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Ausgabe:

Dezember/1999

Spalte:

1269 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schieder, Thomas

Titel/Untertitel:

Weltabenteuer Gottes. Die Gottesfrage bei Hans Jonas.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1998. 291 S. gr.8 = Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie, Soziologie der Religion und Ökumenik, 48. Kart. DM 78,-. ISBN 3-506-70198-3.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

In den Mittelpunkt seiner Regensburger katholisch-theologischen Dissertation rückt Thomas Schieder nicht den Gnosisforscher oder den Verantwortungsethiker Hans Jonas, sondern den Religionsphilosophen - und legt damit die erste ausführliche Monographie zu diesem Thema vor.

Es charakterisiert das Denken Jonas’, weder das zeitgenössische Verbot der Metaphysik zu respektieren, noch das der Objektivität der Werte. Vielmehr strebt er mit seiner Suche nach dem Ganzen nach universeller Verbindlichkeit. Es folgt, was die innere Spannung dieses Werkes ausmacht, aus der metaphysischen Spekulation kein Anspruch auf sichere Erkenntnis, so "daß seine metaphysischen Bemühungen keinen Anspruch auf allgemeinverbindliche Erkenntnis erheben können" (24). - Gleichwohl sucht Jonas mit seinem Werk "Organismus und Freiheit" (1973) eine philosophische Biologie herauszuarbeiten, mit deren Hilfe er sein Plädoyer für eine "Teleologie des Organischen" begründet. Damit sind das Geistige und die Freiheit "bereits im vorbewußten Sein als deren organische Basis präfiguriert" (55). Der Weltprozeß kann folglich als eine Bewegung von den unentwickelten zu den am meisten entwickelten Formen verstanden werden, wobei den Menschen als den derzeit höchsten Wesen eine "reflexive Objektivierung des Seinsganzen" (55) möglich ist.

Von der Grundlegung dieser beiden ersten Kapitel zu Fragen der Metaphysik und der Naturphilosophie ausgehend, kann S. nunmehr Jonas’ Sicht der Gottesfrage abhandeln. Dies geschieht in den Kapiteln drei bis sieben, in denen Gott in jeweils unterschiedlichen Relationen reflektiert wird: im Verhältnis zur Unsterblichkeit, zu seinem eigenen Wirken, zum Leid auf der Welt, zur Schöpfung und zur Geschichte. Ein zusammenfassendes achtes Kapitel beschließt das Buch.

In den 1963 zum ersten Mal veröffentlichten Reflexionen zur Unsterblichkeit entwickelt Jonas seinen Gedanken der Entäußerung des schöpferischen Urgrundes in die werdende Immanenz. Unter Aufnahme von Gedanken aus der Lurianischen Kabbala wird Gott in einem Punkt kontrahiert gedacht, und es steht in der Verantwortung der Menschen, daß es Gott nicht gereuen wird, ihnen die Welt überlassen zu haben, wenn er einst seine Kontraktion wieder zurücknimmt. Im Rahmen eines solchen Denkens besteht keine Möglichkeit einer personalen postmortalen Unsterblichkeit, sondern nur das Eingehen einzelner Taten von Subjekt oder Gesellschaft in die nach ihrer Kenosis als werdend gedachte Gottheit. Dies bedeutet, daß Gott durch seinen Machtverzicht von den Menschen abhängig wird.

Die Frage des Wirkens Gottes entwickelt Jonas in der Auseinandersetzung mit Bultmanns Theologie. Unter "der Voraussetzung der Existenz eines wirkmächtigen Gottes" ist dessen Handeln und Offenbaren "unter Wahrung der Eigengesetzlichkeit und Autonomie der weltlich-immanenten Vorgänge" (135) möglich. Hier erwägt Jonas hypothetisch die Existenz eines wirklich transzendenten Gottes, der zudem personal gedacht werden kann, auch wenn diese Vorstellung für seine eigene Auffassung bedeutungslos bleibt.

Seine Reflexionen zum Leid konkretisiert Jonas an der Auschwitzproblematik und geht dem Verhältnis von göttlicher Allmacht und menschlichem Leid nach. Unter Weiterführung des Mythos vom sich kontrahierenden Gott kann dieser zwar als ein leidender, werdender, aber nicht als ein allmächtiger Gott verstanden werden. Diesem in die totale Immanenz selbstentäußerten Schöpfergott in seiner Ohnmacht setzt S. eine andere Bestimmung des Allmachtsgedanken entgegen. Er schlägt vor, diesen nicht rationalistisch als potentia absoluta zu verstehen, sondern als "Macht der Liebe" (195), die kein direktes Eingreifen in Weltverhältnisse intendiert, sondern eine Eröffnung von Lebensmöglichkeiten und insofern weltlich wirkt. Auf diese Weise versucht S. der Depotenzierung des Gottesbegriffes durch Jonas entgegenzuwirken.

In seinen Reflexionen zum Schöpfungsverständnis nimmt Jonas den Gedanken der Teleologie wieder auf. Am Ende des Weltprozesses steht der vom Schöpfergott gewollte menschliche Geist. Im Sinn einer Kenosis Gottes muß der Mensch dann letztlich Gott erlösen, womit "eine ansonsten denkbare eschatologischeVollendung der Schöpfung" (244) entfällt. Auch hier notiert S. wiederum kritisch "die Entgöttlichung Gottes" (246) durch Jonas. Gott bleibt vom Menschen abhängig.

In der späten 1972 veröffentlichten Aufsatzsammlung "Philosophische Untersuchungen und metaphysische Vermutungen" führt Jonas Argumente zur Existenz Gottes an. In der Annahme eines absoluten göttlichen Subjekts findet er Gründe dafür, daß die Unterscheidung zwischen Wahr und Falsch nur dann sinnvoll ist, wenn sie nicht im Nichts versinkt. Hier vermittelt sich also der Sinn über Gott.

Von da aus erwägt S. abschließend eine Modifikation des Unsterblichkeitsbegriffes, der über die Unsterblichkeit der Taten hinaus auf den "Modus immerwährender mentaler Präsenz" (275) der Menschen in der Gottheit hinausläuft. In dieser Aussage sieht S. eine Möglichkeit, mit Jonas selbst über den kenotischen Gottesbegriff hinauszugelangen. Mit dieser Untersuchung hat S. eine gründliche Arbeit zu den vielschichtigen Aspekten der Religionsphilosophie Jonas’ vorgelegt, der es gelingt, trotz der oftmals sehr schwierigen Sprachgestalt der Texte, die Inhalte und die ihnen inhärenten Probleme gut zu vermitteln.