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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1102–1104

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Wermke, Michael

Titel/Untertitel:

Die Konfessionalität der Volksschullehrerbildung in Preußen. Ein Beitrag zum Schulkampf in der Weimarer Republik.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2016. 428 S. = Studien zur Religiösen Bildung, 6. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-03922-7.

Rezensent:

Werner Simon

Die nach 1925 gegründeten preußischen Pädagogischen Akademien waren nicht nur ein institutionengeschichtlich bedeutsamer Schritt auf dem Weg der Akademisierung der Volksschullehrerbildung. Die Geschichte ihrer Etablierung spiegelt zugleich Konfliktlinien des Schulkampfes in der Weimarer Republik, in dem es nicht zuletzt um die Frage ging, welche Rolle der Konfessionalität bei der äußeren Organisation und der inneren Ausgestaltung des Volksschulwesens und der Volksschullehrerbildung zukommen soll. Das Scheitern einer reichseinheitlichen Regelung der Schulfrage durch ein Reichsschulgesetz hatte zur Folge, dass in Preußen die weiterhin fortgeltende Bekenntnisorientierung des Volksschulwesens auch bei der Einrichtung der Pädagogischen Akademien maßgeblich wurde. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet dabei die 1927 als simultane Akademie eröffnete Pädagogische Akademie in Frankfurt (Main), die von evangelischen, katholischen, jüdischen und dissidentischen (konfessionell ungebundenen) Studierenden gemeinsam besucht wurde. Diese in Preußen einmalige Institution fand in der historischen Bildungsforschung bisher allenfalls marginal Aufmerksamkeit.
Die vorliegende quellenbasierte Untersuchung von Michael Wermke füllt eine Forschungslücke. Sie rekonstruiert problemanzeigend die kontroversen Auseinandersetzungen um die Reform der Volksschullehrerbildung in Preußen in der Zeit der Weimarer Republik, profiliert die bildungspolitischen und bildungstheoretischen Positionen der Akteure und arbeitet am Beispiel der Frankfurter Akademie entscheidungsrelevante Konfliktlinien heraus. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Frage, »welche gesellschaftliche Bedeutung die Bekenntnisorientierung in den Bildungskonzeptionen der unterschiedlichen Akteure – nicht nur der Kirchen – in der Debatte um die Einheitsschule und die Lehrerbildung eingenommen hat« (23). Die Studie leistet darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zu einer vergleichenden Untersuchung der Professionsgeschichte jüdischer und christlicher Volksschullehrer.
Der Aufbau der Untersuchung ist transparent, die Darstellung klar gegliedert und zielführend. Eine Einleitung (11–34) präzisiert Thema und methodisches Vorgehen, informiert über die Quellenlage und ordnet die Problemstellung in den forschungsgeschichtlichen Zusammenhang ein. Das folgende Kapitel (35–66) untersucht die rechts- und professionsgeschichtliche Entwicklung der Volksschullehrerbildung in Preußen von der Mitte des 19. Jh.s bis in das erste Drittel des 20. Jh.s und erschließt so Voraussetzungen für ein angemessenes Verständnis der bildungspolitischen Debatten der 1920er Jahren. Differenziert werden in einem weiteren Kapitel (67–162) die einzelnen Phasen der Entwicklung der preußischen Volksschullehrerbildung in der Zeit der Weimarer Republik nachgezeichnet und die diesbezüglichen Diskurse daraufhin un­tersucht, »ob und inwieweit die Begründung einer nicht-universitären Volksschullehrerbildung in einen Argumentationszusammenhang mit ihrer konfessionellen Bindung gestellt wurde« (72). Die sorgfältige Auswertung der Quellen zeigt, dass bei der politischen Entscheidungsfindung neben bildungstheoretischen oft pragmatische schul- und finanzpolitische wie auch professions- und standespolitische Argumente gewichtiger und ausschlaggebender waren als die Frage der Bekenntnisorientierung, der in diesem Zusammenhang eine eher nachgeordnete Bedeutung zukam. Das folgende Kapitel (163–231) untersucht die Debatten über die Konfessionalität der preußischen Volksschullehrerbildung in den Religionsgemeinschaften und ihren Verbänden. Teilen die katholischen Verbände den Einsatz der katholischen Bischöfe für ein konfessionelles Volksschulwesen und eine entsprechende Lehrerbil dung, so wird die Bekenntnisorientierung in den evangelischen und den jüdischen Verbänden durchaus kontrovers diskutiert. Wiederum werden differenziert die maßgeblichen schul- und religionspädagogischen Begründungslinien der unterschiedlichen Positionierungen herausgearbeitet und kontextuell eingeordnet. Dies gilt auch für das sich anschließende Kapitel (233–283), das die mit der Gründung der simultanen Pädagogischen Akademie in Frankfurt (Main) verbundenen bildungspolitischen Auseinandersetzungen nachzeichnet und die in diesem Zusammenhang begegnenden Haltungen der Religionsgemeinschaften analysiert. Die an die Simultanschultradition der Stadt Frankfurt und des nassauischen Umfelds anknüpfende Initiative des Frankfurter Magis-trats führte erfolgreich zum Beschluss des preußischen Landtags, die Frankfurter Akademie als eine »simultane pädagogische Aka­-demie auf christlicher Grundlage« zu errichten, die neben einer evangelischen und einer katholischen auch eine jüdische Sektion integriert. Während die evangelische Kirche und die jüdische Religionsgemeinschaft der Gründung zustimmten, lehnte die ka­tholische Kirche auf der für Frankfurt zuständigen Limburger Bistumsebene eine Mitwirkung ab, da sie mit der Simultanisierung der Lehrerbildung die Gefahr einer schleichenden Aushöhlung des konfessionellen Volksschulwesens verbunden sah. Die Studie re­konstruiert detailliert die Phasen der Auseinandersetzung auf den verschiedenen Ebenen der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. In der Folge blieb die vorgesehene Professur für katholische Religionswissenschaft unbesetzt und katholischen Absolventen der Akademie die Möglichkeit des Erwerbs der für die Erteilung des Religionsunterrichts vorausgesetzten Missio canonica verschlossen. Ein eigenes Kapitel (285–318) erschließt das Profil der an der Akademie vertretenen und gelehrten evangelischen und jüdischen Religionspädagogik. Ein Schlusskapitel (318–349) bündelt Ergebnisse der Untersuchung. Dies geschieht zum einen im Hinblick auf die Akademisierung der Volksschullehrerbildung im Modell einer selbständigen berufsfeldbezogenen Lehrerbildung. Die Beibehaltung der konfessionellen Lehrerbildung war dabei »nicht Ursache, sondern vielmehr eine Folge« (321) der Entscheidung für das Modell einer nicht-universitären Volksschullehrerbildung. Zum anderen im Hinblick auf die Akademisierung der jüdischen Volksschullehrerbildung und deren Funktion für die »Verbürgerlichung« jüdischer Lehrerinnen und Lehrer – mit einem Ausblick auf den Transformationsprozess zwischen Reformpädagogik und Kibbuzerziehung. Und schließlich im Hinblick auf die konfessionsspezifischen Profile kirchlicher Bildungspolitik. Es folgen ein Anhang (350–365) mit Informationen zu den Lehrveranstaltungen im Fach Evangelische und Jüdische Religion und zu den Studierenden und Absolventen der Akademie sowie ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis (366–410).
W.s Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur konfessions- und religionsvergleichenden historischen Bildungsforschung. Sie er­schließt neue Quellen, weitet den Problemhorizont, trägt weiterführende Differenzierungen und notwendige Korrekturen in den bisherigen Forschungsstand ein und wird so, problembewusst und problemanzeigend, dem komplexen Untersuchungsgegenstand gerecht. Dazu trägt auch der vertiefende Begleittext des umfangreichen Anmerkungsteils bei. Die Ergebnisse der Untersuchung eröffnen zugleich Perspektiven für zukünftige Anschlussforschungen. So dürften sich insbesondere ein Vergleich mit Modellen einer paritätisch organisierten Volksschullehrerbildung in den nicht-preußischen Ländern mit Simultanschultradition (Baden, Hessen) sowie ein Vergleich mit den Argumentationsmustern der Kulturkämpfe des 19. Jh.s lohnen. Diese können auf einer verlässlichen Ausgangsbasis aufbauen.