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Ausgabe:

Dezember/2017

Spalte:

1346–1348

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hoppe, Rudolf

Titel/Untertitel:

Der Erste Thessalonikerbrief. Kommentar.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2016. 369 S. Geb. EUR 39,99. ISBN 978-3-451-31225-0.

Rezensent:

Fritz Röcker

Der hier vorzustellende Kommentar des emeritierten katholischen Bonner Neutestamentlers Rudolf Hoppe zum 1Thess, »dem bald die Auslegung des 2. Thessalonikerbriefes folgen soll« (9), erscheint außerhalb einer Kommentarreihe. Welche Überlegungen für diese Entscheidung eine Rolle gespielt haben, lässt sich nicht erschließen, in jedem Fall fließt ein langer Weg an Erfahrung und Denken des Priesters, Theologen und Exegeten in den Kommentar ein, ist er doch ein Werk, das seinen Anfang bereits in Überlegungen Anfang der 1990er Jahre genommen hat (vgl. 9).
Der Band ist insgesamt gut zu lesen und ermöglicht durch die graphische Gestaltung eine sehr gute Orientierung, so sind z. B. bei der Einzelexegese die Versangaben am äußeren Seitenrand notiert. Die aktuelle Fachdiskussion ist in sinnvoller Breite und nötiger Kürze so dargestellt, dass den Lesenden in Fachwissenschaft und kirchlicher Praxis hilfreiche Überblicke und vertiefte Einblicke geboten werden. Dies ist deshalb eigens hervorzuheben, weil dieser Kommentar seit W. Bornemanns Werk aus dem Jahr 1894 der umfänglichste deutschsprachige Kommentar zum 1Thess ist.
Der Einleitung (35–70) folgt die Kommentierung des Textes. Der Brief wird zunächst, gegen den Versuch ihn als Rede zu verstehen (56), wie epistolographisch üblich, dreigegliedert: Briefeingang (1,1–10 [73–126]), Briefcorpus (2,1–5,11 [127–313]) und Briefschluss (5,12–28 [315–340]). In die beiden ersten Abschnitte ist jeweils ein knapper Exkurs eingestreut: »Erwählung in der paulinischen Theologie« (100–103) und »1 Thess 4,15–18 und 1 Kor 15,51 f.58 – Kontinuität und Variabilität in der Denkform« (279–282); die Einleitung (35–70) schließt mit ebenfalls exkursartigen Überlegungen »zur pluralen Redeform des ›Wir‹ im 1 Thess« (64–70).
Durchaus einleuchtend ist der Hinweis, die Danksagung (Pro-ömium) stelle keineswegs bloße Briefkonvention dar, sondern sei »substantieller Teil des theologischen Konzepts und der Pragmatik des gesamten Schreibens« (57), was die mehrfache Aufnahme des Dankes im Brief zeige (2,13; 3,9 f.); damit wird der Brief freilich nicht zum »Dankesschreiben«.
Im Hauptteil des Briefcorpus bilde 4,13–18 mit seinem »lehrhaft-unterweisenden Charakter« (58) das Zentrum. Ob angesichts der vorausgehenden Mahnung zur »Heiligung« (4,1–8) und dem Hinweis auf das Verhalten innerhalb der Ekklesia (4,9–12) sowie dem folgenden paränetischen Abschnitt 5,1–11 nicht auch von zwei Brennpunkten einer Ellipse, sc. Ethik und Eschatologie – geredet werden könnte, und diese beiden eher so einander zuzuordnen wären – und hierin das Zentrum des Briefes läge –, sei wenigstens gefragt; einen parakletischen Charakter kann man 4,13–18 jedenfalls auch zuschreiben (4,18), insgesamt sind im Brief ohnehin Le­benspraxis und Eschatologie immer wieder aufeinander bezogen – aus Sicht des Rezensenten dürfte dies zudem nicht einzig den »Bedrängnissen« geschuldet sein (s. u.).
Die einzelnen Unterabschnitte der Auslegung sind in sich ebenfalls je dreigegliedert. Zu Beginn werden abschnittsbedingt unterschiedliche Beobachtungen notiert: Überlegungen zum Aufbau und zur Syntax und Semantik sind (fast) überall vermerkt, aber auch zur Pragmatik (z. B. 131 f.) oder Traditionsgeschichte/-elemente (z. B. 167.259 f.) einer Textsequenz werden häufig eigene Textabschnitte verfasst. Im zweiten Abschnitt folgt eine ebenso ausführliche wie gründliche Einzelversexegese; den Abschluss bildet jeweils eine meist eine Seite umfassende (theologische) Zusammenfassung und inhaltliche Zuspitzung des vorher exegesierten Abschnittes. Diesem Dreischritt geht stets eine eigene Übersetzung des biblischen Textes voraus.
Auslegungsbesonderheit des Bandes ist die Fokussierung auf die missionarische Anfangsverkündigung in Thessaloniki einerseits und andrerseits auf nach dieser Verkündigung – und nach dem Weggang der Missionare aus der Stadt – aufgekommene Fragen in der gerade erst entstandenen Gemeinde (52), die Paulus, in Ko­rinth weilend, durch Timotheus zugetragen wurden (49.64.341 f.). – Auch wenn sich nicht immer eindeutig feststellen lasse, was nun zur Anfangsverkündigung und was zur »Zweitverkündigung« gehöre, die der Brief darstelle (52), können die unterschiedlichen Stadien der ›Kommunikation des Evangeliums‹ mit der Gemeinde in Thessaloniki aufgrund mehrerer Hinweise im Brief (z. B. 2,11; 3,4; 5,1) herausgearbeitet werden. H. erteilt dabei Briefteilungshypothesen und auch Interpolationsvorschlägen eine Absage (62 f.).
Der größte »Überzeugungsbedarf«, den 1Thess zu leisten habe, liege in der Anfrage, welchen »Gewinn« der neue Glaube an das Evangelium des Christus angesichts der real erlebten sozialen Ausgrenzung und Diffamierung gegenüber dem vorchristlichen Lebensmuster biete. Diese Frage stelle sich umso mehr, als »der Hauptprotagonist dieses Evangeliums den Mächtigen weichen musste« (55). – Angesichts des oben zu den beiden thematischen Brennpunkten des Briefes Erwogenen, kann natürlich ebenfalls daran gedacht werden, dass der Brief zwar durchaus auf die »Be­drängnis« (3,3.7) der Gemeinde in Thessaloniki Antworten geben muss, gleichzeitig aber auf die nicht weniger bedrängenden Fragen bezüglich der nun doch vor der Parusie Christi verstorbenen Ge­meindeglieder und auf die offensichtlichen ethischen Problemstellungen reagieren muss. Eine (zu) starke Fokussierung auf eine Thematik lässt der Brieftext angesichts des verhandelten Problemspektrums m. E. nicht zu. Bieten nicht gerade die Themen Eschatologie und Ethik, die aktuell in der Gemeinde zu Verunsicherungen geführt haben, Hinweise für den Abfassungsgrund und den inhaltlichen Schwerpunkt des Briefes? Die »Bedrängnisse« würden in diesem Fall diesen beiden Themen zuzuordnen sein.
In einer Rezension eines Kommentars können nicht einzelne exegetische Beobachtungen wiedergegeben und zudem noch kommentiert werden. Hingewiesen sei deshalb ganz pauschal darauf, dass der Kommentar vielerlei Anregungen und gewiss Anlass zu weiteren Diskussionen bietet, was die hier gegebenen einzelnen Hinweise bereits zeigen.
Zum Schluss sei vermerkt, dass H. der Schilderung des Aufenthalts der Missionare in Apg 17,1–9 eher wenig historische Zuverlässigkeit bescheinigt (48–52), weshalb z. B. im Blick auf die »Konstellation der mazedonischen Adressatenschaft, zunächst von dem Bild, das aus Apg 17,1–10 hervorgeht, abzusehen« (53) und von keiner Erstverkündigung in der Synagoge von Thessaloniki auszugehen sei; Paulus sei hingegen »mit seiner Botschaft in heidnische Kreise vorgedrungen […], die durch ihren existenziellen Paradigmenwechsel für Befremden unter den Mitbürgern gesorgt haben« (54). Bei der Reiseroute von Thessaloniki nach Athen/Korinth hält er eine Route über Illyrien für wahrscheinlicher als über Beröa (49.51 f.).
Den »formalen Rahmen« des Buches bildet ein umfängliches Literaturverzeichnis (13–33) und ein dem in seiner Länge nicht nachstehendes Stellenregister (345–365); die »Hardware« besticht durch solide Hardcoverbindung und ein Lesebändchen.