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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1108–1110

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Cohen, Will T.

Titel/Untertitel:

The Concept of »Sister Churches« in Catholic-Orthodox Relations since Vatican II.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2016. XIII, 303 S. = Studia Oecumenica Friburgensia, 67. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-402-12000-2.

Rezensent:

Michael Plathow

Als ökumenischen Affront empfanden es evangelische Christen und Kirchen, als die »Nota über den Ausdruck ›Schwesterkirchen‹« der römischen Glaubenskongregation (Nr. 12) vom 30.6.2000 ihnen die Bezeichnung »Schwesterkirchen« verweigerte. Vertieft wurde der Ausschluss in der Erklärung »Dominus Iesus« (Nr. 16,17) vom 5.9.2000. Das rief heftige Reaktionen evangelischer- und römisch-katholischerseits unter ökumenisch Gesinnten hervor. Dabei trat die Diskussion um das Konzept »Schwesterkirchen« in den katholisch-orthodoxen Beziehungen in den Hintergrund.
Dem geht Will T. Cohen in seiner Dissertation von 2010 in Geschichte und Gegenwart nach. Er weist einen vieldeutigen und äquivoken Gebrauch der Bezeichnung »Schwesterkirchen« nach auch in den kirchenoffiziellen Verlautbarungen: Dogmatische Konstitution Nr. 8; Ökumenismusdekret Nr. 14; Schreiben von Papst Paul VI. und vom Ökumenischen Patriarchen Athenagoras zur Aufhebung des Anathemas von 1054 (7.12.1965); Tomos Agapis; Balamand-Erklärung (26.6.1993); Enzyklika von Papst Johannes Paul II. »Ut unum sint« Nr. 56, 65 (25.5.1995) und ebendie »Nota über den Ausdruck ›Schwesterkirchen‹ vom 30.6.2000«. »Paradoxale« (XIII.282) Bedeutungselemente charakterisieren die Zuschreibung »Schwesterkirchen« im katholisch-orthodoxen Raum. Sie bezieht sich – modellhaft – auf die Relation (1.) Rom und Konstantinopel, (2.) katholische Kirche und orthodoxe Kirche im umfassenden Sinn, (3.) katholische Kirche und orthodoxe Kirchen, (4.) partikulare katholische Kirchen und partikulare orthodoxe Kirchen (73).
Die Studie behandelt im 1. Kapitel das Konzept »Schwesterkirchen« vor dem II. Vaticanum: vermischt mit politischen Faktoren (u. a. 1054, mit dem 4. Kreuzzug das lateinisches Kaisertum von 1204 bis 1261) und besetzt mit dem Anspruch Roms »Mutter« aller Kirchen zu sein (Konzil von Ferrara-Florenz 1438–1445). Signifikant ist der Briefwechsel zwischen Nicetas, dem Erzbischof von Nikomedien, und Anselm von Havelberg sowie – hiervon zu unterscheiden in der ekklesiologischen Ausrichtung – der Disput zwischen Patriarch Johannes X. Camateros und Papst Innozenz III. (28–37). Kapitel 2 zeichnet die Entwicklung des Sprachgebrauchs »Schwesterkirchen« mit und nach dem II. Vatikanum nach. Detailliert werden die kirchenoffiziellen Äußerungen zur Beziehung der katholischen Kirche und orthodoxen Kirche im umfassenden Sinn beschrieben, die – wie der Vf. analysiert – semantische Ambiguitäten zeigen. Die »Nota über den Ausdruck ›Schwesterkirchen‹« (3.6. 2000) ist es dann, wie Kapitel 3 deutlich macht, die die Bezeichnung »Schwesterkirchen« auf die ekklesiologischen Verzweigungen zwischen den partikularen (Diözesen) katholischen und partikularen orthodoxen K irchen bezieht. Kapitel 4 expliziert das Konzept »Schwesterkirchen« in den Entwürfen der katholischen Theologen E. Lanne, Y. Congar, W. Hryniewicz, A. Garuti, H. Le­grand. Der Vf. konzentriert sich auf die ekklesiologischen Gesichtspunkte des »subsistit in« (LG 8), auf das Verhältnis von Orts- und Universalkirche, auf die Beziehung von »Schwesterkirche« und Papstprimat. Zwischen den Ex­tremen, dass einerseits sowohl in den katholischen wie in den orthodoxen Kirchen als »Schwesterkirchen« die eine Kirche Christi präsent ist und dass andererseits die Kirche Jesu Christi sich allein mit der katholischen Kirche identifiziert – zwischen diesen Extremen bricht mit J. Ratzinger eine »ekklesiologische Asymmetrie«, ein Paradox auf (179.181): das »subsistit in« allein in der sichtbaren katholischen Kirche bei ihren »Verwundungen« durch Trennung von der orthodoxen Kirche einerseits und andererseits die Beziehungen der partikularen katholischen Kirchen mit den als wahre K irchen anerkannten partikularen orthodoxen Kirchen, die als »Schwesterkirchen« formal getrennt sind. Diese »Asymmetrie« der katholischen Kirchen zu den orthodoxen Kirchen unter der Bezeichnung »Schwesterkirchen« diagnostiziert der Vf. als im »subsistit in« verwurzelt (276.172.180). Entsprechend zum Diskurs ka­tholischer Theologen über das Konzept »Schwesterkirchen« expliziert Kapitel 5 die Diskussion hierüber bei orthodoxen Theologen. Es handelt sich um die befürwortenden Stimmen von J. Meyendorff, Metropolit M. Aghiorgoussis, J. Erickson, Metropolit D. Pa­pandreou und um die kritischen Voten der Mönche vom Berg Athos, von J. S. Romanidis, G. Metallinos, Erzbischof D. Royster. Thematisch beziehen sich diese Theologen auf (1.) dogmatische Differenzen, (2.) das Schisma, (3.) die sakramentale Realität z. B. der Taufe (236–238). Zwischen den Extremen einerseits des orthodoxen Exklusivismus eines Cyprian V. von 1755 (239) und andererseits des ekklesiologischen Relativismus einer »branch«-Theorie (240.208) verdeutlicht sich nach des Vf.s Ansicht die »Asymmetrie«, das Paradox der Bezeichnung orthoxer von katholischen Kirchen formal getrennter Kirchen als »Schwesterkirchen« und der orthodoxen »Idee« der »ecclesia extra ecclesiam« (240.276.282). In Kapitel 6 reflektiert der Vf. die befürwortenden und die kritischen Argumente des Konzepts »Schwesterkirchen«. Angesichts der »Asymmetrie« in der Bezeichnung »Schwesterkirchen«, verwurzelt sowohl im römisch-katholischen »subsistit in« als auch in der orthodoxen Idee »ecclesia extra ecclesiam«, betont der Vf. für die aktuelle ökumenische Wegsituation – ausgerichtet auf die endgültige Vollendung (J. Zizioulas, 266) – die Interdependenz der getrennten sichtbaren katholischen und orthodoxen Kirchen. »The challenge is to hold the twin principles of interdependence and asymmetricality in the proper tension re­quired by the actual situation in which the two churches find themselves – always an evolving situation« (280). Entsprechend erweist sich die ökumenische Bedeutung des Konzepts »Schwesterkirchen« – wie der Vf. im zusammenfassenden Kapitel 7 feststellt – von »apophatischer Art« (282) in »a future perfect sense« (81). Katholische und orthodoxe Christen sollten darum weiterhin höchst achtsam sein beim Gebrauch und dem Verstehen der Zuschreibung »Schwesterkirchen« (284).
Es handelt sich um einen in der ökumenischen Forschung wichtigen Beitrag. Der besondere Wert der Arbeit zum Thema »Schwesterkirchen« in der katholisch-orthodoxen Tradition und Ekklesiologie wird unterstrichen durch das Vorwort einerseits von Kardinal K. Koch (VII–IX) und andererseits von Metropolit K. Ware, der selbst eine Zurückhaltung gegenüber der Rede von »Schwesterkirchen« eingesteht (VI).
Der zielführende Gedankengang und die argumentative Entfaltung des Themas, das detaillierte Inhaltsverzeichnis und die Zu­sammenfassungen der Einzelkapitel helfen dem Leser zu einem klärenden Verstehen des komplexen Themas »Schwesterkirchen«. Die ausgeweitete Bibliographie (13 Seiten) und das Namenregister eröffnen eigene Weiterarbeit.
Die Arbeit vermag bei römisch-ka­tholischen, aber auch bei evangelischen Lesern mit ökumenischem Elan Erkenntnisgewinne zu vermitteln.