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Ausgabe:

Oktober/2017

Spalte:

1060–1062

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Selderhuis, Herman J., and Arnold Huijgen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Calvinus Pastor Ecclesiae. Papers of the Eleventh International Congress on Calvin Research.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 467 S. m. 7 Abb. = Reformed Historical Theology, 39. Geb. EUR 120,00. ISBN 978-3-525-55202-5.

Rezensent:

Kai-Ole Eberhardt

Der hier anzuzeigende umfangreiche Tagungsband bündelt die Ergebnisse des 2014 in Zürich abgehaltenen elften »International Congress of Calvin Research«. Er gliedert sich in drei Hauptteile. Einleitend werden acht »Plenary Papers« (13–161) geboten, gefolgt von drei Beiträgen aus den »Seminars« des Kongresses (165–229). Es schließen sich 19 »Short Papers« an (233–463). Gerahmt wird der Band durch ein knappes Vorwort und ein Autorenverzeichnis. Den einzelnen Aufsätzen sind jeweils Bibliographien beigegeben.
In seinem Eröffnungsbeitrag (13–28) legt Peter Opitz eindrücklich dar, wie stark Calvin in der schweizerischen Reformation verwurzelt ist. Über die Analyse der Netzwerke von Farell und anderen Reformatoren, von Briefen und der Institutio von 1536 kann er die Bedeutung zwinglianischer Theologie für Calvin überzeugend nachweisen und gegenüber den Wittenberger Einflüssen abgrenzen. Abschließend verweist er auf den Calvinismus als ein Exportprodukt »Made in Switzerland« (26).
Gleich zwei plenary papers widmen sich der Rezeption der Kirchenzucht und Buße. Während Christian Grosse die Ritualisierung der Buße in der reformierten Liturgie vom 16. bis zum 18. Jh. in den Blick nimmt (29–50), schlägt Jung-Sook Lee eine Brücke von Calvins Theologie und der Bußpraxis im 16. und 17. Jh. zu der Relevanz des Themas für die koreanische Kirche der Gegenwart (51–64). Er be­spricht die dortigen Ansätze zu einer Modernisierung der Kirchenzucht und verweist auf die Praxis eines öffentlichen Sündenbekenntnisses, die er in ihrer Entwicklung seit dem 20. Jh. nachzeichnet. Eine differenziertere, stärker quellengestützte Diskussion wäre dabei gerade für ein europäisches Publikum wünschenswert ge-wesen.
Die »Detektivarbeit« von Elsie McKee vermittelt einen Eindruck von der alltäglichen Predigtarbeit Calvins (65–93). Geboten wird ein kurzer Überblick über die regelmäßigen Predigtorte Calvins in Genf, sodann wird in sorgfältiger historischer Arbeit vorgestellt, wie Predigten Calvins datiert werden können. Schließlich finden sich Überlegungen zur Rekonstruktion von Calvins Predigtthemen vor 1549. Ein Appendix bietet zudem eine Übersicht über Thema und Datierung von Calvins Predigten zwischen 1549 und 1558 (84–93). In der Summe ergeben sich so wichtige Bausteine für die Rekonstruktion der Arbeit Calvins als Pastor in Genf.
Nach einer längeren Bestimmung der Rahmenbedingungen der katholischen Calvinwahrnehmung nach Trient und dem Zweiten Vatikanum versucht Johanna Rahner zu zeigen, dass Calvin von der katholischen Theologie nicht den »Calvinisten« (101) überlassen werden dürfe (95–108). Ansatzpunkte für eine katholische Calvinrezeption sieht sie in Calvins guter Kenntnis altkirchlicher und mittelalterlicher Theologie und insbesondere in der Ekklesiologie und dem Thema der Heiligung. Als zukünftige gemeinsame Aufgabe der katholischen und evangelischen Theologie erscheint ihr die politische Theologie Calvins (106 f.).
Herman Selderhuis nimmt den 450. Todestag Calvins zum An­lass, um über dessen Verhältnis zu Tod und Sterben zu reflektieren (109–121). Einleitend beschreibt er, wie allgegenwärtig der Tod in Calvins Leben gewesen sei, um dann eine Zusammenfassung von Calvins Gedanken zu einer christlichen ars moriendi zu bieten. Abschließend zeigt er eindrücklich, welches Bild die Quellen von Calvins praktischer Anwendung seiner theologischen Überlegungen zeichnen und wie er mit dem bevorstehenden eigenen Tod umgegangen ist.
Einen sehr aufschlussreichen Beitrag zu dem komplexen Feld der Pentateuchexegese Calvins bietet John Thompson (123–146). Anhand des Beispiels der Ehegesetzgebung in Genf (Leviratsehe, Inzestverbot) kann er mehrere Forschungsfragen bündeln. Er zeigt zunächst, welchen Änderungen die Pentateuchauslegung Calvins unterworfen war und wie seine teilweise widersprüchlichen Ergebnisse zu erklären sind. Seine exegetischen Erkenntnisse hätten sich im Laufe seines Lebens gerade dadurch verändert, dass Calvin die Notwendigkeit, Genfer Gesetze biblisch zu begründen, verstärkt in den Blick genommen habe (141–144). Dabei spielt nicht so sehr die Verbindung von naturrechtlichen Überlegungen und Exegese eine Rolle. Thompson zeigt vielmehr, dass Calvin sich bei seiner Auslegung von den Gebräuchen und Überzeugungen der Genfer habe leiten lassen, wenn er aus der Bibellektüre rechtliche Konsequenzen ableitet. Die richtige Auslegung sei ihm zu einer Gewissensfrage geworden. Es gelingt Thompson überzeugend, den komplexen Quellenbefund von Genesiskommentar, Predigten zu Genesis und D euteronomium sowie der Harmonie des zweiten bis fünften Buches Moses miteinander in Dialog zusetzen. Das Beispiel der Gesetze über Inzest ist gut gewählt und lässt die Frage stellen, ob sich Thompsons Beobachtungen auch auf andere Fälle anwenden lassen. Damit erweist sich sein Beitrag als impulsgebend für die weitere Erforschung von Calvins Exegese und ihrer Rolle für die Gesetzgebung in Genf.
Das Ende der Plenary Papers bildet der profunde Überblick über die polnische Calvinrezeption von Piotr Wilczek (147–161). Wilczek wählt dazu einen bibliographischen Zugang und untersucht die 528 erfassten Veröffentlichungen von und zu Calvin in Polen. Einleitend analysiert er konzis die Kontakte Calvins mit Polen und gliedert diese auf der Grundlage der Forschungen von George H. Williams in vier Hauptphasen (148–150). Er wirft dabei einen kurzen Blick auf die Reformation in Polen und die Einflüsse von Francesco Lismanino und Johannes a Lasco und kommt zu dem Schluss, dass die Reformation in Polen eine gegen den Einfluss der Jesuiten machtlose Episode bleiben musste (151). Nach einem kurzen Blick auf die spärlichen Veröffentlichungen und Übersetzung von Calvins Œuvre in Polen setzt er sich sodann ausführlicher mit der Calvinrezeption und akademischen Veröffentlichungen zu Calvin in den letzten drei Jahrhunderten auseinander. Vorher hatte es nur polemische Schriften gegen Calvin gegeben. Hervorzuheben sei vor allem die akademische Auseinandersetzung mit Calvin durch Rafa ł Leszczyński, die allerdings eine von wenigen Ausnahmen bleibt. Wilczek schlussfolgert daher, »Calvin’s life and work are al­most invisible in this country« (157). Wilczek betont die Notwendigkeit, diesem Missstand durch polnische Übersetzungen entgegenzuwirken. Dazu verweist er neben der zu erwartenden Über-setzung der Institutio auf die Notwendigkeit einer polnischen Calvin-Anthologie sowie einer Übersetzung der Biographie Calvins von Bruce Gordon.
Die Seminare der Tagung sind in drei Beiträgen vertreten. Max Engammare gibt einen Überblick über die opera Calvins von 1552 bis heute. Anthony Lane untersucht detailliert Calvins Zitate von Cyril von Alexandria und gibt dazu systematische Übersichten im Anhang seines Essays. Peter Škubal untersucht exemplarisch die Prophetenexegese von Calvin und seinen Zeitgenossen und fragt nach spezifisch reformierten Zugängen.
Die short papers ergänzen und erweitern die thematischen Schwerpunkte des Bandes noch einmal erheblich. Auf diese Arbeiten zu dem Verhältnis der Reformatoren zueinander, zu Calvins Einfluss auf die Politik, zu seiner Ethik, Exegese und zu dogmatischen Einzelfragen wie Gotteslehre, Sakramente, Rechtfertigung sowie zur Calvinrezeption sei hier nur hingewiesen. Sie bilden in eindrücklicher Weise die Themenvielfalt der gegenwärtigen Calvinforschung ab. Dies erweist sich als Stärke und Schwäche des Tagungsbandes gleichermaßen. Denn die zahlreichen Beiträge, die ihrerseits nur eine Auswahl der Herausgeber darstellen, sind inhaltlich nicht geordnet und oft ohne Bezug zum Titel. Gemäß dem Ansatz der Tagung zeigen sie zwar »that the interest in Calvin research is even growing and that there is still much to be discovered« (Selderhuis, Preface), jedoch wirkt der Band auch etwas un­übersichtlich. In Anbetracht dieses Mangels der insgesamt sehr anregenden Zusammenstellung wäre das Erstellen von Registern wünschenswert gewesen, durch die die Beiträge besser hätten er­schlossen werden können.