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Ausgabe:

November/2017

Spalte:

1180–1182

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Mulroney, James A. E.

Titel/Untertitel:

The Translation Style of Old Greek Habakkuk. Methodological Advancement in Interpretative Studies of the Septuagint.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XVII, 264 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 86. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-154386-9.

Rezensent:

Carsten Ziegert

In der Septuagintaforschung sind Untersuchungen zum Stil der ins Griechische übersetzten Bücher bisher rar gesät. Daher macht schon der Titel der Dissertation von James A. E. Mulroney, die von David Reimer (Edinburgh) betreut wurde, neugierig.
In einem einleitenden Kapitel setzt sich M. zunächst grundsätzlich mit der Entstehung der LXX-Übersetzungen, mit der Anwendung der Übersetzungswissenschaft (translation studies) auf die LXX-Forschung sowie mit bisherigen Arbeiten zum griechischen Habakuk-Buch auseinander. Da seit Thackerays LXX-Grammatik (1909) das griechische Zwölfprophetenbuch als indifferent in stilistischer Hinsicht gelte, sei es an der Zeit, speziell den Stil zumindest eines Teils des Dodekaprophetons zu untersuchen (2–4). Zur Entstehung der LXX-Schriften und der späteren Rezensionen referiert M. knapp die Standardliteratur (8–18). Das Thema translation studies wird äußerst knapp, fast stichwortartig, abgehandelt (18–21), wobei M. nur wenige ausgewählte Ansätze (Descriptive Translation Studies [Toury], Transformations [van der Louw], Relevance Theory [Sperber/Wilson, Gutt]) nennt.
Ein kurzer Forschungsüberblick zum griechischen Habakuk-Buch (22–24) soll die Relevanz des Themas und die Notwendigkeit der eigenen Untersuchung verdeutlichen. Hierbei werden die großen LXX-Übersetzungsprojekte (La Bible d’Alexandrie, NETS, LXX.D) zwar erwähnt, auf eine Erklärung der grundlegenden Herangehensweisen (produzenten- vs. rezipientenorientiert) wird je­doch verzichtet. Insgesamt entspricht das erste Kapitel eher einer Anthologie zur Septuaginta und weniger einer zielführenden Einleitung, die eine konkrete Fragestellung entwickelt.
Das zweite Kapitel steht unter der Überschrift »Methodology – The Current State of Affairs«, man erwartet somit Ausführungen zur Methodik der Arbeit mit Bezug zu früheren Ansätzen. Zunächst beschreibt M. kurz die klassische Dichotomie zwischen »wörtlichem« und »freiem« Übersetzen (25–26), anschließend referiert er ausführlich die von J. Barr und E. Tov eingeführten Kategorien von literalism (26–33) sowie die von Tov und anderen herausgearbeiteten Strategien der Übersetzer bei textlichen Problemen (33–39). In beiden Fällen wird nicht wirklich deutlich, wozu diese Ausführungen im Kontext der vorliegenden Untersuchung dienen. Die eigene Methodik zeigt sich erst im folgenden Abschnitt: Da die Dichotomie »wörtlich – frei« zur Beschreibung nicht ausreiche, müsse der Stil einer LXX-Übersetzung untersucht werden (39–40). M. spricht sich für einen linguistischen Ansatz mit Offenheit für das Phänomen der Kontextualisierung aus (42), ist aber zurückhaltend, dem Übersetzer vorschnell eine contextual exegesis mit dem Resultat neuer theologischer Aussagen zu unterstellen (46–50). Dieser methodische Ansatz kann als ausgewogen gewürdigt werden. In diesem Zusammenhang setzt sich M. auch ausführlich und kritisch mit dem von A. Pietersma und anderen vertretenen »Interlinearitäts-Paradigma« auseinander, das grundsätzlich von einer Beziehung der Interlinearität zwischen hebräischem Ausgangstext und griechischem Zieltext ausgeht (51–66). Mit einer großen An­zahl anderer Forscher hält M. diesen Ansatz für nicht überzeugend, da er nicht alle Phänomene der LXX-Übersetzungen ausreichend erkläre (65). Leider wird nicht erwähnt, dass Pietersma seinen An­satz seit 2010 deutlich moderater vertritt als in der vorausgehenden Dekade (vgl. Pietersma, »Beyond Literalism: Interlinearity Re­visited«, in: R. Hiebert, Translation Is Required. The Septuagint in Re­trospect and Prospect [2010], 3–21). Schließlich plädiert M. für eine stilistische Untersuchung von Habakuk LXX, die sowohl se­mantische als auch phonetische Phänomene berücksichtigen soll (71–72). Zu wenig berücksichtigt wurde hier die Frage nach der he­bräischen Vorlage des Übersetzers, die sich ja besonders dann aufdrängt, wenn der griechische Wortlaut in auffälliger Weise vom (hier vorausgesetzten) masoretischen Konsonantentext ab­weicht.
Das dritte Kapitel widmet sich schließlich konkret dem Stil der Übersetzung. Dabei präsentiert M. gleich zu Beginn seine These: Der Übersetzer habe die Bedeutung des hebräischen Ausgangstextes grundsätzlich erhalten, dabei aber die Stilmittel des hebräischen Textes durch griechische Stilmittel ersetzt (81). Als stilis-tische Phänomene nennt M. lexikalische Variation, Polyptoton, Assonanz, Konsonanz, Alliteration sowie Homoioteleuton, wo-bei er seine Ausführusngen anhand dieser Stilmittel strukturiert. Transparenter und somit nachvollziehbarer wäre hier eine durchgehende Untersuchung des griechischen Textes in Form eines Kommentars gewesen, bei der an geeigneter Stelle die stilistischen Änderungen ins Blickfeld gekommen wären. So bleibt der Vergleich von griechischem und hebräischem Text nur auf der Satzebene, ohne dass größere Texteinheiten betrachtet werden. Wenig benutzerfreundlich ist zudem die Tatsache, dass M. ein Phänomen (meis­tens) erst anhand eines Textbeispiels erklärt, bevor er den griechischen und hebräischen Text in Form einer Synopse präsentiert.
Zum Stil des Übersetzers zählen für M. auch linguistische transformations. Den Terminus hat er wohl von T. van der Louw entlehnt (Transformations in the Septuagint: Towards an Interaction of Septuagint Studies and Translation Studies [2007]), allerdings verwendet M. ein eigenes Inventar. Dazu zählen etwa Neologismen, Interferenz des Aramäischen und exegetische Disambiguierung. In diesem Teil (105–128) werden griechische und hebräische Texteinheiten nur selten in Form einer Synopse präsentiert; das wäre jedoch gerade hier sinnvoll gewesen. Interessant wäre in diesem Abschnitt eine Behandlung der Frage gewesen, ob diese Phänomene auch in anderen Teilen des Dodekaprophetons auftreten. Als Schlussfolgerung dieses Kapitels ergibt sich, dass der Übersetzer einen »kreativen Stil« pflegte und deshalb wohl ein professioneller Schreiber war (128).
Im vierten Kapitel fragt M. nach theologischer Interpretation im griechischen Habakuk-Buch. Hier untersucht M. ausgewählte Themen wie die Eschatologie (148–155) oder die Götzenpolemik in Hab 2,18–19 (179–197). Einen Schwerpunkt bildet die Diskussion der Übersetzung von Hab 2,4 und ihrer Rezeption im Neuen Testament (156–179). Der Abschnitt bietet eine vergleichende Diskurs-analyse der Textfassungen von Hab 2,3–5, wobei am Ende die jeweilige Textaussage nicht deutlich genug präsentiert wird. Überhaupt fehlt in diesem Kapitel, das eine Fülle an Material bietet, eine präg-nante Darstellung des theologischen Ertrags.
Eine kurze »Conclusion« (199–202) fasst die Ergebnisse der Untersuchung knapp zusammen: Der Übersetzer war ein professioneller Schreiber, der den hebräischen Text in kreativer Weise entsprechend seiner Lese- und Auslegungstradition übersetzt habe. Auch bei den intendierten Lesern habe es sich um professionelle Schreiber gehandelt, da nur diese die angewandten Stilmittel und Auslegungen wertschätzen konnten. In einem Anhang ist zunächst eine Synopse zu finden, die den hebräischen und griechischen Text des Habakuk-Buches mit englischen Übersetzungen enthält. Außerdem bietet der Anhang eine umfangreiche Bibliographie sowie ein Stellenverzeichnis und ein Register.
Die Untersuchung enthält eine beeindruckende Menge an Ma­terial. Sie kann einen guten Ausgangspunkt zur Erforschung des griechischen Dodekaprophetons bieten, vor allem bei der Untersuchung stilistischer Phänomene.