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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1114–1116

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Ouellet, Marc Cardinal

Titel/Untertitel:

Mystery and Sacrament of Love. A Theology of Marriage and the Family for the New Evangelization.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: William B. Eerdmans Publishing 2015. XIV, 332 S. Kart. US$ 35,00. ISBN 978-0-8028-7334-7.

Rezensent:

Christian Göbel

Die theologische Leistung dieses Buches ist nicht einfach zu würdigen. Die erste, zum Teil enthusiastische Rezeption sah sie im Kontext der Synode 2014/15 in innerkirchlichen Richtungskämpfen, die katholische Identität auf Streitfragen der Sexualmoral re­duzieren. Das Buch des Kardinals galt als Antwort auf Bestrebungen zur Öffnung kirchlicher Lehre, insbesondere auf Kaspers Vorschlag, im Einzelfall Wiederverheiratete zu den Sakramenten zuzulassen. Es handelt sich aber um die Übersetzung eines zuerst 2007 erschienenen Werks, das Marc Ouellet nur im Vorwort ergänzt hat: Dort streift er aktuelle Debatten und sieht Übereinstimmungen mit Franziskus’ »pastoral conversion« und »new missionary dynamism«. Er ist überzeugt, dass die 1996–2002 entstandenen, von Johannes Pauls II. (= JP II) Theologie des Leibes inspirierten Gedanken auch »new pastoral solutions« anstoßen können (XII–XIV).
Immerhin hat O. die Neuveröffentlichung in den Kontext der Synode gestellt; eine Öffnung lehnt er aus theologischen Gründen ab: »it is not a matter of being more or less merciful with regard to persons in irregular situations, but of taking seriously the truth of the sacraments« (170). Sakramente seien nicht nur »spiritual nourishment for an individual«, sondern Realzeichen göttlicher Wirklichkeit »in function of the event of the Incarnation« (159). O. deutet pastorale Lösungen nur an (geistliche Kommunion statt Eucharistie; tiefere Katechese für Brautpaare, die die theologische Größe ihres Unterfangens unterstreicht). Er beschränkt sich meist darauf, Kirchenlehre wiederzugeben, und behandelt Themen wie Geburtenkontrolle, Frauenordination, Zölibat, gleichgeschlechtliche Ehe.
Insgesamt aber werden diese Fragen nur knapp behandelt. Das Buch ist keine Kampfschrift; O. zielt auf eine »fundamental renewal of sacramental theology« (4). Dazu nutzt er das »nuptial eucharistic model as hermeneutical key to the sacraments«, um »a resource of the first importance for the new evangelization« zu gewinnen (XIII), von der er sich Heilung jener ›Unordnung‹ erhofft, die für Relativismus und Probleme verantwortlich sei. O. möchte zugleich dem »spousal approach« von Johannes Paul II. »reception and further development« zukommen lassen (142).
O. bietet einen detaillierten Überblick über die Brauttheologie von Schriftstellen bis zum II. Vatikanum und Johannes Paul II. Vermittler dieser Tradition sei Balthasar gewesen. Seine Theo-Dramatik bringe Ehe, Eucharistie und Kirche zusammen und ist neben Schriften Jo­hannes Pauls II. O.s wichtigste Quelle.
Die elf Kapitel sind aus Vorlesungen entstanden und in drei Teile gruppiert (kleine Schwächen: Redundanzen, kein Register). Teil I zeichnet die historische Entwicklung der Ehelehre nach. O. hebt die Neubewertung durch Konzil und nachkonziliares Lehramt hervor (kein »natural law view of marriage« mit »procreation as the chief end of marriage«, sondern »intimate partnership of married life and love«: 55) und strebt eine Synthese älterer Ehebegriffe mit dem Personalismus von Johannes Paul II. an, dem die Ehe »primordial sacrament« ist (32).
Teil II schlägt den Bogen vom Sakrament der Ehe zur Kirche als Sakrament und beleuchtet das Verhältnis zwischen Eucharistie und Ehe als »paradigm of the sacramentality of the church« (142). O. betont die Entsprechung von Kennzeichen der Ehe und biblischer Bundesidee (126 ff.), die Bedeutung der Familie als Ikone trinitarischer Liebe und »domestic church« (174 ff.) sowie ihre Rolle im Missionsauftrag der Kirche. Kapitel 7 geht dem Verhältnis zwischen Ehe und anderen Sakramenten nach, um eine »Lücke« zu füllen, die das Konzil hinterlassen habe.
Teil III vertieft den brauttheologischen Bezugsrahmen. O. sieht hier seinen Beitrag zur »dramatic retrieval of eucharistic logic« zwischen Realismus und Symbolismus und zur »nuptial trinitarian anthropology« (Kapitel 11). Das »man-woman symbol, understood as imago Dei and reread eucharistically in light of the spousal symbol of Christ and the Church and of the trinitarian mystery, offers a new paradigm not only for a different way of doing sacramental theology, but also for a Christian hermeneutic of existence« (295).
Das Wechselspiel zwischen Ehesakrament und Sakramentalität von Ehe und Kirche überzeugt. Der brauttheologische Ansatz selbst wird aber kaum begründet. O. bietet ein »panorama of church teaching« (E. Martin) im Vorlesungsstil. So reduziert sich der Originalitätsanspruch auf den Appell an akademische Theologen, das Denken des Lehramts einzuholen (O. selbst betreibt oft Enzyklikenexegese). Auch Schriftbelege zur Brauttheologie sind über Sekundärliteratur aus dem Kontext dieser Theologie vermittelt. Andere Ansätze werden nicht verfolgt, Gegenpositionen als »schädlich« abgetan, darunter Rahner, dessen Anthropozentrismus gegen Balthasars Christozentrismus ausgespielt wird, liberale so­wie protestantische Theologen.
Zweifellos haben Brauttheologie und Theologie des Leibes einen positiven Zugang zur Sexualität ermöglicht, die Würde der Frau (Mutter), Familie, Laien gestärkt und die Ehe dem Priesterstand gegenüber aufgewertet (74 ff.). Fraglich bleibt aber, wie attraktiv diese Sprache über bestimmte katholische Kreise hinaus ist (nicht allen ist Glaube »spousal act« und »holy communion nuptial mo­ment par excellence«: 273.311) und ob es sich in der Tat um mehr als eine der menschlichen Lebenswirklichkeit entstammende Bildsprache handelt, die spekulativ zum Archetyp des Gott-Mensch-Verhältnisses gemacht wurde, so dass Ehe/Familie »epiphany of being« und »ultimate meaning of existence« (122.304), Menschsein nur brautlich-trinitarisch zu beschreiben und diese Erkenntnis Heilmittel gesellschaftlicher Probleme sei.
Die Ehe ist nach katholischer Lehre Realsymbol des Bundes zwischen Gott und Kirche, doch ist sie bevorzugter Ausdruck göttlicher Liebe (143)? Der Absolutheitsanspruch irritiert aufgrund der Komplexität des Liebesbegriffs und weil das theologische Liebesver-hältnis mehrere Ebenen umfasst: innergöttlich-trinitarische Liebe, die Metaebene Gott-Mensch (wo mystisch-prophetische Sprache brauttheologische Begriffe nutzt), die ethische Ebene zwischenmenschlicher Liebe. Soll diese Spiegel jener sein, ist es problematisch, den naturgesetzlich vorhandenen eros (so Sexualität Gottebenbildlichkeit ist: 146 f.) zum Paradigma der spezifisch christlichen Nächstenliebe zu machen. Agape zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie Bande überschreitet, zugleich aber weniger das tiefe Gefühl erfordert, das man dem Partner entgegenbringt, sondern praktische Hilfe ist für den, der sie braucht (Lk 10,25 ff.).
Pastoral relevant ist, dass die theologische Aufladung ehelicher Liebe überfordern kann. Unbewusst gibt O. das zu: Er fasst ihre Größe in Anselms Formel id quo maius cogitari nequit (304), übersieht aber, dass diese exklusiv göttliches Sein beschreibt. Als Teil menschlicher Realität ist Ehe »gebrochenes Bundeszeichen«, sie kann scheitern; Franziskus’ nachsynodales Schreiben Amoris Laetitia trifft da eher einen »realistischen, biblischen, pastoralen Ton« (W. Kasper).
Zudem fragt sich, wie die »missionarische Rolle« der Familie als »only way« zur »civilization of love« (173) aussieht: O. betont eine »mission of service« (183), expliziert diese aber primär als Weitergabe von Leben und Glauben innerhalb der katholischen Familie, so dass die Neuevangelisierung Binnenprojekt zu bleiben scheint. Die unter Christen gelebte Liebe mag immer noch Strahlkraft für die Welt haben (189 f.), es bleibt aber unklar, wie sie dieser gegenüber aktiv wird. O.s Ansatz birgt zudem exklusivistische Risiken, weil er Lebensformen normativ heraushebt und das gott-menschliche Liebesverhältnis auf die Beziehung von Jesus zu »his church« (80) fokussiert.
Über die Brauttheologie sollte das Bild des Allvaters nicht vergessen werden, um Gottes Liebe zu beschreiben und ethisch fruchtbar zu machen. Seine unbedingte Liebe hat philosophische Logik, da sie dem Begriff unbedingten Seins entspricht; zudem ist sie radikal ökumenisch. Wird sie in menschlich-asymmetrische Liebe übersetzt, hat das pastorale und missionarische Relevanz und schließt klarer jene Barmherzigkeit ein, die Franziskus im Geist Jesu einfordert und die nicht nur katholisch-familiäre Bürgerlichkeit konstituiert, sondern sich an die »Peripherien« von Kirche und Gesellschaft vorwagt und dort Zeugnis der Nächstenliebe gibt.
O. bietet einen reichen Fundus zu Brauttheologie und Kirchenlehre, aber keinen integrativen Ansatz, der neue Signale für Herausforderungen der Gegenwart und den »Aufbruch« unter Franziskus böte.