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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1112–1114

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Illert, Martin

Titel/Untertitel:

Dialog – Narration – Transformation. Die Dialoge der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR mit orthodoxen Kirchen seit 1959.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 444 S. = Beihefte zur Ökumenischen Rundschau, 106. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-374-04540-2.

Rezensent:

Jennifer Wasmuth

Es gibt mindestens zwei gute Gründe, sich mit dieser Studie zu befassen: Da sind zum einen retardierende Tendenzen in der Ökumene, die nach dem Ertrag der bisherigen Dialoge und ihren Perspektiven für die Zukunft fragen lassen. Da besteht zum anderen ein Mangel an neueren Studien zu den Dialogen, die von evangelischer Seite mit orthodoxen Kirchen über Jahrzehnte geführt worden sind und zum großen Teil bis in die Gegenwart hinein geführt werden. Die letzte umfassende Behandlung liegt mit der 1997 erschienenen Arbeit »Faith and Holiness« des finnischen Systematikers Risto Saarinen bereits zwei Jahrzehnte zurück. Erst in jüngster Zeit lässt sich ein wachsendes Interesse an den evangelisch-orthodoxen Dialogbegegnungen beobachten. Zu nennen sind hier etwa die beiden folgenden Arbeiten, die im Jahre 2013 erschienen sind: die sozialethisch ausgerichtete Untersuchung der finnischen Theologin Heta Hurskainen, die sich dem Dialog der Lutherischen Kirche Finnlands mit der Russischen Orthodoxen Kirche widmet, sowie die historisch angelegte Studie des rumänischen Theologen Cosmin Daniel Pricop zum Dialog des Lutherischen Weltbundes (LWB) mit den orthodoxen Kirchen byzantinischer Tradition. In diese Arbeiten reiht sich die vorliegende Untersuchung ein. Ähnlich wie Risto Saarinen beschränkt sich Martin Illert jedoch nicht auf einen leitenden thematischen Gesichtspunkt oder aber einen ausgewählten Dialog. Er bietet vielmehr eine Gesamtschau jener bilateralen Dialoge, die in der Zeit von 1959 bis 2013 von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bzw. dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) mit den Patriarchaten von Moskau, Konstantinopel, Sofia und Bukarest geführt worden sind. Anders als Saarinen entscheidet sich I. allerdings dafür, die Dialoge nicht auf ihren dogmatischen Ertrag hin auszuwerten, sondern sie in ihren zeitgeschichtlichen Kontext einzubetten. Dabei geht es ihm darum, den Charakter der Dialogdokumente ernst zu nehmen, den er als doxologisch bestimmt. In einer Kritik an den Dialogdokumenten als »vermeintlich unterkomplexer systematisch-theologischer Entwürfe« (21) sieht er eine grundlegende Verkennung ihrer intendierten Form und Funktion.
Die Studie gliedert sich nach einführenden Bemerkungen zur Fragestellung, den Quellen, dem Forschungsstand und der methodischen Vorgehensweise (vgl. 13–23) in zwei Hauptteile: Im ersten Teil (vgl. 24–299) werden die verschiedenen bilateralen Dialoge im Rahmen der sich ändernden politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Bedingungen dargestellt. Ein wichtiges Stichwort ist hier das der »Narration«, wonach die einzelnen Begegnungen je­weils in unterschiedlicher Weise »in einen übergreifenden Erzählstrang« eingebettet werden, »dessen Schlüsselworte (z. B. ›Versöhnung‹, ›Frie­den‹ oder ›Integration‹) das Geschehen als Teil eines Gesamtprozesses der kirchlichen und gesellschaftlichen Transformation« (15) deuten. Im ersten Teil, so könnte man deshalb auch sagen, rekonstruiert I. en détail die Narrationen, die für die jeweiligen bilateralen Dialoge prägend geworden sind. Aufgezeigt wird dabei auch der Wandel dieser Narrationen, der, wie im Falle des Dialoges mit der Russischen Orthodoxen Kirche, eine Fortführung des Dialoges er­möglicht hat, bzw., wie im Falle des Dialoges mit der Bulgarischen Orthodoxen Kirche, den Abbruch des Dialoges zur Folge hatte. Im zweiten, deutlich kürzeren Teil (vgl. 329–350) werden sodann die Ergebnisse unter einer doppelten Leitthematik systematisiert: Zu­nächst werden Selbst- und Fremdbilder aufgezeigt, die die Dialoge geprägt haben. Oft handelt es sich dabei um tradierte, konfessionelle Stereotype, die jedoch im Rahmen der Dialoge in der Regel nicht weiter reflektiert worden sind und gerade deshalb das Dialoggeschehen zu beeinflussen vermochten. An­schließend wird der auch bereits im ersten Teil vielfach angeklungene Begriff der »Transformation« in seiner Bedeutung als einer der »Schlüsselbegriffe der Orthodoxie-Dialoge« (329) entfaltet: in seiner sakramentalen, zeugnishaften, ethischen, kosmischen, amtstheologischen und therapeutischen Dimension. Die Studie schließt mit einer kurzen Zusammenfassung, in der die Ergebnisse mit Blick auf die Zukunft der Dialoge gebündelt werden (vgl. 351–359). Als Anhänge sind eine Zeittafel und eine alphabetische Auflistung der Kommissionsmitglieder und Gäste von 1959–2013 beigegeben (vgl. 360–375).
Insgesamt liegt eine Studie vor, die den historischen Kontext der Dialoge nicht nur zu erhellen, sondern als Bedingung für die jeweilige Entwicklung konkret aufzuzeigen vermag. Anschaulich wird vor Augen geführt, inwiefern die konfessionellen Selbst- und Fremdwahrnehmungen von den die Dialoge prägenden Protagonisten – darunter insbesondere auch Frauen wie die im Außenamt der EKD lange Zeit tätige Hildegard Schaeder (1902–1984) und die Erlanger Theologieprofessorin Fairy von Lilienfeld (1917–2009) – die Dialoge bestimmt haben. Dazu gehört auch, wie auf beiden Seiten als kritisch eingeschätzte Entwicklungen in der eigenen Theologie und Kirche das Verhältnis zu den Dialogpartnern beeinflusst haben. Der Ansatz, die geistliche Dimension der Dialoge als we­sentlichen Aspekt zu berücksichtigen, wird dem besonderen Charakter der Dialoge sicherlich eher gerecht als sie nur von gemeinsam erzielten dogmatischen Konsensergebnissen her zu beurteilen.
Offen allerdings bleibt, wie sich die »Narrationen« der unterschiedlichen Dialoge zueinander verhalten: inwiefern sie also nur von den jeweiligen Kommissionsmitgliedern abhängig waren oder als repräsentativ für die EKD bzw. BEK oder auch die Orthodoxen Kirchen insgesamt gelten können. Weiterer Klärung bedürftig er­scheint zudem der Begriff der »Transformation«. So wäre beispielsweise zu fragen, ob nicht auch das Erreichen eines dogmatischen Konsenses als »Transformation« und ob eine solche Transformation nicht wiederum nur als ein geistliches Geschehen zu verstehen ist. Eine nur »geistliche« Transformation, die sich nicht auch dogmatisch Ausdruck verschafft, widerspricht in jedem Fall dem orthodoxen Verständnis der Einheit von Gottesdienst und Lehre, Liturgie und Dogma. Auch zeigt die Studie selbst, dass auf beiden Seiten in­tendierte Transformationen oft nur programmatisch formulierte Absichtserklärungen blieben, die mitunter nicht einmal in den eigenen Kommissionen zu überzeugen vermochten, dass sich die Transformationen zudem auch nicht einlinig im Sinne steter Annäherung vollzogen haben, sondern selbst »Transformationen« unterworfen gewesen sind – bis hin zum Abbruch des Dialogs. Wenn mit der Studie der Nachweis von Transformationen geführt wird, so scheint die Frage, die oft eine grundsätzliche Kritik an den Dialogen impliziert und I. mit einem anderen als einem dogmatischen Ansatz begegnen will, deshalb noch nicht abschließend beantwortet zu sein: welchen Ertrag die Dialoge am Ende bringen.
I. ist Referent für Orthodoxie und Ökumene im Kirchenamt der EKD. Aufgrund der vorliegenden Studie wurde er im Jahre 2015 an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Fach Ostkirchenkunde habilitiert.