteinander verbunden haben. Auch wenn er die Darstellung der Erzväter verschiedenen Schichten zuweist, spielen meines Erachtens hier literarische und überlieferungsgeschichtliche Fragen nur eine untergeordnete Rolle. Das kann hier nur an einigen Beispielen gezeigt werden. S. führt in der "Einleitung zu den Erzväterüberlieferungen" (193-199) aus, daß zwischen 12,2 und dem davidisch-salomonischen Reich eine Verbindung bestehe. Nur im Blick auf dieses Reich habe man von Israel und Juda als von einem großen Volk im Sinne von einer Nation sprechen können. Auch die Verheißung "Ich werde deinen Namen großmachen" beziehe sich auf dieses Reich. "Es ist also möglich, daß eine erste Sammlung dieser Überlieferungen zur Zeit des Königtums entstand" (195f.). Aber dieser meines Erachtens für die Interpretation der Vätererzählungen und die Datierung von J wichtigen Frage wird nicht weiter nachgegangen, sondern S. weist im Folgenden lediglich darauf hin, daß solche Traditionen in der spätexilischen und frühnachexilischen Zeit "blühten". Außerdem wird nicht deutlich, ob S. in ’P’ eine eigene Quellenschrift oder eine Bearbeitung von ’J’ sieht. Er bezeichnet zwar ’P’ als Quelle. Aber er hält es z. B. für möglich, daß 13,1 ’P’ zuzuweisen ist, da diese Stelle an 12,5 (,P’) erinnere (219). Nun setzt aber 13,1 ("Da zog Abram herauf von Ägypten ...") eindeutig die nichtpriesterliche Erzählung 12,10-20 voraus. Der Vers kann somit nur von ’P’ stammen, wenn P eine Bearbeitungsschicht wäre. Lediglich unter dieser Voraussetzung kann man auch mit S. 13,7b für einen Einschub von ’P’ halten (218). Die Ausführungen von S. zu der Erzählung von dem Kampf Jakobs am Jabbok (Gen 32,23 ff.) sind widersprüchlich. Hier referiert er in der Einleitung u. a. die Auffassung von Blum, daß dieser Text für den Jakob-Zyklus verfaßt wurde. Danach fährt er fort: "und die Gründe dafür sind schwerwiegend, wenn nicht entscheidend" (396). Nach seiner Interpretation hat die Erzählung aber durch die Einfügung in den Jakob-Zyklus "eine vollkommene hermeneutische Umwandlung" erfahren (400). Dann kann sie jedoch nicht für diesen Zyklus gebildet worden sein.

Auch die Analyse der Josephsgeschichte ist meines Erachtens problematisch. S. hält sie im wesentlichen für einheitlich, "auch wenn hier und dort ’P’-ähnliche Ergänzungen und einige Randbemerkungen feststellbar sind" (427). Der Wechsel zwischen Israel und Jakob bei dem Namen des Vaters und zwischen Juda und Ruben als Sprecher der Brüder, mit dem häufig eine Aufteilung auf J und E oder auf einen Grundbestand und eine Bearbeitung begründet wurde, ist für S. nicht literarkritisch relevant (428 f.). Diese Unterschiede weisen aber meines Erachtens deutlich auf verschiedene Quellen oder Schichten hin. Das kann hier nicht näher ausgeführt werden. Bei seiner Ansetzung der Josephsgeschichte in hellenistische Zeit geht S. leider nicht darauf ein, wann nach seiner Meinung der Pentateuch "kanonischen" Rang erhielt und erstmals ins Griechische übersetzt wurde. Nach der weithin in der Forschung vertretenen Auffassung hatte der Pentateuch diese Geltung bereits um 300, und er wurde um 250 ins Griechische übersetzt. Das schließt eine Entstehung der Josephsgeschichte in hellenistischer Zeit aus, denn einen Pentateuch ohne Josephsgeschichte gab es sicher nicht.

Die Übersetzungen sind oft recht ungenau. So wird z. B. 12,13 folgendermaßen wiedergegeben: "Ich werde dich also für meine Schwester ausgeben, damit sie mir aus Liebe zu dir wohlgesinnt sind und mein Leben um deinetwillen schonen" (211). Wörtlich wäre aber zu übersetzen: "Sage doch, du seist meine Schwester, damit es mir gut geht um deinetwillen und meine Person lebt wegen dir". Die Übersetzung von S. ist eine falsche Paraphrase des Textes. An anderen Stellen wird der hebräische Text in der Übersetzung geglättet oder durch Zusätze ergänzt, so daß Probleme nicht mehr erkennbar werden. S. gibt z. B. 32,26a folgendermaßen wieder: "Als der Mann bemerkte, daß er ihn nicht überwinden konnte, schlug er ihm ans Hüftgelenk" (396). Im hebräischen Text wird jedoch das Subjekt nicht explizit genannt. Es heißt lediglich: "Da sah er, daß er ...". Mit seiner Übersetzung schließt S. hier stillschweigend die Auffassung, die u. a. von Gunkel vertreten wurde, aus, daß in der Erzählung ursprünglich Jakob seinen Gegner auf die Hüftpfanne schlug. Gelegentlich werden Teile des hebräischen Textes ohne Begründung ausgelassen (so z. B. in 13,1.6, 218). Diese Beispiele ließen sich noch erheblich vermehren. Die Übersetzungen sind somit häufig nicht zuverlässig.

Gelegentlich werden Arbeiten, die zu den einzelnen Abschnitten in Kurzform aufgeführt werden, in der Bibliographie nicht berücksichtigt, so daß Titel und Fundort unklar sind. Es fehlen etwa aus S. 396: Hermisson 1974; L. Schmidt 1977/79, aus S. 427 Boccaccini 1992; Eerdmans 1913; Schmitt, 1980. Das sind lediglich einige Beispiele.

Freilich sollte nicht verkannt werden, daß die Kommentierung der Genesis in der gegenwärtigen Pentateuchkrise, in der völlig gegensätzliche überlieferungsgeschichtliche und literarische Positionen vertreten werden, außerordentlich schwierig ist. In einem überschaubaren Kommentar, wie ihn S. vorgelegt hat, können diese Probleme nicht ausführlich erörtert werden. Trotzdem stellt sich meines Erachtens die Frage, ob die Auslegung von S. über die bereits vorliegenden Kommentare hinaus einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Texte bietet.